So., 02.10.11 | 17:03 Uhr
Das Erste
Der Steinzeithund
Diese epochale Entdeckung hätte fast nicht stattgefunden: Der kleine Knochen ist nur ein paar Zentimeter lang und auf den ersten Blick eher unscheinbar. Doch er ist eine wissenschaftliche Sensation, denn der archäologische Fund erzählt uns eine unglaubliche Geschichte. Eine Geschichte über das Leben der Menschen vor über 14.000 Jahren. "Entdeckt wurde dieser Knochen ja bereits 1914. Aber erst 70 Jahre später hat man mehr oder weniger zufällig bei einer Inventarisierung herausgefunden, was es wirklich mit diesem Knochen auf sich hat", erklärt Ralf W. Schmitz vom LVR-Landesmuseum Bonn.
14.000 Jahre alte Menschenskelette
Die Geschichte der Entdeckung des Steinzeithundes beginnt vor fast 100 Jahren. In einem Steinbruch bei Oberkassel, nahe Bonn, gehen zwei Arbeiter ihrer anstrengenden Tätigkeit nach. Alles ist wie immer. Bis sie auf menschliche Knochen stoßen. Ralf W. Schmitz rekonstruiert den Vorfall: "Das war ein absoluter Zufall! Die Knochen landeten erst einmal in einer alten Sprengstoffkiste. Ein paar Tage später erst wurden Wissenschaftler benachrichtigt. Und so wurde diese doch sehr bedeutende Situation entdeckt."
Als einer der Wissenschaftler - der Physiologe Max Verworn - die Knochen sieht, ist ihm klar: Sie könnten sehr alt sein. Verworn macht ein Foto vom Fundort. Er ahnt offenbar, dass hier etwas Epochales entdeckt wurde. Am Ende kann er nachweisen: Die Knochen sind über 14.000 Jahre alt - es handelt sich bei den Toten um zwei Menschen aus der so genannten Cro-Magnon-Zeit.
Es folgt eine anstrengende, von Akribie geprägte Zeit. Im Bonner Institut untersucht Verworn Knochen um Knochen. "Die Frau war relativ zierlich, 1,65 Meter groß, ein graziles, schlankes Geschöpf. Er war gut 15 Zentimeter größer und sehr kräftig. Ein breitschultriger Kerl mit massiven Muskeln. Das sieht man an den Muskelansatzstellen auf den Knochen", erzählt Ralf W. Schmitz vom LVR-Landesmuseum Bonn.
Rote Farbe auf den Knochen: ein Bestattungsritual
Bei der Untersuchung der Menschenknochen macht Verworn eine eigenartige Entdeckung. Die Knochen haben eine rötliche Färbung. Der Wissenschaftler hat eine Vermutung: Offensichtlich sind die beiden Toten gemeinsam begraben und - wie damals üblich - mit einem roten Tonpulver bestreut worden, das im Laufe der Jahrtausende in die Knochen einzog. Und Verworn findet neben den menschlichen Knochen einige Tierknochen, darunter einen Unterkiefer - offensichtlich von einem Wolf. Eher uninteressant für ihn. Verworn ahnt damals nicht, was er da in Händen hält. Die vermeintlichen Wolfsknochen landen in einer Schatulle.
Hund statt Wolf
Die Tierknochen gelangen 70 Jahre später in die Hände des Archäo-Zoologen Günter Nobis. Nobis unterzieht zu diesem Zeitpunkt den gesamten Oberkasseler Fund einer umfangreichen Inventur. Der Experte auf dem Gebiet der Tiergeschichte wird stutzig. Gehört der Kieferknochen, so wie in den Unterlagen vermerkt, wirklich einem Wolf?
Nobis besorgt sich einen Wolfskiefer - und vergleicht ihn ganz genau mit dem Oberkasseler Fund. Und schnell ist klar: Dies war kein Wolf, sondern eine extrem frühe Form eines Hundes! Ralf W. Schmitz vom LVR-Landesmuseum Bonn: "Das war schon ein ganz großer Kracher. Das war eine wissenschaftliche Sensation! Denn so einen alten Hund in Zentraleuropa hatte keiner in der Wissenschaft vorher auf der Rechnung gehabt."
Früher Freund des Menschen
Doch unser Hundekiefer birgt noch ein zweites erstaunliches Geheimnis: Der Hund geriet nicht zufällig in das Grab, sondern wurde offensichtlich gemeinsam mit dem Paar zeremoniell bestattet. Denn auch seine Knochen waren rot, also war er ebenfalls mit rotem Tonpulver bestreut worden. Ralf W. Schmitz ordnet den Fund ein: "Das ist eine richtige Dreier-Bestattung. Mann, Frau, Hund. Und das sagt eigentlich schon sehr viel aus über das Verhältnis dieser beiden Menschen zu diesem Hund."
Der Fund zeigt, dass der Hund schon damals, 6.000 Jahre früher als man bislang dachte, offensichtlich ein wichtiges Haustier für den Menschen war und ihm im Alltag zur Seite stand. Denn das Leben war für den Cro-Magnon-Menschen eine Herausforderung, erschwert durch die ständige Suche nach Essbarem und bedroht durch Feinde und wilde Tiere. Hier war der Hund für den Urzeit-Menschen von unschätzbarem Wert: "Einerseits Helfer auf der Jagd und Wachhund, aber auch Spielkamerad und bester Freund. Ganz sicher auch das. Die ganze Bandbreite dessen, was heute zwischen Mensch und Hund abläuft, wird es damals auch gegeben haben", erklärt Ralf W. Schmitz. Und so erzählt uns ein unscheinbarer Knochenfund von einer uralten Freundschaft. Einer Freundschaft, die sich über Jahrtausende erhalten hat - und bis zum heutigen Tage fortdauert.
Adressen
Die Funde, sowohl der beiden Menschen als auch des Hundes, sind ausgestellt im:
LVR-Landesmuseum Bonn
Colmantstr. 14-16
53115 Bonn
Tel.: (0228) 2070-0
Autor: Stefan Venator (HR)Anmerkung: Für die Zurverfügungstellung historischer Räumlichkeiten im Zusammenhang mit den Dreharbeiten danken wir der Georg-August-Universität in Göttingen sehr herzlich!
Stand: 03.11.2015 09:52 Uhr