So., 14.02.10 | 17:03 Uhr
Das Erste
Kunstblut
Rubinrotes Blut sickert über steingrauen Asphalt - Was uns als Krimi-Fans in Stimmung bringt, lässt uns bei eigenen Verletzungen erschauern: Plötzlich werden wir uns bewusst, dass eine Flüssigkeit durch unseren Körper zirkuliert. Was ist das eigentlich für ein Zaubersaft, ohne den wir nicht leben können?
Mit bis zu vier Kilometern pro Stunde rauscht Blut durch den Körper. Im Blut enthalten sind rote Blutkörperchen, die Erythrozyten, weiße Blutkörperchen und Blutplättchen. Die Erythrozyten sorgen für den Sauerstoff-Transport im Körper, ohne den wir nicht lebensfähig wären. Ein gesunder Mensch bildet rund 200 Milliarden rote Blutkörperchen am Tag. Die weißen Blutkörperchen, auch Leukozyten genannt, steuern die Immunabwehr und die Blutplättchen die Blutgerinnung.
Die Nachfrage steigt
Verlieren wir durch einen Unfall mehr als ein Drittel unseres Bluts, brauchen wir schnellstens Ersatz. Doch der wird immer knapper, denn Blutspender dürfen nicht älter als 69 Jahre sein - und die Gesellschaft wird immer älter. Damit steigt auch die Zahl der Kranken, die Operationen und somit Blutkonserven benötigen.
Derzeit werden in Deutschland mehr als zwei Millionen Liter Blut jährlich aus Adern gezapft. Doch da gleichzeitig der Bedarf an Bluttransfusionen in Europa gestiegen ist, klagen manche Mediziner schon jetzt hinter vorgehaltener Hand über Engpässe in den Depots. Die auch dadurch zustande kommen, dass Vollblut-Konserven nur bis zu 42 Tage haltbar sind. Etwa jede 20. Konserve verfällt ungenutzt.
Wertvolle Tropfen
Zudem werden immer mehr Blutspender ausgemustert: Spenderblut muss frei sein von Krankheitskeimen - etwa Aids oder Hepatitis - und darf nicht von Personen gegeben werden, die sich in den 80er- und 90er-Jahren länger in Großbritannien aufgehalten haben. Ihr Blut könnte mit den Erregern des Rinderwahnsinns (BSE) verunreinigt sein.
Entscheidend ist auch die Blutgruppe des Spenderbluts (A, B, AB, 0) und der Rhesus-Faktor (+ und -): Die Blutgruppen und Rhesus-Faktoren dürfen untereinander nicht gemischt werden, sonst verklumpt das Blut und verstopft die Adern. Dazu ist der Bedarf an den einzelnen Blutgruppen unterschiedlich hoch. Vor allem die Blutgruppe 0 negativ ist sehr gefragt, da dieses Spenderblut für alle anderen Blutgruppen verträglich ist.
Wunschtraum "Kunstblut"
Weil Blut knapp ist, nur begrenzt haltbar und – auch wenn die Blutgruppe beachtet wurde – vom Empfänger nicht immer gut vertragen wird, träumen Wissenschaftler schon seit langem davon, Blut künstlich herstellen zu können. Dabei handelt es sich nicht um vollwertiges Blut, sondern um Substanzen, die fähig sind Sauerstoff und Kohlendioxid in den Blutbahnen zu transportieren. Bisher ging dieser Traum nicht in Erfüllung, denn die eingesetzten Kunstblut-Substanzen scheiterten in Tests. Es gab bei klinischen Tests sogar Todesfälle, woraufhin diese sofort eingestellt wurden. Momentan experimentieren nur noch wenige Wissenschaftler an synthetischen Sauerstoff-Trägern. Hier ein paar der getesteten Stoffe:
- Perfluorcarbon (PFC): In den 80er-Jahren setzten Forscher große Hoffnungen auf diese Substanz. Sie kann Sauerstoff binden und abgeben wie rote Blutkörperchen. Doch in Tierversuchen zeigte sich, dass PFC in der Blutbahn giftig wirkt und zu schnell abgebaut wird. Derzeit wird PFC nur zur Beatmung von lungenkranken Frühgeborenen eingesetzt, weil es in der Lunge nicht schädlich ist.
- Schweine- oder Rinder-Hämoglobin: Der rote Blutfarbstoff Hämoglobin wird aus roten Blutkörperchen von Schweinen oder Rindern isoliert, da der menschliche Körper die Blutkörperchen als Fremdkörper erkennen und vernichten würde.
Das Hämoglobin ist der eigentliche Sauerstroff-Transporter. Das Problem: Freies Hämoglobin, ohne umhüllendes Blutkörperchen wirkt giftig. Es bekommt daher eine künstliche wachsartige Hülle, also sozusagen ein künstliches Blutkörperchen als Hülle. Das Schweine-Hämoglobin-"Kunstblut" ist in Deutschland nicht zugelassen, soll aber laut Herstellerfirma bald in Mexiko getestet werden. Manche Forscher schrecken angeblich auch nicht vor Selbstversuchen zurück. In Mexiko kam das künstliche Hämoglobin bisher nur als Spray zur äußerlichen Anwendung zum Einsatz - bei Diabetes-Patienten mit schlecht heilenden Wunden. In Einzelfällen soll es angeblich geholfen haben. Klinische Studien und damit ein wissenschaftlicher Beweis der Wirksamkeit und Verträglichkeit fehlen aber noch.
Sparen statt spenden
Weil funktionierendes Kunstblut nicht vorhanden ist und weil Blutkonserven sehr wertvoll sind und bis zu 400 Euro kosten, setzen Mediziner zusätzlich auf Sparmaßnahmen: Mittlerweile sind Geräte verfügbar, die bei Operationen verlorenes Blut auffangen, reinigen und dem Patienten während des Eingriffs wieder verabreichen.
Der Arzt und Forscher Professor Oliver Habler aus Frankfurt hat noch eine weitere, zunächst paradox erscheinende Methode entwickelt. Er nimmt, vor einem Eingriff zwei Beutel, also rund einen Liter Blut ab. Der Blutverlust wird mit einer speziellen Lösung ausgeglichen, sodass der Flüssigkeitshaushalt stabil ist. Die Folge: Das Blut im Körper wird verdünnt, es enthält weniger wertvolle rote Blutkörperchen. Verliert die Patientin bei der Operation Blut, dann nur verdünntes mit weniger Blutkörperchen. Zudem kann Habler seinen Patienten das abgenommene Blut nach der Operation wieder zuführen und weiß, dass sie es ohne Probleme vertragen wird.
Außerdem packt Habler seine Patienten warm ein. Er hat in Studien festgestellt: Wenn der Körper nur geringfügig auskühlt, nimmt die Gerinnungsfähigkeit des Blutes ab – Blutungen, die durch die Operation entstehen, nehmen zu.
Die Chirurgen setzen bei Schnitten in stark durchblutetes Gewebe mittlerweile auch keine Skalpelle mehr ein, sondern Spezialgeräte wie den Stapler: Während er schneidet, klammert er das Gewebe sofort wieder zu. Verletzungen an kleineren Blutgefäßen werden zudem mit heißem Gas verödet. So sind Operationen ohne Blutverlust möglich.
Adressen & Links
Nordwestkrankenhaus Frankfurt, Klinik für Anästhesiologie, operative Intensivmedizin und Schmerztherapie
Prof. Dr. Oliver Habler
Steinbacher Hohl 2-26
60488 Frankfurt
Literatur
Blut – von der Magie zur Wissenschaft
P.F.W. Strengers, W.G. van Aken u.a.
Spektrum Akademischer Verlag
ISBN-Nr. 3-86025-364-6
Autor: Jan Kerckhoff (BR)
Stand: 06.11.2015 14:00 Uhr