So., 10.04.11 | 17:03 Uhr
Das Erste
Der marode Sarkophag
Man sollte meinen, dass das Atomkraftwerk Tschernobyl zumindest keine neuen Gefahren birgt – doch das täuscht: Die Ruine wurde 1986 nur notdürftig abgeschirmt. Die Katstrophenhelfer bauten über die strahlenden Trümmer eine Hülle, den sogenannten Sarkophag. Doch der ist eher ein Provisorium und im Laufe der Jahre immer maroder geworden. Das Gebäude hat inzwischen Risse und Löcher. Die größte Gefahr wäre der Einsturz: Erneut würde eine enorme Menge Radioaktivität frei – in Form einer riesigen Staubwolke. Und die Gefahr dafür ist nicht von der Hand zu weisen: Weil der Sarkophag bereits begann, sich zu neigen, musste das Bauwerk schon stabilisiert werden.
Für möglichst effiziente Arbeiten im strahlenbelasteten Bereich probten die Bauarbeiter sogar auf einer eigens errichteten Übungsbaustelle jeden Handgriff. Inzwischen konnten sie das Gebäude stabilisieren – vorerst. Aber als längerfristige Lösung soll über all dem eine neue gewaltige Halle gebaut werden, die für die nächsten 100 Jahre Sicherheit bieten soll.
Teurer Stahlkoloss
Der neue Sarkophag ist ein Mammutprojekt: Ein Stahlgewölbe von 150 Metern Höhe soll ab 2015 alles überdecken. Um die Arbeiter nicht zu gefährden, wird der Koloss ein paar Hundert Meter abseits gefertigt und erst zum Schluss auf Schienen über die eigentliche Unglücksstelle geschoben.
Aber das Projekt verzögert sich. Wie immer bei solchen Vorhaben fehlt das Geld. Die ursprünglich kalkulierten Baukosten sind derzeit weit überschritten. Zwei Milliarden Euro soll der Sarkophag nun kosten – getragen von einer internationalen Geber-Gruppe, geführt von der EU, Amerika und Deutschland. Vor allem Russland stiehlt sich aus der Verantwortung: Das Land hat im Vergleich zu anderen viel zu wenig Geld zugesagt. Den Neubau von Atomkraftwerken treibt Russland dagegen voran: 1,7 Milliarden Euro gab der Kreml allein 2010 dafür aus.
Wenn die gewaltige Halle dann einmal steht, fangen die Herausforderungen erst richtig an: Die ganze strahlende Ruine muss Stück für Stück abgebaut werden. Die 100 Jahre, die der neue Sarkophag an Sicherheit bieten soll, sind also nur eine Atempause – verglichen mit der Zeit, die Tschernobyl laut den Gesetzen der Physik noch weiter strahlen wird.
Autor: Reinhart Brüning (WDR)
Stand: 09.10.2015 12:07 Uhr