So., 23.10.11 | 17:03 Uhr
Das Erste
Lebensgefährliche Forschung
Für die Besatzung des französischen Forschungsschiffes "Minibex" sah alles nach einem Routineeinsatz aus. Der deutsche Biologe Christian Lott und Pilot "Popov" wollten mit dem bordeigenen U-Boot "Remora 2000" an die Hänge des Unterseevulkans Marsili nördlich von Sizilien tauchen. Ziel der Expedition war es - unterstützt von einem ferngelenkten Tauchroboter - in rund 500 Metern Tiefe nach einer bestimmten Art von Röhrenwürmern zu suchen. Der Tauchgang wurde fast zu einer Reise ohne Wiederkehr.
Der Auftrag
2003 wurden die besagten Röhrenwürmer erstmals in über 1.000 Metern Tiefe rund um kalte Quellen entdeckt. Die Tiere überleben dort nur dank besonderer Bakterien: Die können - auch ohne Sonnenlicht - tief unten im Meer Energie erzeugen, die dann auch die Röhrenwürmer nutzen.
Sieben Jahre später fanden italienische Fischer in einem Schleppnetz sehr ähnlich aussehende Würmer - allerdings fast 2.000 Kilometer weit von den kalten Quellen entfernt, auf einem Unterwasservulkan! Im Auftrag des Max-Planck-Institutes soll Christian Lott diesen Fund überprüfen. (Über)lebt etwa ein und dieselbe Tierart in zwei völlig unterschiedlichen Lebensräumen? An den kalten Quellen und am heißen Vulkan? Um die Frage zu klären, muss direkt am Vulkan nach den Würmern gesucht werden.
Ein schwieriger Tauchgang
Die Reise geht an einen der unwirtlichsten Orte in den Tiefen des Mittelmeers. Der Marsili ist der größte Unterwasservulkan Europas. 65 Kilometer lang und 40 Kilometer breit schiebt sich sein Gipfel aus 3.000 Metern Tiefe bis auf 500 Meter unter die Wasseroberfläche. Die "Remora 2000" kann bis 600 Meter tief tauchen. Tauchoperationen des U-Boots werden vom 30 Meter langen Mutterschiff "Minibex" unterstützt, welches auch innerhalb der französischen Marine und vom französischen Kultusministerium (Abteilung Archäologie) eingesetzt wird. Seit die "Remora 2000" 1994 in Betrieb genommen wurde, hält sie den Rekord im störungsfreien Tauchen: Während dieser Zeit konnte sie mehr als 330 Tauchfahrten durchführen.
Die Beinahe-Katastrophe
Zunächst geht auch alles gut. Das U-Boot "Remora 2000" erreicht die Hänge des Vulkans ohne Probleme. Das Kontrollteam an Bord des Mutterschiffes "Minibex" verfolgt gebannt, was dem Tauchteam vor die Kameras kommt. Unter anderem auch die gesuchten Würmer. Der ferngelenkte Roboter nimmt eine Probe und legt sie ein Transportbehältnis der "Remova". Alles scheint bereits gelaufen, da bricht plötzlich der Funkkontakt zum U-Boot ab. Alles was an Bord der Minibex noch zu hören ist: ein Störgeräusch. Das U-Boot ist plötzlich manövrierunfähig, die komplette Hydraulik und ein Teil der Elektronik sind ausgefallen. Die "Remova" trudelt langsam dem Meeresboden in 3.000 Metern Tiefe entgegen. Für diese Tiefen ist sie nicht konstruiert. Wenn es nicht gelingt, das U-Boot zu stabilisieren, dann ist es samt Besatzung verloren. Das Team auf der "Minibex" kann ihr jedenfalls nicht zur Hilfe kommen.
Die Rettung
Ohnmächtig verfolgt die Besatzung der "Minibex" das Drama tief unter sich. Doch U-Boot-Pilot Popov behält die Nerven. Es gelingt ihm, nach etwa 30 Minuten das Wasser aus den Ballasttanks abzupumpen und sie mit Luft zu füllen. Langsam steigt die "Remova 2000" daraufhin wieder Richtung Wasseroberfläche. Als sie schließlich nahe der Minibex auftaucht, sind alle sehr erleichtert. Die große Frage lautet sofort: Was hat die Ausfälle von Hydraulik und Elektronik verursacht, die zu den lebensgefährlichen Problemen bei der Expedition führten? Die wahrscheinliche Antwort: Salzkristalle haben sich irgendwie mit den Schmierstoffen der Hydraulik vermischt und sie so lahmgelegt. Daraufhin wird an nur einem Tag die komplette Hydraulik ausgetauscht. Ein technisches Meisterstück der Crew.
Das Resultat
Inzwischen laufen am Max-Planck-Institut in Bremen die Untersuchungen der Würmer. Noch steht Christian Lott am Anfang, aber er weiß: Die gefundenen Röhrenwürmer sind uralt - über 300 Jahre. Damit gehören sie zu ältesten Tiere der Erde. Und es ist wohl die gleiche Art, die man auch an den kalten Quellen gefunden hat. Christian Lott hat damit eine Spezies vor sich, die in Lebensräumen überlebt, die so unterschiedlich sind wie die Sahara und der Himalaja: "Biologisch gesehen war es eine Sensation, diese Würmer da überhaupt zu finden, wo sie vorkommen. Genauso überraschend war es herauszufinden, dass es die gleiche Art ist, die man schon kennt. Die Molekularanalysen haben vorläufig gezeigt: Sie sind ganz eng verwandt oder sogar wahrscheinlich die gleichen, die am Mittelmeer an anderen Stellen auch vorkommen. Und das ist die verblüffende Überraschung! Dass die gleiche Spezies in so vielen verschiedenen Lebensräumen existieren kann - im Vulkan, im Salzsee und an kalten Gasaustritten wo es nur Gas gibt. Aber der endgültige Nachweis wird noch Jahre dauern."
Autor: Florian Guthknecht (NDR)
Stand: 06.11.2015 14:08 Uhr