So., 22.08.10 | 17:03 Uhr
Das Erste
Fledermäuse im Märchenwald
Die Forscher um den Biologen Markus Dietz haben eine Mission: Sie sammeln Wissen über das Leben der Fledermäuse. Wissen, das helfen soll, diese geheimnisvollen Nachtflieger besser zu schützen. Denn alle in Deutschland lebenden Fledermausarten sind bedroht.
Der Nationalpark Kellerwald am nordhessischen Edersee ist ein besonders lohnendes Forschungsrevier: Einer der letzten großen Rotbuchenwald-Bestände Mitteleuropas bietet den nächtlichen Jägern beste Lebensbedingungen. Er ist Deutschlands jüngster Nationalpark und der einzige in Hessen. Ein Naturraum, der Wildnis werden soll und den Forschern einiges zu bieten hat.
"Der Kellerwald ist besonders deswegen attraktiv," sagt Markus Dietz, "weil er ein ausgedehntes Waldgebiet ist, 5.500 Hektar überdurchschnittlich alter Buchenwald, ohne Zerschneidung durch Straßen und Siedlungen. Wald ist in Mitteleuropa für Fledermäuse ein ganz zentraler Lebensraum – und deshalb ist die Erforschung in so einem relativ unberührten Waldgebiet ganz besonders spannend."
Jagd mit Netz und Bat-Corder
Markus Dietz ist einer der renommiertesten Fledermausexperten. 15 verschiedene Spezies sind dem Biologen im Nationalpark Kellerwald bislang ins Netz gegangen.
Gefangen werden aber nicht nur die Tiere, sondern auch ihre Töne. Mit einer Seilkonstruktion hieven die Forscher ein Aufnahmegerät – den sogenannten Bat-Corder – in die Höhe, um auch in den Wipfeln des Kellerwaldes zu erkunden, welche Arten hier nachts unterwegs sind. W wie Wissen hat die Fledermaus-Experten bei einer ihrer Expeditionen begleitet.
Den Tag verbringen die Fledermäuse in ihren Quartieren. Mit etwas Glück werden die Forscher in toten Baumstämmen fündig. Bewohner der Baumhöhlen sind seltene Bechsteinfledermäuse. Gegen zehn Uhr abends schwärmen sie aus zur Insektenjagd.
Die Wasserfledermaus ist eine der charakteristischsten Arten im Nationalpark und jagt ausschließlich über Gewässern nach Fliegen und Mücken. Und auch eine Langohrfledermaus geht ins Netz: Woher sie ihren Namen hat, erklärt Markus Dietz: "Das liegt an ihren großen widderförmigen Ohren, die sie auf den Rücken legt, wenn sie sich ein bisschen bedroht fühlt. Wenn sie nachher wieder losfliegt, dann stellt sie die Ohren ganz senkrecht. Sie hat sehr breite Flügel; das heißt, sie kann auch wie ein Kolibri in dichter Waldvegetation fliegen und sammelt dann Spinnen und Raupen direkt von den Blättern ab – sie hört diese Beutetiere mit den großen Ohren."
Fledermäuse nisten auch in menschlichen Siedlungen
So besetzen die einzelnen Arten im Nationalpark Kellerwald ganz unterschiedliche ökologische Nischen und kommen sich kaum in die Quere. Ein weiteres Tier, das sich im Netz verfangen hat, wehrt sich laut schimpfend dagegen, auch nur vorrübergehend zum Forschungsobjekt zu werden. Und verrät dadurch, um wen es sich hier handelt: "So schimpft nur eine Bartfledermaus", weiß Markus Dietz. "Eine typische baumbewohnende Fledermausart. Große und Kleine Bartfledermaus sind eigentlich ziemlich identisch, aber man sie anhand der Penisform unterscheiden: Sie hat so einen keulenförmigen Penis, und dadurch ist sie sicher als Große Bartfledermaus bestimmbar."
Die Tiere bringen zum Teil gerade mal sieben Gramm Körpergewicht auf die Waage. Und doch frisst jedes einzelne von ihnen pro Nacht rund 4.000 Insekten.
Aber nicht nur im Wald leben die nachtaktiven Jäger – auch menschliche Siedlungen suchen sie sich als Quartier aus. Das Ederseedorf Vöhl liegt in unmittelbarer Nachbarschaft zum Nationalpark. In der Kirche haben sich Große Mausohren einquartiert: die größte mitteleuropäische Fledermausart mit einer Flügelspannweite von fast 40 Zentimetern.
Manche Fledermäuse kommen auch in menschlichen Siedlungsräumen zurecht, sofern sie absolut ungestört bleiben.
Autor: Marcus Hansmann (HR)
Stand: 05.07.2013 09:01 Uhr