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Die Schweineflüsterer

Zufrieden Schweine liegen im Stroh
Zufriedene Borstentiere | Bild: NDR

Die Sonne scheint rotgold auf die Backsteinmauern, im Hintergrund schimmern saftige grüne Weiden und aus dem Stall erschallt zufriedenes Grunzen. In dem kleinen Dörfchen Mecklenhorst in Niedersachsen betreiben Wissenschaftler vom Friedrich-Loeffler-Institut landwirtschaftliche Studien. Es geht Ihnen darum, die Intelligenz von Schweinen zu nutzen, um deren Haltung zu verbessern.

Gemeinsame Mahlzeiten!

Futterbox für Schweine
In eine moderne Futterbox passt immer nur ein Schwein | Bild: NDR

Was beim Menschen als sittsam gilt, führt bei Schweinen neuerdings zu Problemen: die gemeinsame Nahrungsaufnahme. Anders als zu Zeiten der langen Futtertröge können in der modernen Schweinehaltung nicht mehr alle Tiere gleichzeitig fressen. Denn in immer mehr Ställen werden die Tröge durch computergestützte Futterautomaten ersetzt. Das sind schmale Boxen mit schleusenartig arbeitenden Türen in die jeweils nur ein Tier hineinpasst. In der Box bekommt jedes Tier die seinem individuellen Bedarf angepasste Menge an Kraftfutter. Allerdings sind solche Automaten mit rund 12.000 Euro sehr teuer. Die Schweinezüchter können meist nur wenige Automaten pro Stall anschaffen. Den Schweinen passt das gar nicht.

Jasmin Dannenbrink, Agrarwissenschaftlerin: "Das Problem ist, dass eigentlich am liebsten alle gleichzeitig fressen wollen. Also stehen dann 20 Tiere in einer Reihe und jedes möchte das erste sein und es kommt zu Rangeleien. Die Schweine beißen sich und schmeißen sich gegenseitig um. Sie können sich gegenseitig so stark verletzen, dass sie Fehlgeburten haben, oder nicht mehr zur Produktion nützen."

Auf persönliche Einladung

Statistik zur Futteraufnahme der Schweine
Die Schweinenamen sind alle im Computer abspielbreit gespeichert | Bild: NDR

So weit soll es nicht kommen, also versuchen Forscher jetzt den Schweinen "Manieren" beizubringen. Das Ganze ist ein gemeinsames Projekt des Friedrich-Loeffler-Instituts, kurz FLI, und des Leibnitzinstituts für Nutztierbiologie. Zusammen haben die Forscher ein Trainingsprogramm konzipiert, in dem die Tiere lernen, auf ihren Namen zu hören. Denn künftig dürfen sie erst in die Futterbox, wenn sie aufgerufen werden.

In Kleingruppen von acht bis zehn Sauen lernen die gut ein Jahr alten Tiere ihren Namen. In der Schweinegrundschule steht eine High-Tech-Futterbox. Sie öffnet sich nur, wenn der Computer am Ohrchip erkennt, dass ein Schwein mit "Kraftfutter-Restguthaben" vor der Tür steht. Während des Fressens wird dem Tier über einen Lautsprecher bei jedem Futterschub der eigene Name vorgespielt. Und zwar alle zehn Sekunden. So lernt das Tier, dass es Futter gibt, wenn sein Name erklingt. Besonders gut funktionieren scheinbar weibliche, deutsche Vornamen mit drei Silben. Eine Woche dauert diese Grundausbildung.

Walkürenritt: "Brun-hil-de" ertönt es aus dem Lautsprecher im großen Stall. 38 Sauen dösen oder kauen vor sich hin. Doch ein Schwein ist schon bei der zweiten Silbe aufgesprungen. Es galoppiert quer durch den Stall, umkurvt zwei Artgenossinnen und ist drei Sekunden später an der Tür der grünen Box. Brunhilde weiß eben, dass es beim Klang ihres Namens Futter gibt. Nach wenigen Sekunden öffnet sich die Klappe und sie kann fressen. Zur Bestätigung säuselt die Tonbandstimme erneut "Brun-hil-de". Die Erfolgsquote der Aufruf-Taktik liegt bei über 90 Prozent.

Die Sau hat mich blockiert!

Schweine vor dem Eingang der Futterbox
Der Gang zur Futterbox kann stressig sein | Bild: NDR

Zuweilen kommt ein aufgerufenes Schwein nicht in die Futterbox hinein, weil andere Tiere den Eingang blockieren und es wegbeißen. Das wütende Protestgeschrei der armen Sau inspirierte die Forscher zu einer weiteren Studie. Eine Schweizer Agrarwissenschaftlerin untersucht, inwieweit eine solche Blockade die Tiere frustriert. Dafür bekommen die Sauen Gurte mit Herzfrequenzmesser, wie sie normalerweise Ausdauersportler benutzen.

Sabrina Schröder, Agrarwissenschaftlerin: "Wir gehen davon aus, dass sie grundsätzlich eine positive Empfindung haben, wenn sie aufgerufen werden. Die Theorie ist weiter, dass wir eine Veränderung der Herzfrequenz sehen. Die Abstände zwischen den Herzschlägen variieren immer. Und das gibt Hinweise darauf, ob der sympathische oder der parasympathische Ast des Nervensystems aktiv war. Der parasympathische Teil steht eher für Ruhe. Aalso wenn das Schwein sich beruhigt, ist er aktiver. Wir erwarten, dass wir dieses Symptom sehen, wenn das Schwein Erfolg hatte und fressen konnte. Und dass nervöser und unruhiger ist, wenn es keinen Erfolg hatte".

In einem weiteren Projekt sollen die Protestlaute der Schweine vor der Fütterungsanlage per Mikrofon aufgenommen und ausgewertet werden. Daran ist vielleicht erkennbar, ob die Tiere gestresst oder wütend. sind. Ergebnisse dieser Frustrationsuntersuchung liegen noch nicht vor.

Zum Namens-Lern-Experiment hingegen gibt schon eine Zwischenbilanz: Die Zahl der Verletzungen hat sich halbiert, die Schweine sind weniger aggressiv untereinander und die Wissenschaftler mussten weniger Medikamente einsetzen. Möglicherweise werden Landwirte also in Zukunft mit dicken Namensbüchern über den Hof laufen. Gesucht sind wohlklingende, deutsche Vornamen mit drei Silben.

Adressen & Links

Website des Friedrich-Loeffler-Instituts, Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit
www.fli.bund.de

Internetseite des Leibnizinstituts für Nutztierbiologie
www.fbn-dummerstorf.de

Gesetzliche Regelungen zur Haltung von Nutztieren. Hier definierte Anforderungen/Änderungen sind der Hintergrund der Forschungsarbeiten, siehe § 22 (PDF)

Literatur

Forschungsprojekt über die Analyse von Protestlauten der Schweine vor der Fütterungsanlage:
Düpjan, S.; Schön, P.-Ch.; Puppe, B.; Tuchscherer, A.; Manteuffel, G., (2008),
Differential vocal responses to physical and mental stressors in domestic pigs (Sus scrofa)
Appl Anim Behav Sci 114: 105-115.

Autor: Björn Platz (NDR)

Stand: 21.05.2013 14:11 Uhr

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