So., 13.11.11 | 17:03 Uhr
Das Erste
Der Schatz aus der Kläranlage
Das chemische Element Phosphor gehört zusammen mit Kohlenstoff, Wasserstoff, Sauerstoff und Stickstoff zu den fünf Bausteinen der Erbsubstanz DNS. Das heißt nichts anderes, als dass ohne Phosphor kein Leben auf der Erde möglich ist. Außerdem ist Phosphor ein wichtiger Nährstoff für Pflanzen und deshalb ein Hauptbestandteil von Kunstdünger. Seit Erfindung des Kunstdüngers zu Beginn des 20.Jahrhunderts hat sich der Ertrag aus der Landwirtschaft stark erhöht. Das Wachstum der Weltbevölkerung hängt mit dieser Steigerung zusammen, ohne Phosphordünger lässt sich die stetig wachsende Anzahl von Menschen auch in Zukunft nicht mehr zu ernähren. Der Stoff ist nicht durch einen anderen ersetzbar. Das Wohl und Wehe kommender Generationen hängt also von der Ressource Phosphor ab.
Mehr Phosphor in der Nahrung als nötig
Jedes Lebewesen nimmt Phosphor mit der Nahrung auf - natürlich auch Menschen. In der Regel brauchen wir nicht den gesamten Phosphor, zumal vielen Produkten heutzutage auch noch künstlich Phosphate zugesetzt werden, beispielsweise Wurstwaren. Phosphate bewirken, dass die appetitliche rote Farbe erhalten bleibt. 1,6 bis zwei Gramm Phosphor scheidet jeder Mensch am Tag aus.
Der gestörte Phosphorzyklus
Früher war der Nachschub von Phosphor kein Problem. Das Element bewegte sich in einem natürlichen Kreislauf. Pflanzen nahmen ihn aus dem Erdreich auf, Tiere und Menschen mit der Nahrung. Die Ausscheidungen landeten als Dünger wieder auf den Feldern, wo ihn die Pflanzen wieder nutzten.
Heute ist dieser Zyklus gestört. Exkremente und Gülle sind stark mit Umweltgiften wie Schwermetallen und Antibiotika belastet. Sie kommen in die Kläranlage, und die Klärschlämme sind als Dünger nicht mehr geeignet. In der Regel werden sie getrocknet und verbrannt. Dabei wird auch der enthaltene Phosphor vernichtet. Eine fatale Entwicklung, denn die Ressource Phosphor ist auf der Erde begrenzt. Der enorme Hunger der Düngemittelindustrie wird größtenteils durch Phosphatabbau in Minen gedeckt.
Begrenzte Phosphatreserven
Deutschland besitzt keine eigenen Phosphatvorkommen. Es ist damit zu 100 Prozent abhängig von den Exporteuren. Vier Länder besitzen rund 80 Prozent an den weltweiten Phosphatgestein-Reserven: Marokko, China, Jordanien und Südafrika. Politisch kontrolliert China inzwischen den Phosphatmarkt. Und was noch weit schlimmer ist: Experten glauben, dass die Vorkommen bald erschöpft sein könnten. Sie sprechen von einer drohenden "Phosphorkrise", die die Menschheit schlimmer treffen könnte als der Zusammenbruch der Ölversorgung. Die Schätzungen über die Lebensdauer der Minen variieren zwischen 50 und 130 Jahren. Anders als andere Elemente können Phosphate auch nicht fliegen, sie verteilen sich also nicht auf natürliche Weise immer wieder neu. Forscher haben deswegen die Kläranlage als Rohstoffmine entdeckt.
Goldmine Klärwerk
Ein Team um den Karlsruher Wissenschaftler Dr. Rainer Schuhmann vom Karlsruher Institut für Technologie hat jetzt ein Verfahren entwickelt, um den Phosphor aus dem Klärwerk wieder herauszuziehen. Seit einigen Monaten läuft eine Pilotanlage im bayerischen Neuburg an der Donau.
Das Verfahren beruht auf Kristallisation: Phosphorhaltiges Wasser, das aus dem Klärschlamm gepresst wurde, wird in einem Behälter gesammelt. Ein weißes Pulver wird hineingeschüttet (Calcium-Silicat-Hydrat-Phase). Dann muss zwei Stunden lang kräftig gerührt werden.
Wenn das Wasser abgelassen wird, bleibt grauer Schlamm übrig. Das getrocknete Material ist reich an Phosphat – sämtliche Umweltgifte sind im Abwasser geblieben. Dr. Schuhmann hat das Substrat bereits in Instituten für Pflanzenwachstum untersuchen lassen. Das Ergebnis: es könnte so, unbearbeitet, sofort als Dünger in der Landwirtschaft eingesetzt werden. Etwa 40 - 50 Prozent des im Abwasser enthaltenen Phosphats können mit dem Verfahren gebunden und recycelt werden. Die Karlsruher Forscher haben ihre Arbeit inzwischen patentieren lassen. Ein weiterer Vorteil: Der Klärschlamm kann nach Entzug des Phosphors immer noch verbrannt werden, er hat einen hohen Energiewert - fast so hoch wie Braunkohle..
Vorteile für die Umwelt
Kontrolliertes Phosphorrecycling hätte noch einen weiteren Nutzen. Phosphate, die unkontrolliert in die Umwelt gelangen, entfalten ihre Nährstoffe an der falschen Stelle. Die berüchtigte Überdüngung, insbesondere in Gewässern, ist das Ergebnis. Phosphate werden zwar auch durch den Klärschlämmen gebunden, trotzdem gelangt ein gewisser Prozentsatz in die Umwelt. Bei Neuburg liegen die neu renaturierten Donauauen, und die Umweltschützer vor Ort begrüßen das Pilotprojekt.
Trotz der Vorteile ist ein flächendeckendes Phosphorrecycling in Deutschland bisher nicht geplant. Das "Urban Mining" im Klärwerk würde hohe Investitionen für die Umrüstung nötig machen. Möglicherweise wird die Goldmine im Abwasser erst dann interessant, wenn der wirtschaftliche Druck Fakten schafft. In den letzten Jahren sind die Preise für Rohphosphat stetig gestiegen.
Adressen
Dr. Ing. Rainer Schuhmann
Institut für Funktionelle Grenzflächen
Karlsruher Institut für Technologie
rainerschuhmann(at)kit.edu
Autorin: Tamara Spitzing (SWR)
Stand: 08.09.2015 13:03 Uhr