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Kleingärten bewahren die Artenvielfalt

Alte Nutzpflanzen
Anbau alter Nutzpflanzen | Bild: NDR

"Ostfriesische Palme". Diesen exotischen Namen trägt eine alte Grünkohlsorte, die bis in die fünfziger Jahre in fast jedem Norddeutschen Garten und Bauernhof anzutreffen war. Doch heute ist sie nicht mehr auf dem Markt zu finden. Der Grund: Sie ist aus der EU-Sortenliste für Saatgutpflanzen herausgeflogen, das heißt, die Grünkohlsorte ist im Handel nicht mehr zu bekommen.

Erdbeeren, Kartoffeln, Bohnen, Linsen. Es gibt von jeder Nutzpflanze Hunderte von Sorten, die allerdings nicht mehr zu kaufen sind. Allein die Tomate zählt weltweit über 3.000 Variationen, von der jede ihre spezifischen Eigenschaften hat. Mal schmecken sie besonders gut oder sie können mit Umweltbedingungen wie Trockenheit, Staunässe, Pilzbefall oder Nährstoffangebot an ihrem Standort besonders gut umgehen. Allerdings: Gegenüber modernen Hochleistungssorten ist ihr Ertrag geringer oder die Ernte ist maschinell nicht zu bearbeiten. Und das bedeutete das Aus in der modernen Landwirtschaft.

Arche Schreber

Kranke Tomatenpflanze
Eine kranke Tomatenpflanze - liegt es am Boden? | Bild: NDR

Dass es überhaupt noch alte Nutzpflanzen gibt, ist zu einem großen Teil auch den Schrebergärtnern zu verdanken. Sie haben die alten Sorten unverdrossen angebaut und untereinander getauscht. Heute sind die Nutzpflanzen-Freunde in Vereinen europaweit vernetzt. Das schafft eine paradoxe Situation: Obwohl weltweit geschätzte 75 Prozent aller alten Nutzpflanzen ausgestorben sind, ist die Verfügbarkeit der restlichen Sorten noch nie so gut gewesen.

Die Vorteile der ursprünglichen Vielfalt, lassen sich am Beispiel von Tomaten sehr gut verdeutlichen. Schrebergärtnerin Astrid Boblest hat jedes Jahr das gleiche Problem. In ihrem Garten fangen die Tomaten schon vor der Blüte an zu gammeln. Dieses Jahr holt sie sich Rat bei Thomas Ebel. Er ist Ökolandwirt und Vorsitzender eines Vereins zur Erhaltung und Rekultivierung alter Nutzpflanzen (VERN e.V.). Die Ursache ist schnell gefunden. Für handelsübliche Tomatenpflanzen ist ihr Boden viel zu feucht.

Reichhaltiges Angebot

Tomate "Black Sea Man"
Tomate "Black Sea Man" | Bild: NDR

Im Schaugarten von VERN e.V. ist Anfang Juni Auspflanzzeit, die Tomaten kommen ins offene Gewächshaus. Über 70 Sorten. Sie heißen: Goldene Königin, Rheinlands Ruhm oder Black Sea Man. Doch keine der später zu erntenden Tomaten ist hier zum Verzehr bestimmt. "Die pflanzen wir hier ins Gewächshaus. Und sie werden eigentlich nur zur Samengewinnung angebaut.", sagt Thomas Ebel. Sieben Vollzeitkräfte vermehren für den Verein VERN e.V. Hunderte Pflanzensorten, die vom Aussterben bedroht sind – von Kartoffeln über Lauch bis zur Petersilie. Die Samen, Knollen oder Stecklinge kaufen dann interessierte Kleingärtner. Die alten Nutzpflanzen liefern zwar weniger Ertrag als die Hochleistungssorten aus dem Supermarkt. Doch dafür bieten sie geschmackliche Vielfalt, sind robust und brauchen weniger Pflege.

"Roter Zwerg" aus der Gen-Bank

"Roter Zwerg"
Eine Tomatenpfanze der Sorte "Roter Zwerg" | Bild: NDR

Neben dem Vereinsgarten hat Thomas Ebel aber noch andere Quellen, wo er nach einer geeigneten Tomatensorte für Frau Boblests nassen Boden suchen kann. In einer privaten Datenbank wird er fündig, welche Pflanze die richtige ist – die Buschtomate "Roter Zwerg" müsste sich perfekt eignen. Sie hat das große Sortensterben überlebt: im Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) in Gatersleben. Das Institut beherbergt eine Genbank, über 3.200 alte Obst- und Gemüsesorten werden hier in einer der weltweit größten Lebendsammlungen angebaut und vermehrt. Dieser Aufwand wird nicht aus Nostalgie betrieben.

Alte Sorten für die Zukunft

Alte Nutzpflanze
Das IPK will alte Kulturpflanzen erhalten | Bild: NDR

Die Wissenschaftler interessieren sich vor allem für bestimmte Eigenschaften der alten Nutzpflanzen. Zum Beispiel könnten wegen des bevorstehenden Klimawandels zum Beispiel trockenresistente Sorten sehr wichtig werden. Prof. Dr. Andreas Graner: "Kulturpflanzen sind, wie der Name es sagt, ein Kulturgut, das über die letzten zehntausend Jahre hinweg von unseren Vorfahren erhalten und entwickelt wurde. Und wir erhalten das Material um die in diesen Pflanzen enthaltenen genetischen Ressourcen, wie wir sie nennen, vorhanden positiven Eigenschaften in Zukunft wieder nutzbar zu machen."

Extremer Aufwand

Tiefgekühlte Pflanzensamen
Samenbank für alte Nutzpflanzen | Bild: NDR

Zahllose Gewächshäuser mit knapp 150.000 Einzelpflanzen liefern Samen, die bei -18 Grad Celsius im "Tiefkühlschlaf" gelagert werden. Sie werden nur zur Vermehrung, je nach Pflanze, alle fünf bis 30 Jahre "aufgeweckt" und vermehrt.
Alle Pflanzen sind genetisch erfasst und mit anderen Genbanken abgeglichen. Und in der Kühlkammer der Genbank ruht auch der Samen des "Roten Zwerges" Davon bekommt Herr Ebel nun 30 Stück. Wie übrigens jeder, der eine alte Nutzpflanze im Katalog entdeckt und sie in seinem Garten anbauen möchte. Und das kostenlos! Denn die Genbank kann zwar Pflanzen vor dem Aussterben retten, allerdings ist die Anbaufläche im Institut begrenzt. Deshalb sind Vereine und Schrebergärten die wichtigste Ergänzung. Jeder Quadratmeter für alte Sorten zählt, dafür gibt es die Samen kostenlos.

Thomas Ebel ist am Ziel: Mit dem "Roten Zwerg" hat eine alte Nutzpflanze ein Stück Lebensraum zurück gewonnen. Frau Boblest freut sich, bei einer wichtigen Mission dabei zu sein. Und auf leckere Tomaten natürlich auch.

Adressen & Links

Vereins zur Erhaltung und Rekultivierung alter Nutzpflanzen (VERN e.V.)
Schau- und Lehrgarten Greiffenberg
Burgstr. 20
D-16278 Greiffenberg
Tel. 033334-70232
www.vern.de

Genbank Gatersleben
IPK Gatersleben
Corrensstraße 3
06466 Gatersleben

Autor: Uwe Leiterer (NDR)

Stand: 10.09.2012 11:48 Uhr

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