So., 05.12.10 | 17:03 Uhr
Das Erste
Katapult für High-Speed-Züge
Früher war Aerodynamik für die Entwicklung von Zügen eher nebensächlich. Heute ist sie die Schlüsseltechnologie für zukünftige Generationen von Hochgeschwindigkeitszügen. Es geht nicht nur darum wirtschaftlicher und leiser zu fahren - jenseits von 300 Kilometer pro Stunde müssen Ingenieure verhindern, dass Züge einfach abheben und aus der Spur fliegen, weil der Abtrieb fehlt.
Wie wir in Zukunft reisen
Schon heute stehen Bahn und Flugzeug auf vielen Strecken in direkter Konkurrenz. Langfristig werden sich Züge nur durch höhere Geschwindigkeiten behaupten können. Statt der heute 300 Kilometer pro Stunde schnellen ICE sollen zukünftig über 400 Kilometer pro Stunden schnelle Züge auf den Langstrecken unterwegs sein.
Im Projekt "Next Generation Train" (NGT) lotet das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) mögliche Gefahren und Grenzen solch zukünftiger Hochleistungszüge aus.
Um wirtschaftlich zu fahren, dürfen zukünftige Hochgeschwindigkeitszüge je Fahrgast höchstens halb soviel Energie verbrauchen wie heutige ICE. Doppelstockzüge ermöglichen mehr Fahrgäste bei gleicher Zuglänge, die Züge sollen also viel höher und breiter als heutige sein. Nur extremer Leichtbau ermöglicht solche Dimensionen. Die Ingenieure betreten mit dem NGT technologisches Neuland. Vor allem für die aerodynamischen Herausforderungen solcher Züge gibt es kaum Erfahrungswerte.
Aerodynamische Probleme
Große und schnelle Leichtbauzüge wie der NGT sind für Aerodynamiker ein Alptraum. Bei modernen Zugantrieben drückt keine schwere Lok mehr vorne auf die Schienen. Das Gewicht wird gleichmäßig auf viele Antriebsachsen verteilt, der Zug wird vorne vergleichsweise leicht. Nur eine aerodynamisch optimierte Form kann gewährleisten, dass solche Züge auch bei Höchstgeschwindigkeit nicht einfach abheben und entgleisen.
Ein weiteres Problem ist der Seitenwind. Er hat durch die zukünftig höheren Züge mehr Angriffsfläche und könnte die leichten Züge aus den Schienen kippen.
Auch der größere Querschnitt des NGT führt zu neuen Herausforderungen. Der Zug füllt bestehende Tunnel stärker aus. Bei Gegenverkehr oder bei engen Tunnelquerschnitten könnte die verdrängte Luft Druckspitzen erzeugen, die sogar Zugfenster eindrücken und Passagiere verletzen könnten. Das wäre schon bei 300 Kilometer pro Stunde ein Problem. Wie das bei zukünftigen 400 Kilometer pro Stunde funktionieren soll, müssen die Ingenieure noch herausfinden.
Ein Katapult für Züge
Anders als Flugzeuge fahren Züge auf Bahndämmen, durch Tunnel oder können auf einer Brücke plötzlich von Sturmböen erfasst werden. In herkömmlichen Windkanälen lassen sich solch spezielle Problemfälle kaum untersuchen. Das Team um Prof. Andreas Dillmann hat am DLR in Göttingen eine völlig neuartige Versuchsanlage entwickelt. Hier wird ein Zugmodell durch ein Katapult auf 400 Kilometer pro Stunde beschleunigt und fährt auf Schienen durch eine sechzig Meter lange Teststrecke. Erstmals können so Tunneldurchfahrten und Seitenwindeinflüsse direkt an einem fahrenden Modell beobachtet und gemessen werden.
Seitenwind ist für schnelle und hohe Leichtbauzüge das größte Sicherheitsproblem. Wie beim Auto wird auch hier der Einfluss mit der Geschwindigkeit stärker, die Gefahr größer. Mit den fahrenden Zugmodellen können die Ingenieure diese Effekte nicht nur messen. Sie möchten auch aerodynamische Lösungen entwickeln, die Züge in der Spur halten. Damit zukünftige Hochgeschwindigkeitszüge nicht schon bei leichtem Seitenwind abbremsen müssen.
Ein in Tunnel einfahrender Zug verdrängt die Luft darin wie ein Kolben in einem Zylinder. Um die gefährlichen Druckspitzen zu verringern, testen die Ingenieure auf der neuen Testanlage spezielle Tunnelvorbauten. Diese leiten den Druck durch Schlitze zur Seite ab.
Eines ist jetzt schon klar: Bevor zukünftige Züge regelmäßig 400Kilometer pro Stunde und mehr fahren können, müssen die Ingenieure noch viele Probleme lösen.
Autor: Vladimir Rydl (Bild: SWR)
Stand: 18.09.2015 14:27 Uhr