So., 17.10.10 | 17:03 Uhr
Das Erste
Zensus der Meere in Neuseeland
Der weltweite Zensus der Meere, der rund 2.700 Meeresbiologen in allen Meeresregionen der Welt beschäftigte, reichte bis ans sogenannte Ende der Welt. Neuseeland, der Inselstaat im Südpazifik, hat im Verhältnis zu seiner relativ kleinen Landmasse eine der größten Meeres-Hoheitszonen der Welt. Was die Meereszone um Neuseeland aber so interessant für die Wissenschaftler macht, ist die hohe Artenvielfalt in den neuseeländischen Gewässern. Eine Artenvielfalt, die auch noch zu 95 Prozent endemisch ist, also nur hier vorkommt.
Leben in Extremzonen
Was Neuseelands Meerestiere noch auszeichnet, sind die extremen Lebensbedingungen, in denen sie gedeihen. Das Spektrum reicht von der Tiefsee in den kalten antarktischen Gewässern bis zu den heißen Thermalquellen an den Flanken unterseeischer Vulkane. Dieses Leben in den Extremzonen von "Feuer und Eis" fasziniert die Meeresbiologen besonders, weil es im Zuge der Evolution völlig andere Formen angenommen hat als in den temperierten Meereszonen. Aber die Suche nach und das Einsammeln von Meerestieren ist in diesen Extremzonen auch extrem schwierig, wie die Mannschaft und die Wissenschaftler auf dem neuseeländischen Forschungsschiff "Tangaroa" bestätigen können. Die Tangaroa des National Institute of Water and Atmospheric Research (NIWA) erforschte das antarktische Rossmeer südlich von Neuseeland und die vulkanischen Kermadec-Inseln im Norden.
Tiefseewesen in der Antarktis
Auf ihrer 50-tägigen Forschungsreise in die Antarktis legte die Tangaroa rund 10.000 Kilometer zurück. Tangaroa heißt der Meeresgott der Maori und im stürmischen Südpolarmeer beutelt er das Schiff mit 15 Meter hohen Wellen. Der Seegang ist so extrem, dass die Wissenschaftler kaum ihre Messgeräte ausbringen können und größtenteils seekrank in den Kojen liegen. Hinterher werden sie erfahren, dass sie durch das schlechteste Wetter der letzten 30 Jahre gefahren sind. Erst nach Überwindung der Packeiszone kommt die Tangaroa in ruhigere Gewässer und die eigentliche Forschungsarbeit kann beginnen.
Das DTIS (Deep Towed Imaging System), eine Art Schlitten mit Foto- und Videokameras, wird auf den bis zu 3.500 Meter tiefen Meeresgrund abgelassen. Die Kameras nehmen 55 Stunden Videomaterial und 12.500 Fotos auf. Was die Forscher zu sehen bekommen, ist für sie so fremd wie die Oberfläche eines fernen Planeten. Die Bilder zeigen bisher völlig unbekannte Fische und Weichtiere sowie bizarr geformte Oktopusse, die in Wassertemperaturen um den Gefrierpunkt, hohem Wasserdruck und absoluter Finsternis überleben. Fotos und Videos allein genügen aber nicht, um Arten zu untersuchen und zu identifizieren. Deshalb bringt die Tangaroa auch immer wieder große Schleppnetze aus, mit denen der Meeresboden abgefischt wird. Diese normalerweise verpönte und zerstörerische Fischmethode ist der Tangaroa im Dienste der Wissenschaft erlaubt, denn nur so lassen sich Meerestiere aus der Tiefsee einsammeln.
Immer wenn das Schleppnetz eingeholt wird, ist die Spannung groß an Bord. "Das ist wie wenn der Weihnachtsmann mit einem großen Sack kommt und man weiß nicht, was drin ist", sagt einer der Meeresbiologen. Aus dem Schlamm, den das Netz mit hochgebracht hat, pulen die Forscher Fische und andere Lebewesen heraus. "Ich habe keine Ahnung was das ist", sagt einer und blickt auf den kleinen Fisch in seiner Hand. Als die Tangaroa in ihren Heimathafen in der neuseeländischen Hauptstadt Wellington einläuft, hat sie 37.000 verschiedene Arten von Meerestieren an Bord. In den meereswissenschaftlichen Labors beginnt jetzt die eigentliche Arbeit des Identifizierens und Benennens der Arten.
Schwarze Raucher und heiße Quellen
Nordöstlich von Neuseeland erstreckt sich über rund 1.000 Kilometer die in einem weiten Bogen gespannte Inselkette der Kermadecs. Sie besteht fast ausschließlich aus Vulkanen, die meisten davon sind unter Wasser. Die Kermadecs gehören zum sogenannten Ring of Fire, einer Kette aktiver Vulkane, die den Pazifik umringt. Mehrmals haben die Tangaroa und andere Forschungsschiffe die extremen Biotope an den Flanken der unterseeischen Vulkane untersucht. Dazu gehört vor allem die Umgebung der sogenannten Schwarzen Raucher, die heißes Wasser und Schwefelgase mit einer Geschwindigkeit von einem Meter pro Sekunde ausstoßen. Und doch gibt es an und auf den Kaminen Leben. In 1.600 Metern Tiefe, ohne Licht, bei einem Druck von 160 Bar und einer Temperatur von bis zu 350 Grad Celsius tummeln sich Krabben und andere Krustentieren sowie ganze Kolonien von Röhrenwürmern. Die aktiven Unterwasservulkane der Kermadecs gehören zu den extremsten Lebensräumen der Erde. Manche Forscher vergleichen diese Lebensbedingungen mit denen, die vor Millionen Jahren auf der Erde herrschten, als in der Ursuppe der Meere das Leben entstand.
Die Artenvielfalt der Meere ist erstaunlich und Neuseelands Gewässer bergen viele, an extreme Bedingungen angepasste Meerestiere. Diese Vielfalt ist aber auch bedroht: vor allem durch Überfischung, Verlust der Lebensräume durch die Bebauung der Küsten und durch Verschmutzung. Es liegt in unserer Hand, die Vielfalt der Arten nicht nur zu zählen, sondern sie auch zu schützen.
Autor: Ulli Weissbach (SWR)
Stand: 31.10.2012 12:09 Uhr