So., 28.02.10 | 17:03 Uhr
Das Erste
Land unter – Leben auf Pump(en)
Im Ruhrgebiet wird schon seit dem Mittelalter Steinkohle abgebaut. Nach derzeitigem Stand gibt es rund 14.800 Schachtanlagen mit einer geschätzten Länge von mehreren Tausend Kilometern. Genaue Zahlen existieren es nicht, weil viele Schachtanlagen in keiner Karte verzeichnet sind. Das gigantische Tunnelsystem ist nicht sehr stabil und der Untergrund ständig in Bewegung. Zwischen dem Niederrhein und Hamm hat sich an verschiedenen Stellen die Erde in den letzten 100 Jahren großflächig um bis zu 25 Meter gesenkt. Wenn das Bett der Emscher - neben der Ruhr der zweite größte Fluss in der Region - nicht mehrfach angehoben worden wäre, würde sie längst rückwärts fließen. Nur Deiche verhindern, dass sie über ihre Ufer tritt und tiefer liegende Stadtgebiete überflutet.
Polderflächen vom Rhein bis nach Hamm
Auch abseits der Emscher drohen Überschwemmungen. Das Grundwasser behält sein Niveau, auch wenn der Boden absinkt. An manchen Stellen im Ruhrgebiet kommt es bis an die Oberfläche und überschwemmt das Land. Es entstehen sogenannte Polder. Deshalb muss in diesen Gebieten das Wasser abgepumpt und durch ein komplexes Rohrsystem abgeleitet werden. Über zweihundert Pumpwerke laufen seit Jahrzehnten im Ruhrgebiet rund um die Uhr. Eines davon steht in Bottrop. Es wird von der Emscher-Genossenschaft betrieben und kann bei extremen Regenfällen pro Sekunde bis zu 42.000 Liter aus den Nebenläufen und Abwasserkanälen in die Emscher pumpen. Seine Hauptaufgabe ist es jedoch die Boye anzuheben. Die Boye war früher einmal ein ganz normaler Fluss. Heute sammelt sie sich in einer Mulde und kann nicht mehr in die Emscher abfließen.
Ganze Flüsse müssen gehoben werden
Schuld daran ist die Steinkohle. Ein dichtes Geflecht von Bergwerksschächten durchzieht das Ruhrgebiet. Doch wenn Kohle abgebaut wird, entstehen große Hohlräume im Untergrund. Nicht alle Stollen wurden früher nach dem Abtransport des schwarzen Goldes genügend gesichert oder verfüllt. Ein verhängnisvoller Fehler. Die vergessenen, nicht verfüllten Schächte brechen nach und nach ein. An der Oberfläche entstehen Mulden - teilweise bis zu 25 Meter tief. Flüsse treten über ihre Ufer, bilden Seen. Sie müssen deshalb eingedeicht werden. Viele Bäche und Flüsse – wie die Boye - liegen tiefer als der Fluss, in den sie einst mündeten. Ohne Pumpen stauen sie sich vor dem Deich auf. Das kostet enorm viel Energie. Jede der fünf Hauptpumpen in Bottrop verbraucht so viel Strom wie 1.000 Haushalte. Hunderte solcher Pumpen gibt es im Ruhrgebiet. Nach Angaben des Landtags in Nordrhein Westfalen kostet ihr Betrieb und Unterhalt zurzeit jährlich rund 55 Millionen Euro.
RAG Stiftung soll Ewigkeitskosten übernehmen
Da die Pumpen auf immer und ewig arbeiten müssen, fallen die Pumpkosten unter die sogenannten Ewigkeitslasten des Steinkohlebergbaus. Bis jetzt kommen die Bergwerksbetreiber dafür auf. Nach dem offiziellen Steinkohleausstieg 2018 soll die RAG-Stiftung die Rechnungen aus ihren Zinserlösen begleichen. Sie wurde 2007 auf Initiative des damaligen RAG-Vorstandsvorsitzenden Dr. Werner Müller gegründet. Der alleinige Eigentümer ist die Ruhrkohle AG, zu deren Besitz auch die heutige Evonik Industries AG mit den Geschäftsfeldern Chemie, Energie und Immobilien gehört. Allein um alle Pump- und Polderkosten zu decken, braucht die Stiftung nach eigenen Angaben ein Stammkapital von sieben Milliarden Euro. Den Grundstock dafür will die RAG-Stiftung über den Börsengang ihrer Tochter Evonik und den damit verbundenen Verkauf von drei Vierteln ihrer Evonik-Anteile aufbauen. Aufgrund der derzeit äußerst problematischen Weltwirtschaftslage wurde der bereits für 2008 geplante Börsengang vorerst verschoben.
Die Deiche am Rhein sind höher als an der Küste
Nicht nur der Emscher, auch dem Rhein hat der Steinkohle-Bergbau das Bett abgegraben. Damit heute in Höhe Duisburg überhaupt noch Schiffe sicher fahren können, musste das Flussbett auf einer Strecke von 15 Kilometern immer wieder aufgeschüttet werden. Um mehrere Meter hat sich der Boden an der Rhein-Emschermündung gesenkt. Die Rheindeiche sind deshalb inzwischen höher als die Küstendeiche an der Nordsee. Was passiert, wenn ein schützender Rheindeich bricht oder überflutet wird, zeigt ein Experiment der Universität Aachen: Weite Teile der niederrheinischen Ebene würden haushoch überspült. Für alle Landsenkungen im Ruhrgebiet gibt es inzwischen Hochwassersimulationen. Bei einem Deichbruch in Höhe der Emschermündung wären 5.000 Menschen betroffen. Allein um die durch Steinkohlbergbau notwendig gewordenen Deiche zu sichern, sind mehrere Hunderttausend Euro pro Jahr von Nöten.
Nicht nur oben, sondern auch untertage bereitet das Wasser Probleme. In die Bergswerksstollen dringen Regen und Grundwasser ein. Die meisten Schachtanlagen sind unterirdisch miteinander verbunden. Sammelt sich Wasser in nur einem Stollen, laufen nach und nach alle voll. Der Boden weicht auf. Es drohen Erdrutsche. Außerdem ist das Wasser in den Schächten meist stark mineralhaltig und sauer. Vermischt es sich in höheren Schichten mit Grundwasser, wird dies als Trinkwasser unbrauchbar. Deshalb muss das gesamte Geflecht auf immer und ewig trocken gehalten werden.
Kosten für die Ewigkeit
Die Kosten dafür beziffert die Ruhrkohle AG zurzeit auf über 85 Millionen Euro pro Jahr. Tendenz steigend. Alle Berechnungen orientieren sich an den Strompreisen von 2005, plus einer Teuerungsrate von 1,75 Prozent pro Jahr. Steigen die Energiekosten aber stärker, als erwartet, und geht der RAG Stiftung irgendwann das Geld aus, bleiben die Pumpkosten beim Steuerzahler hängen. Dabei entfallen zwei Drittel auf die Bergbauländer NRW und Saarland und ein Drittel auf den Bund – für immer und ewig.
Adressen & Links
Die Hochwasserschutz der Emscher Genossenschaft informiert auf seiner Website über Hintergründe, Schutzmaßnahmen und bietet detaillierte Karten von möglichen Überschwemmungsgebieten.
www.eglv.de
Der Wortlaut des Steinkohlefinanzierungsgesetz 20.12.2007 (PDF):
www.gesetze-im-internet.de
Autor: Michael Ringelsiep (WDR)
Stand: 18.06.2014 14:38 Uhr