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Grüne Fleischfresser

Sonnentau rollt sich zusammen
Die Beute klebt am Sonnentau fest. | Bild: HR

In Bruchteilen von Sekunden fangen sie ihre Opfer, um sie zu fressen und anschließend zu verdauen. Was im Tierreich nicht ungewöhnlich erscheint, ist bei Pflanzen ein erstaunlicher Mechanismus. Forschern geben fleischfressende Pflanzen viele Rätsel auf. Wie haben diese Pflanzen es geschafft, Tiere zu überlisten und sich von rohem Fleisch zu ernähren? Das ist in etwa so ungewöhnlich, als würden Löwen anfangen, Gras zu fressen. Den Rätseln um diese Fleischfresser aus dem Pflanzenreich gehen die Forscher vom Würzburger Julius-Sachs-Institut für Biowissenschaften auf den Grund.

Bevor sie ihre Beute mit Haut und Haaren fressen können, müssen die Fleischfresser aus dem Pflanzenreich sie erst einmal auf oder in ihre Fallen locken. Das geschieht mit unterschiedlichen Mitteln. Betörender Duft lockt Insekten auf den glatten Fallenrand der Kannenfalle (Nepenthes). Oben angekommen können sich die Tiere nicht halten und stürzen ins Verderben. Eine andere nicht minder effektive Strategie nutzen Pflanzen mit Klebefallen. Verlockend duftender, aber klebriger Nektar zieht die Insekten an und hält sie unentrinnbar fest. Aktive Klebefallen verwendet der Sonnentau. Er hält die Opfer mit seinen klebrigen Haaren fest und wickelt sie dann ein. Einer der schnellsten Beutefänger im Pflanzenreich ist der Wasserschlauch (Utricularia): Mit Unterdruck zieht er kleine Beutetiere, mitunter aber auch größere Wasserflöhe in die Falle und das in nur drei hundertstel Sekunden. Für eine Pflanze ist das eine unglaubliche Leistung, über die gestandene Wissenschaftler wie Rainer Hedrich vom Julius-Sachs-Institut immer noch staunen können: "Man muss sich diese Organismen nur größer vorstellen und dann kriegt man es mit der Angst!"

Drüsen im Falleninneren zersetzen die Beute

Venusfliegenfalle fängt Stubenfliege
Die Venusfliegenfalle ist die Königin unter den Jägerinnen aus dem Pflanzenreich. | Bild: HR

Im Zentrum des Interesses der Würzburger Forscher steht die Königin der Jägerinnen, die Venusfliegenfalle (Dionaea). Auf der Innenseite ihrer Fangblätter sitzen hochempfindliche Tasthaare. Nur zwei Berührungen genügen und die Falle schnappt zu. Ganz besondere Drüsen im Falleninneren zersetzen dann die Beute. Diese Drüsen hatte der Institutsgründer Julius von Sachs bereits im 19. Jahrhundert beschrieben und detailliert gezeichnet. Institutsleiter Professor Hedrich erklärt: "Wir kennen natürlich Drüsen, die Blütendüfte oder Nektar abgeben, aber Drüsen, die einen Fermentcocktail abgeben, um tierische Nahrung zu erschließen, das ist einmalig."

Die Falle wird zum Magen umfunktioniert

Heimchen vor dem Sturz in die Kannenfalle (Nepenthes).
Heimchen vor dem Sturz in die Kannenfalle (Nepenthes). | Bild: HR

Die kleinen roten Drüsen halten aber noch mehr Überraschungen für die Forscher bereit. Als sie diese näher untersuchen und mit einer hauchdünnen Fasersonde die Drüsenaktivität messen, stellen sie fest: Nachdem die Pflanze die Beschaffenheit ihrer Nahrung analysiert hat, setzt sie Verdauungsfermente frei, die auf das jeweilige Opfer zugeschnitten sind. Diese Drüsenfermente verdauen anschließend die Beute. Im "Magen" der Venusfliegenfalle finden die Forscher große Mengen gelöster Nährstoffe als Folge dieses Verdauungsprozesses. Aber wie kann die Pflanze diese Nährstoffe aufnehmen und für sich nutzen?

Gekoppeltes Magen-Darm System

 Lurch an Kannenpflanze (Nepentes)
Kannenpflanzen sind auch für größere Beutetiere nicht ungefährlich. | Bild: HR

Mit einem speziellen Versuchsaufbau gelingt es den Forschern auch diesen Mechanismus zu entschlüsseln - mit verblüffendem Ergebnis. Rainer Hedrich erklärt: "Wenn die Falle schließt, schließt sie hermetisch ab und es entsteht ein grüner Magen. In diesen grünen Magen hinein gibt die Venusfliegenfalle mit ihrer Drüsenschicht Magensäure und ein saures Ferment ab. Dieses Ferment zerlegt die Nahrung. Jetzt nehmen wir (Menschen und Tiere) unsere Nahrung nicht über den Magen auf, sondern über den Darm. Die Venusfliegenfalle ist allerdings in der Lage mit den gleichen Drüsen, mit denen sie das Ferment abgibt, auch die zerlegte Nahrung aufzunehmen. Der grüne Magen ist also ein gekoppeltes Magen-Darm-System."

Der Venusfliegenfalle und anderen fleischfressenden Pflanzen ist es nur durch dieses gekoppelte Magen-Darm-System möglich, tierische Beute zu verwerten.

Großes Genom der Venusfliegenfalle

Sonnentau hat Insekt gefangen
Für das Insekt gibt es keinen Ausweg mehr. | Bild: HR

Wie war so eine erstaunliche Anpassungsleistung möglich? "Das Genom der Venusfliegenfalle ist so groß wie das Genom des Menschen", erklärt Rainer Hedrich. Damit hat niemand gerechnet. Die Größe und Zusammensetzung eines Genoms sagt etwas über Evolution, Anpassungsfähigkeit und Lebensstil eines Individuums aus. Fleischfressende Pflanzen hätten auf den äußerst nährstoffarmen Sumpfböden ohne ihre ungewöhnliche Anpassungsleistung nicht überlebt.

Doch wie konnten sie dafür ein Verdauungssystem entwickeln? Professor Hedrich muss an diesem Punkt vorerst noch spekulieren: "Wenn man sich die Frage stellt, wie die Pflanze diese Leistung erreicht haben könnte, gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder sie hat in der Evolution mit ihren Genen gespielt bis sich so ein komplexer Mechanismus herauskristallisieren konnte oder sie haben sich bei dem Fang ihrer ersten tierischen Beute Eigenschaften der Beute angeeignet."

Vieles spricht dafür, dass genetisches Material der Beutetiere den fleischfressenden Pflanzen den Bauplan für ihren grünen Magen lieferte. Genau werden die Forscher das erst wissen, wenn dieses Pflanzen-Genom vollständig entschlüsselt ist. Bis Ende 2012 soll das geschehen sein. Dann werden wir noch mehr Erstaunliches über diese Wunderwesen der Evolution erfahren.

Autor: Wolfgang Zündel (HR)

Stand: 22.11.2012 16:48 Uhr

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