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Neurobiologie der Entspannung

Frau beim Meditieren
Meditation entspannt - messbar. | Bild: WDR

Es gibt verschiedene Wege, Stress zu abzubauen und zu entspannen. Doch neurobiologisch scheinen sie sich stark zu ähneln. Egal ob Sport oder Meditation - beide Ansätze aktivieren vermutlich den gleichen Mechanismus: die Autoregulation des Körpers.

Der Körper im Alarmzustand

Läufer im Park
Sport ist ein altbewährter Weg zur Entspannung. | Bild: WDR

Äußere Stressreize versetzen den Körper in einen Alarmzustand. Durchblutung, Herzschlag und Atemfrequenz steigen an. Die Muskeln werden so optimal mit Sauerstoff und Energie versorgt, um auf die Bedrohung mit Kampf oder Flucht reagieren zu können. Gesteuert wird diese Reaktion durch Hormone, von denen die meisten in der Nebennierenrinde produziert werden: Adrenalin und Noradrenalin, aber auch sogenannte Glucocorticoide - unter ihnen vor allem das Cortisol.

Sobald das Gehirn wahrnimmt, dass die Gefahr vorüber ist, wird dieses System heruntergeregelt und die Hormonspiegel sinken auf ihre Ausgangswerte. Bleiben die Stressreize aber erhalten, kann das zu einem fortwährenden Erregungszustand führen, in dem das natürliche Verteidigungssystem des Körpers außer Kontrolle gerät.

Wie genau die natürliche Entspannungsreaktion im Körper abläuft und wie man sie selbst aktivieren kann, untersuchen Psychologen, Biochemiker und Neurologen derzeit intensiv.

Die Wissenschaft der Meditation

Eine Grafik zeigt welche Stresshormone und Botenstoffe bei einer Meditierenden freigesetzt werden.
Bei der Meditation werden entspannende Botenstoffe freigesetzt. | Bild: WDR

Der Arzt und Stressforscher Professor Tobias Esch, der an der Hochschule Coburg und der New York State University lehrt und forscht, hat die Mechanismen verschiedener Entspannungstechniken neurobiologisch untersucht und verglichen. Sein Forschungsschwerpunkt liegt dabei auf der Meditation und verwandten Techniken. Er hat dafür Versuchspersonen in verschiedenen Phasen der Meditation Blut und Speichel entnommen und auf unterschiedliche Hormone und Botenstoffe untersucht. Das brachte ihn auf die Spur einer ganzen Entspannungskaskade, die während der Meditation im Körper abläuft.

Erstaunlicherweise werden zu Beginn der Meditation aktivierende Botenstoffe ausgeschüttet - unter anderem Dopamin und das Stresshormon Noradrenalin. Es klingt paradox: Herz und Atmung gehen erst einmal schneller, statt sich zu beruhigen. Tobias Esch vermutet dahinter eine Vorsichtsmaßnahme aus der evolutionären Frühzeit der Menschheit: Bevor sich der Meditierende entspannen kann, werden seine Sinne geschärft, um die Umgebung nach Gefahren abzuscannen.

Wenn es dem Meditierenden dann gelingt, sich anstrengungslos im Hier und Jetzt zu versenken - fokussiert, ruhig und wach zu sein - ändern sich die Hormonpegel wieder. Jetzt findet sich auch körpereigenes Morphium im Blut. In der Folge entsteht Stickstoffmonoxid, das die Stresshormone außer Gefecht setzt. Die Botenstoffe fahren das Erregungsniveau des Körpers herunter, weiten die Gefäße und senken den Blutdruck.

Meditation - jenseits von Esoterik und Spiritualität

Sitzkreis mit Professor Esch und Studierenden
Studierende lernen bei Professor Tobias Esch Meditation. | Bild: WDR

Tobias Esch untersucht die entspannende Wirkung der Meditation nicht nur naturwissenschaftlich, sondern leitet seine Studierenden an der Hochschule Coburg auch praktisch an. Diese müssen im Fach "Integrative Gesundheitsförderung" Kurse zum Stressmanagement belegen. Dort lernen sie unter anderem auch die sogenannte Relaxation-Response-Meditation. Diese Form der Meditation wurde 1975 vom Kardiologen Herbert Benson an der Harvard Medical School in den USA entwickelt. Ihre entspannende Wirksamkeit wurde in vielen psychologischen Studien belegt. Der große Vorteil: Jeder kann sie schnell erlernen und überall praktizieren - und sie verzichtet ausdrücklich auf esoterisches oder spirituelles Beiwerk.

Hier eine Anleitung in wenigen Schritten:

  • Suchen Sie einen "sicheren" und möglichst ungestörten Ort auf.
  • Machen Sie es sich bequem, aber schlafen Sie möglichst nicht ein ("aufrechte Haltung").
  • Überlegen Sie sich zum Beispiel ein Wort, Bild, Geräusch oder eine Zahl als Bezugspunkt, das heißt einen Fokus, welcher für Sie eine neutrale oder positive (gegebenenfalls auch religiöse/spirituelle) Bedeutung hat.
  • Schließen Sie, wenn Sie mögen, die Augen.
  • Atmen Sie ruhig ein und aus, aber erzwingen Sie keinen bestimmten Atemrhythmus.
  • Sagen Sie zu sich selbst still beim Ausatmen ihr Wort oder stellen Sie sich ihr gewähltes Bild, Geräusch vor.
  • In immer wiederkehrender Wiederholung dieses Vorgangs (möglichst ohne körperliche oder geistige Anstrengung/Aufregung) verbleiben Sie für 10 bis 20 Minuten.
  • Störende oder ablenkende Gedanken werden, wenn wahrgenommen, passiv ignoriert.
  • Nach Ablenkungen kehren Sie immer wieder zu ihrem Atem und Fokus zurück.

Entspannung als universelles Prinzip

Grafik: Läuferin, Stresshormone und Botenstoffe
Auch beim Sport werden Entspannungshormone frei. | Bild: WDR

Hinter seinen Funden zur Neurobiologie der Meditation vermutet Tobias Esch etwas Größeres - einen universellen, vorgegebenen Weg des Körpers, Stress abzubauen und zu entspannen. Wenn Meditation diesen aktivieren kann, dann sollte dies auch durch andere Aktivitäten möglich sein, die Menschen als entspannend empfinden. Indizien findet Tobias Esch dafür in den Forschungsergebnissen von Kollegen, die die Biochemie des Laufens unter die Lupe genommen haben.

Beim Sport ist es nicht verwunderlich, dass zu Beginn stimulierende Botenstoffe wie Dopamin ausgeschüttet werden, um den Körper zu aktivieren. Ein angemessenes Tempo vorausgesetzt, synchronisieren sich Schrittfolge und Atmung jedoch nach einigen Minuten. Kommt der Läufer in diesen "Flow", schüttet der Körper vermutlich ebenfalls Morphium aus. Eines seiner Abbauprodukte, das Anti-Stress-Molekül Stickstoffmonoxid, wurde im Blut von Sportlern bereits nachgewiesen.

Und es gibt noch eine weitere verblüffende Parallele zwischen Meditation und Sport - und zwar im Gehirn. Regelmäßiger Ausdauersport lässt Nervenzellen im Hippocampus sprießen: einer Region, die eine wichtige Rolle im Lern- und Belohnungssystem des Gehirns spielt. Für die Meditation konnte jetzt in aktuellen Studien genau derselbe Effekt gefunden werden. Diese Übereinstimmungen hält Tobias Esch für keinen Zufall. Er glaubt, dass die Fähigkeit, aktiv zu entspannen, darüber den Stresslevel zu senken und das Hirn formbar und lernfähig zu machen, ein universelles Prinzip ist. Und die Schaltstelle für die Entspannung ist das Belohnungssystem im Gehirn. Was den Abbau von Stress angeht, funktionieren Sport und Meditation also gleich gut. Wir können beruhigt den Weg wählen, der uns persönlich besser gefällt. Oder sogar beides miteinander kombinieren.

Autor: Daniel Münter (WDR)

Lesetipp

Die Neurobiologie des Glücks: Wie die Positive Psychologie die Medizin verändert
Tobias Esch
Thieme, Stuttgart; Auflage: 1 (23. November 2011)
200 Seiten, 39,99 Euro

Stand: 09.08.2013 10:24 Uhr