So., 19.06.11 | 17:03 Uhr
Das Erste
Astronautennahrung - Prost Mahlzeit
Egal, ob auf den frühen Apollo-Missionen oder jetzt in der Internationalen Raumstation ISS: Essen im Weltraum machte noch nie so rechten Spaß - auch wenn die Bilder aus dem Orbit von schwebenden Würstchen und Wassertropfen etwas anderes vermitteln. Das liegt vor allem daran, dass Essen im Weltraum eine komplizierte Sache ist und die "Menüs" ganz bestimmten Bedingungen entsprechen müssen. Hinter Gerichten wie "Shrimpcocktail", Gemüsequiche oder Aprikosen-Haselnuß-Dessert verbergen sich in der Regel bis zur Unkenntlichkeit gefriergetrocknete und sterilisierte Speisen, abgepackt in Klarsichthüllen. Genießbar wird das erst, wenn die Astronauten heißes Wasser zugeben und alles ordentlich durchkneten. Mahlzeit!
Gutes Essen - wichtig für Körper und Moral
Ernährungsforscher vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) wissen aber, dass daran was geändert werden muss. Denn ist das Essen zu fad, droht Unterversorgung im All. Kreislaufprobleme sind oft die Folge. Und schlechtes Essen schadet außerdem auch der Moral der Astronauten und gefährdet damit jede Mission. "Genuss hat einen großen Einfluss auf die Psyche", sagt die Ernährungswissenschaftlerin Dr. Petra Frings-Meuthen vom DLR in Köln. "Ein gutes Essen stellt auch die einzige Abwechslung im All dar. Und deshalb macht man sich Gedanken darüber, die Essenssituation für die Astronauten zu verbessern."
Blähungen? Nein danke!
Essen im All muss künftig mehr Spaß machen. Und Harald Wohlfahrt soll dabei helfen. Im Auftrag der Europäischen Weltraumbehörde ESA entwickelt der Drei-Sterne-Koch aus dem Schwarzwald neue Rezepte für das All. Dabei muss er aber vieles beachten. Denn falsch zubereitetes Space Food könnte Raumschiffen und Astronauten schaden! Um die richtige Küche für die Gäste der ISS zuzubereiten, hat Harald Wohlfahrt diverse Kurse bei der ESA belegen müssen. Es gelten genaueste Vorschriften und Kalorienmengen. Die Palette der Zutaten ist vorgeschrieben. Und einiges aus der irdischen Küche ist im All tabu. Aus gutem Grund!
"Die Zwiebelgewächse sind verpönt, weil die zu Blähungen führen können. Und die Astronauten können kein Fenster öffnen. Die müssen die Luft, die sie atmen, selber reinigen", erklärt der Koch das Problem.
Salz im All baut die Knochen ab
Aber deftig soll das Essen schon sein, damit es den Astronauten Appetit macht. Leider funktioniert der Geschmackssinn im All viel schlechter als auf der Erde. Harald Wohlfahrt muss deshalb viel mehr Würze in seine Rezepte bringen. Aromatische Gemüsesorten helfen ihm dabei. Genauso Kräuteressenzen oder Gemüsepasten.
Mit den richtigen Kochmethoden kann er den Geschmack aller Zutaten konzentrieren. Das ist auch nötig, weil er auf das wichtigste Gewürz überhaupt verzichten muss: auf Salz! Denn Salz steht im Verdacht, den Knochen der Astronauten zu schaden.
Im Schnitt verliert ein Mensch während eines Monats im All ein Prozent seiner Knochenmasse. Lange dachten Weltraummediziner, die geringe Belastung in der Schwerelosigkeit sei für den Knochenschwund verantwortlich. Aber Experimente beim DLR ergaben: Zusätzlich könnte salziges Weltraumessen schuld daran sein. Denn weil der Geschmackssinn in 360 Kilometer Höhe nicht richtig funktioniert, haben die Astronauten immer ordentlich nachgewürzt.
Die Wissenschaftler analysierten Blut und Urin von Versuchspersonen, die sich über einige Zeit sehr salzreich ernährten. Während des Experiments lagen die Probanden leicht kopfüber geneigt im Bett – in simulierter Schwerelosigkeit. Ähnliche Experiment finden derzeit auch auf der ISS statt. Bis jetzt sagen alle Ergebnisse: Zu viel Salz im Essen kann den Knochenabbau bei Astronauten rapide beschleunigen.
"Bislang haben wir herausgefunden, dass es durch eine hohe Kochsalzzufuhr zu Verschiebungen im Säure-Basen-Haushalt im Blut kommt", erklärt die Ernährungswissenschaftlerin Dr. Petra Frings-Meuthen. "Dadurch kann es sein, dass der Knochen angegriffen und somit vermehrt Knochen abgebaut wird."
Ein komplettes Menü - ohne Rülpser!
Harald Wohlfahrt muss noch eine weitere Herausforderung meistern: Ohne den Geschmack wieder zu verfälschen, muss der Sternekoch jede Soße stark eindicken. Ansonsten würden sich in der Schwerelosigkeit kleine Tröpfchen lösen und die Bord-Elektronik lahm legen. Wegen der Technik muss das Essen im All auch sehr bekömmlich sein. Denn Rülpser sind in der Schwerelosigkeit ebenfalls meist flüssig.
Über ein Jahr hat der Koch Harald Wohlfahrt an der richtigen Zusammenstellung der Zutaten experimentiert. Inzwischen hat er ein komplettes Menü für die Mannschaften auf der ISS zusammengestellt: Kartoffelsuppe mit Majoran und Blutwurst gibt es als Vorspeise. Als Hauptgang serviert er Kalbsbäckchen auf Gemüse und Bohnenpüree in Balsamicoessigsoße. Und zum Nachtisch gibt es Zwetschgenkompott in Sternanis-Gewürzsud. Die Astronauten finden alles himmlisch!
Lediglich der Serviervorschlag lässt noch zu wünschen übrig. Alle Speisen gibt es im All nur sterilisiert und auf Jahre haltbar verpackt aus der Dose. Und trotzdem sind sie viel teurer als im Drei-Sterne-Restaurant. Ein Kilo Proviant auf die ISS zu schaffen, kostet 21.000 Dollar.
Autor: Herbert Hackl (BR)
Stand: 29.07.2015 11:09 Uhr