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Reinigt Dreck den Magen? Schützt Staub vor Allergien?

Kinder im Kuhstall
Schützt das vor Allergien? | Bild: HR

Seit Jahren beobachtet die Oberärztin Erika von Mutius am Dr. von Haunerschen Kinderspital in München, dass Allergien und Asthma dramatisch zunehmen. Allerdings nicht bei Kindern, die auf dem Bauernhof aufwachsen. Sie leiden viel seltener an Heuschnupfen oder Asthma als andere Kinder. Zusammen mit einen internationalen Forscherteam sucht Prof. von Mutius nach den Ursachen: Hat dieser sogenannte "Bauernhofeffekt" mit dem Schmutz und Staub auf dem Bauernhof zu tun? Ist Dreck möglicherweise doch – wie es Großmuttern schon wusste - besser als sein Ruf ? Und wird ausgerechnet er schon bald die Grundlage sein für einen Impfstoff gegen Allergien?

Bakterien im Stallstaub spielen eine wesentliche Rolle

Bakterien durch Mikroskop
Kuhstallkeime schützen vor Allergien | Bild: HR

Was die Forscher vor allem interessiert, ist der Staub im Tierstall: "Wenn sie dort gegen das Licht schauen, dann sehen Sie Unmengen von Partikeln schweben und das ist das, was die Kinder auf dem Bauernhof einatmen und auch mit in die Wohnung tragen", erklärt von Mutius. "Asthma ist eine Erkrankung der Atemwege, also wollen wir genau wissen, was die Leute da einatmen."

Wissenschaftler aus verschiedenen europäischen Ländern sammelten deshalb Staubproben. Sie wollten wissen, worin unterscheidet sich der Staub von Bauernhöfen und normalen Haushalten? Den ersten Hinweis brachten Zerfallsprodukte von Bakterien, die im Staub enthalten sind. Sie können beim Menschen Entzündungsreaktionen auslösen. Der Gehalt dieser sogenannten Endotoxine war auf Bauernhöfen mehr als doppelt so hoch wie in normalen Haushalten. Außerdem fanden sie heraus: Je höher die Konzentration der Endotoxine in der Luft ist, desto geringer ist das Allergierisiko!

Bakterien spielen offensichtlich eine entscheidende Rolle. Aber welche sind es genau, die die entscheidenden Substanzen entstehen lassen? Die Forscher fahndeten weiter und tatsächlich: Unter 150 Keime entdeckten sie zwei Bakterienarten im Stallstaub, die das Immunsystem stimulieren und so zum Allergieschutz beitragen. Zwei harmlose Keime, wie sie in jedem Kuhstall zu finden sind!

Der Zeitpunkt, wann wir die Keime einatmen, ist entscheidend

Bauch mit Fötus
Unser Immunsystem lernt bereits im Mutterleib | Bild: HR

Und noch eine Spur verfolgten die Forscher. Befragungen zeigten: War die werdende Mutter häufig im Kuhstall und hielt sie sich auch noch mit ihrem Neugeborenen dort auf, hatte das Kind ein sehr viel geringeres Allergierisiko. Ist ein trainiertes Immunsystem also weniger anfällig für Allergien? Und kommt der Bauernhofeffekt schon im Mutterleib zum Tragen?

Biomediziner der Uni Marburg testeten das an Mäusen: Sie verabreichten schwangeren Mäusen einen der beiden auffälligen Stall-Bakterien und schauten, was mit deren Nachkommen passiert. Die Jungen dieser Mäuse setzen sie einige Minuten einer Asthma auslösenden Substanz aus. Das Ergebnis war verblüffend:
Keine der Mäuse erkrankte! "Das beweist zum ersten Mal", erklärt Prof. Harald Renz, "dass Keime, die die Mutter während der Schwangerschaft einatmet, Asthma bei ihrem Kind verhindern können. Und wir wissen auch aus diesen Studien, dass diese Keime in einem ganz engen zeitlichen Fenster wirken müssen - und das beginnt bereits in der Schwangerschaft."

Der Allergieschutz wird schon im Mutterleib "programmiert"

Immunzellen im Fötus lernen
Die Immunzellen des Fötus "üben" | Bild: HR

Vereinfacht ausgedrückt funktioniert das so: Die Mutter atmet die Keime ein. Auf den Schleimhäuten der Lunge sitzen Gewebezellen mit speziellen Sensoren. Sie erkennen die Bakterien und schicken Botenstoffe in den Blutkreislauf. Diese Stoffe gelangen auch in die Placenta und so ins Blut des Kindes: Jetzt kommt das noch unausgebildete Immunsystem des Fötus in Gang: Es reifen Abwehrzellen im Kind heran, die später natürliche Allergene wie Pollen oder Milbenkot im Hausstaub tolerieren. Ist der Kontakt der Mutter mit Keimen eingeschränkt, fehlt dieser Lernprozess und Allergien können leichter entstehen. Vor allem bis zum zweiten Lebensjahr ist das Immunsystem noch lernfähig. Allerdings: Neben der positiven Belastung mit den Stallmikroben spielt auch die genetische Vorbelastung eine wesentliche Rolle.

Bald könnte es einen Impfstoff gegen Allergien geben

Reagenzglas in einer Versuchsanordnung
Inhaltsstoffe des Stallstaubs sind für die Impfstoff-Forschung interessant | Bild: HR

Der Schutz aus der Umwelt kann vielleicht bald geimpft werden, dank der Erkenntnisse aus den Bauernhofstudien und einer weiteren Entdeckung, die Wissenschaftler der Ruhr-Uni Bochum gemacht haben: Sie stellten im Stallstaub eine große Menge an pflanzlichen Substanzen fest, die ebenfalls allergieschützend wirken – Zuckermoleküle aus dem Heu. Beim Füttern der Tiere werden auch die in die Stall-Luft gestäubt. Prof. Albrecht Bufe will sie mit den oben erwähnten bakteriellen Substanzen kombinieren und bis in zehn Jahren daraus einen Impfstoff entwickelt haben. Dann könnten endlich auch diejenigen aufatmen, die NICHT auf dem Bauernhof aufwachsen !

Autorin: Juliane Hipp (HR)

Stand: 22.09.2015 12:40 Uhr

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