So., 22.04.12 | 17:00 Uhr
Das Erste
Apotheke im Abwasser
Schleichende Bedrohung
Deutschlands Flüsse und Seen scheinen so sauber wie lange nicht mehr zu sein. Schäumende Wasserläufe, stinkende Bäche und tot umhertreibende Fische gehören weitgehend der Vergangenheit an. Doch der Schein trügt. Schleichend, fast unmerklich, werden unsere Gewässer zu einer ökologischen Zeitbombe – verursacht durch einen Cocktail aus Chemikalien, Pestiziden und Arzneimittelrückständen. Viele Jahre beschwichtigten Behörden und Wissenschaftler, die Konzentrationen dieser Stoffe seien weit unterhalb der Wirkschwelle. Inzwischen denken Forscher um. Denn die Zahl und die Menge der Substanzen wird immer größer.
Arzneimittelrückstände
Zehn bis fünfzehn Prozent aller Medikamente werden nach Untersuchungen des Umweltbundesamtes von Patienten gedankenlos in der Toilette entsorgt. Ein weiteres Problem sind Arzneien, die der menschliche Körper nicht vollständig verwerten kann und deshalb wieder ausscheidet. Bei Antibiotika werden durchschnittlich 70 Prozent der Wirkstoffe ausgeschieden, bei manchen anderen Substanzen sind es sogar über 80 Prozent. Dramatische Zahlen – nicht nur, weil große Mengen an Medikamenten keinen medizinischen Effekt haben, sondern auch, weil sie zunehmend unser Wasser kontaminieren. Selbst moderne Kläranlagen schaffen es nicht, diesen chemischen Cocktail zu beseitigen. Seit einigen Jahren erproben Forscher zwar neue Verfahren wie Aktivkohlefilter oder die Behandlung mit Ozon. Allerdings sind diese Technologien sehr kostspielig. Und keine von ihnen ist in der Lage, alle Stoffe zu entfernen. Einige produzieren aus den Spurenstoffen sogar neue Substanzen, die noch toxischer sind als die Ausgangsstoffe.
Verweiblichte Fische und Frösche
Seit einigen Jahren registrieren Wissenschaftler, dass Rückstände von Antibaby-Pillen im Wasser zu einer Verweiblichung von Fröschen und Fischen führen. In den USA beobachten Forscher, dass männliche Alligatoren zu kleine, deformierte Geschlechtsorgane entwickeln. Die Ursache auch hier: Hormone im Wasser. Über die Auswirkungen bei Menschen ist bislang wenig bekannt. Die gemessenen Mengen liegen zwar deutlich unter den Grenzwerten. Doch niemand weiß, wie Menschen darauf reagieren, Jahrzehnte lang niedrigen Dosierungen ausgesetzt zu sein. Bislang wird die Wirksamkeit von Medikamenten nur im Rahmen von Therapien über einen begrenzten Zeitraum getestet. Im Wasser bleiben diese Stoffe aber viele Jahre erhalten. Noch schwieriger ist es, die Wechselwirkungen der zurzeit rund 3.000 in Deutschland zugelassenen pharmakologischen Substanzen vorauszusagen.
Eine Lösung: "Nachhaltige Chemie"
Klaus Kümmerer, Professor für Nachhaltige Chemie an der Leuphana Universität Lüneburg, fordert deshalb statt Abwasser aufwändig zu reinigen, das Übel gleich an der Wurzel anzupacken. Medikamente und andere Chemikalien sollten so beschaffen sein, dass sie in Kläranlagen problemlos abbaubar sind. Dass das geht, hat er kürzlich bewiesen. Gemeinsam mit dem Krebsforschungszentrum Heidelberg hat er einen neuen Wirkstoff zur Krebsbekämpfung entwickelt. Und mit einem Freiburger Chemie-Unternehmen tüftelt er schon an der nächsten Substanz: Dem Ersatz für eine Chemikalie, die in der Textilproduktion tonnenweise verwendet wird und mit der Zeit ins Abwasser ausgewaschen wird.
Autor: Peter Podjavorsek (SWR)
Stand: 01.10.2014 16:26 Uhr