So., 11.07.10 | 17:03 Uhr
Das Erste
Essen im Flugzeug
Warum das Essen an Bord eines Flugzeugs meist fad und langweilig schmeckt, haben Wissenschaftler des Fraunhofer Instituts in einem weltweit einmaligen Flugsimulator untersucht. Dabei sind sie nicht nur dem Geheimnis des Tomatensafts ein Stück näher gekommen.
Über den Wolken werden irdische Küchenregeln schnell außer Kraft gesetzt. Das sieht man schon an einem der beliebtesten Flugzeug-Getränke, dem Tomatensaft. Die Lufthansa schenkt davon im Jahr 1,6 Millionen Liter aus, das sind 100.000 Liter mehr als beim Bier. Die steile Flugzeuglaufbahn des Tomatensafts fängt wohl damit an, dass in luftiger Höhe die anderen Speisen kulinarisch veröden. Sobald nichts mehr schmeckt, kann auch ein Gemüsesaft zum Gourmet-Genuss werden
An den Zutaten liegt es nicht
Die Bordkost hingegen ist im Großen und Ganzen sehr unbeliebt. Zu Beginn der Verkehrsflugzeugs-Geschichte wurde noch an Bord gekocht, aber seit den 50er-Jahren, seitdem im Flugzeug nur noch Fertiggerichte aufgewärmt werden, meckern Passagiere über Bordessen.
Das liegt nicht unbedingt an den Köchen oder Zutaten. In der Großküche der LSG Sky Chefs am Münchner Flughafen bemühen sich 1.200 Mitarbeiter täglich nicht nur 40.000 Mahlzeiten pünktlich an Bord zu bringen. Indische, japanische, europäische, kurz gesagt, Köche aus allen Ecken der Welt sind angestellt, die Geschmäcker ihrer Landsleute zu treffen. Sie schneiden, würzen, rühren, backen nach allen Regeln der Kunst. Sie wissen aus Erfahrung, dass sie Flugzeug-Essen kräftiger würzen und salzen müssen. Asiatische Gerichte, die mit viel Soja-Soße und vielen Gewürzen zubereitet sind, kommen am besten an bei den Fluggästen. Doch selbst was am Boden richtig scharf schmeckt, hat in der Luft oft kaum noch Geschmack. Woran liegt es, dass die Würze über den Wolken so schnell verfliegt?
Der Druck ist zu niedrig
Der Antwort auf diese Frage ist Andrea Burdack-Freitag vom Holzkirchner Fraunhofer Institut für Bauphysik auf der Spur. Die Aroma-Chemikerin vermutet, dass die veränderten Druckverhältnisse an Bord eines Flugzeugs schuld sind am plötzlichen Geschmacksverlust.
Sobald das Flugzeug seine Reiseflughöhe erreicht hat, irgendwo zwischen 10.000 und 12.000 Metern, herrscht in der Kabine ein Druck, der etwa 2.000 bis 2.400 Metern über dem Meeresspiegel entspricht. Unter diesem veränderten Druck wird die Luft zum Atmen etwas knapper, allgemein hat das Blut etwas weniger Sauerstoff. Damit stehen auch den Geruchs- und Geschmacksrezeptoren weniger Sauerstoff zur Verfügung. Andrea Burdack-Freitag vermutet, dass diese Rezeptoren deswegen weniger leistungsfähig sind.
Ein Geruchstest unter Druck: Was vom Gummibärchen-Aroma übrig bleibt
Um ihre Annahmen zu überprüfen, bereitet die Forscherin einen Geruchstest vor. Sie verdünnt verschiedene Aromen, wie etwa Ethylbutanoat, vereinfacht Gummibärchenaroma, mit Wasser verschieden stark. Anschließend testet die Forscherin die Erkennungs- und Wahrnehmungsschwelle dieser Gerüche an Probanden – einmal unter Niederdruck und einmal unter normalem Druck.
Die Wahrnehmungsschwelle des Gummibärchen-Aromas liegt bei Normaldruck bei 0,5 µg/L Trinkwasser, bei Niederdruck steigt sie sofort auf 5 µg/L Trinkwasser, d.h. die Konzentration muss bei niedrigem Luftdruck zehn mal so hoch sein, bevor die Probanden sie wahrnehmen
Ein Geschmackstest im Flieger
Anschließend steigen die Testpersonen in eine ausgemusterte Kabine, die einmal ein Airbus A310 war und jetzt in einer Metallröhre des Fraunhofer Instituts steckt. Die Wissenschaftler können hier eine Reiseflughöhe von bis zu 12.000 Metern simulieren, also Druckverhältnisse, die denen in 2.200 Metern Höhe ähneln. Außerdem werden die Geräusche eines Flugzeugs vom Band abgespielt. Ein echtes "Fluggefühl" entsteht.
Die Probanden in der Röhre bekommen Portionen von pochierter Geflügelbrust, dazu gibt es eine Dillrahm-, eine Schnittlauch- und eine Limonensoße. Jeweils eine herkömmliche Bodenvariante und eine, die fürs Fliegen verändert worden ist. Die Testpersonen müssen bewerten, welche Rezepturen besser schmecken. In weiteren Durchgängen kommen Mangocreme und Rote Grütze hinzu.
Bitter bleibt bestehen, Salz schwindet
Nach insgesamt fünf Testserien mit circa 150 Probanden kann Andrea Burdack-Freitag schließen, dass vor allem Säuren und Bitterstoffe vom Luftdruck unbeeindruckt bleiben. Bitter ist ein wichtiges Warnsignal für den Körper gegen potenzielle Gifte. Schwankungen in seiner Wahrnehmung kann der Körper nicht zulassen.
Salz und Zucker nehmen in der Wahrnehmung aber um etwa 30 Prozent ab. Wenn die Köche nicht aufpassen, dominieren Säuren und Bitteraromen schnell ein Menü. Bei Weinen kannte man dieses Phänomen der Geschmacksveränderung schon seit längerem: Leichte säuerliche Weine schmecken an Bord eines Flugzeugs nur noch sauer; erdige, schwere Weine hingegen sind auch in der Kabine ein Genuss.
Auch dem Rätsel des Tomatensafts kommt die Forscherin etwas näher: Seine steile Flugzeugkarriere verdankt er vor allem seinem bitteren Aroma, das am Boden muffig wirkt, aber über den Wolken fruchtig und kühlend schmeckt. Außerdem zügeln diese Bitterstoffe den Appetit.
Adressen & Links
Im Fraunhofer Institut für Bauphysik in Holzkirchen steht der Flugsimulator.
Fraunhofer Institut für Bauphysik Holzkirchen
Fraunhoferstraße 10
83626 Valley
Internet: www.ibp.fraunhofer.de
Autorin: Nicoletta Renz (BR)
Stand: 12.08.2015 13:34 Uhr