So., 11.03.12 | 17:00 Uhr
Das Erste
Kampf gegen Windmühlen
Trendberuf Windmüller
Wenn es neblig und regnerisch ist in Nordfriesland, dann bleiben die Windkraftanlagen in den tiefhängenden Wolken verborgen. Vom Boden aus sieht man nur den Mast und die Spitzen der Rotorblätter, die am unteren Punkt ihres Laufes kurz aus dem Dunst auftauchen. 150 Meter ragen die höchsten Anlagen mittlerweile in den Himmel. Das Brausen der Rotoren ist weithin zu hören. In der Gemeinde Ellhöft in Nordfriesland gibt es mittlerweile zwei Windparks mit insgesamt 19 Anlagen. Viele der Ellhöfter sind "Windmüller", wie man hier oben sagt. Sie sind finanziell an den beiden Bürgerwindparks beteiligt. Das schafft Akzeptanz im Dorf. Hier wird Wind für die Energiewende "geerntet". Ohne die Windmühlen, da sind sich die Ellhöfter sicher, ist der Klimawandel nicht zu stoppen. 2011 kamen deutschlandweit 20,1 Prozent des erzeugten Stroms aus erneuerbaren Energien. Der Löwenanteil davon, rund 40 Prozent, entfiel auf die Windkraft.
Wer Wind ernten will, muss mit Proteststürmen rechnen
Doch nicht alle sehen die Windräder so positiv. Landesweit machen die Windkraftgegner mobil. Unter dem Namen "Gegenwind" organisieren sie sich im Internet, beraten über juristische Möglichkeiten und gründen Bürgerinitiativen. Sie wehren sich gegen die Verschandelung der Landschaft, das störende Geräusch der Anlagen, den Schlagschatten sowie die Reflexionen durch die Rotorblätter und die roten Blinklichter bei Nacht. Mittlerweile gibt es strenge Auflagen für den Bau von Windrädern: Die Lärmbelästigung darf 45 Dezibel, gemessen ab der Grundstücksgrenze, nicht übersteigen. Der Schatten der Rotorblätter darf nur maximal 30 Minuten am Tag und insgesamt nicht länger als 30 Stunden im Jahr auf ein Gebäude fallen. Wird dieser Wert überschritten, schaltet ein Sensor das Windrad automatisch ab. Die verwendeten Lacke sind mattiert, damit Reflexionen im Sonnenschein minimiert werden. Außerdem gibt es Mindestabstände, die von Bundesland zu Bundesland variieren. In Schleswig-Holstein müssen 400 Meter zu einzeln stehenden Häusern und 800 Meter zu Siedlungen eingehalten werden.
Schlecht vernetzt
Ein Hauptproblem der Windkraft ist derzeit das Stromnetz. Es gibt nicht genug Hoch- und Höchstspannungsleitungen, um die Energie an windigen Tagen in die Ballungszentren nach Süden und Westen zu transportieren. Denn die Leitungen wurden nicht als Transfer-Netz für Langstrecken konzipiert, sondern hauptsächlich, um die Energie der Kraftwerke auf die regionale Industrie oder die nahegelegenen Ballungszentren zu verteilen. Bei Windkraft wird der Strom aber nicht da erzeugt, wo er gebraucht wird, sondern oft hunderte Kilometer weit entfernt. Die Folge: Wenn die Windmühlen wesentlich mehr Strom produzieren, als im Norden gebraucht wird, müssen sie gedrosselt oder ganz abgeschaltet werden. Sonst wären die Leitungen überlastet.
Das Erneuerbare-Energien-Gesetzt (EEG) schreibt eigentlich vor, dass Ökostrom vorrangig vor Atom- und Kohlestrom eingespeist werden muss. Bei Überproduktion müssten daher zuerst konventionelle Kraftwerk gedrosselt werden. Doch durch das schwache Stromnetz wird das immer wieder verhindert. Windräder im Norden stehen still, während Kernkraftwerke im Süden laufen. Und nicht nur das: Für den entgangenen Windstrom bekommen die Windmüller Schadensersatz. So fließt Geld für Strom, der nie geflossen ist. Die Rechnung zahlt letztlich der Kunde über einen erhöhten Strompreis.
Wutbürger gegen Strommasten
Dieser Zustand wird sich nur langsam ändern. Denn der dringend benötigte Ausbau des Stromnetzes läuft schleppend. Von der Planung bis zur Fertigstellung einer Trasse vergehen im Durchschnitt acht Jahre. Das liegt an den aufwendigen Genehmigungsverfahren, aber auch an vielfältigen Protesten der Bürger. Sie wollen nicht in Sichtweite von Hochspannungsleitungen mit 60 Meter hohen Masten leben und machen vielerorts gegen deren Bau mobil. Bürgerinitiativen und Einzelklagen verzögern solche Großprojekte zum Teil erheblich.
Viele Bürgerinitiativen fordern daher statt des Baus von Überlandleitungen die Verlegung von Erdkabeln. Die ist derzeit allerdings keine Alternative. Denn die Technik ist noch nicht ausgereift. Die Kabel erhitzen sich im Betrieb, das trocknet den Boden aus. Eine Verkarstung der näheren Umgebung kann die Folge sein. Um die eingegrabenen Kabel nicht zu gefährden, erfordert eine unterirdische Stromtrasse einen 25 Meter breiten Korridor auf dem kein Baum und keine tiefwurzelnde Pflanze wachsen darf. Das bedeutet, ein Erdkabel zerteilt die Landschaft ähnlich wie eine Autobahn. Zudem müssen in kurzen Abständen Wartungsschächte gebaut werden. Denn das Kabel besteht aus Einzelstücken von 700 bis 900 Metern. Längere Leitungsteile wären nicht transportfähig. Die Abschnitte müssen miteinander verbunden werden. Diese Verbindungsstellen sind störanfällig, Wartung und Reparatur erfordern einen hohen Aufwand. Das alles macht ein Erdkabel, je nach Gelände, sechs bis zwölf mal so teuer wie eine Freileitung. Aufgrund dieser Probleme hat die Bundesregierung den Bau von Erdkabeln nur für vier ausgewiesene Modellprojekte genehmigt. Erst wenn die Netzbetreiber genug Erfahrungen mit dieser Technik gesammelt haben, werden Erdkabel auch in weiteren Projekten eingesetzt.
Bürgerbeteiligung - der Schlüssel zum Erfolg?
Ob Windkraftanlagen oder Stromtrassen, die Betreiber müssen umdenken, sonst stoßen sie auf vehementen Protest. Deshalb betritt der Netzbetreiber Tennet jetzt planerisches Neuland: Auf Informationsveranstaltungen stellt er die Route seiner neuen 380 kV-Höchstspannungsleitung an der Westküste Schleswig-Holsteins vor. Die Anwohner sind von Anfang an in die Planung eingebunden und können Kompromissvorschläge machen - und zwar, bevor die ersten Pläne bei den Behörden eingereicht werden.
Diese neue Dialogform wird von Psychologen der Universität Halle-Wittenberg wissenschaftlich begleitet und erforscht. Sie haben herausgefunden, dass die Bürger viel eher bereit sind, den Bau einer Stromleitung zu akzeptieren, wenn sie wissen, dass diese ausschließlich für den Transfer von Ökostrom benötigt wird. Mit solchen Zusicherungen halten sich die Betreiber allerdings oft zurück, weil sie sich nicht in die Karten gucken lassen wollen. Außerdem möchten die Anwohner detailliert informiert werden und sich ernst genommen fühlen, so die Forscher.
Ähnlich ist es bei Windkraftanlagen. Hier gibt es zudem die Möglichkeit einer Bürgerbeteiligung, um die Akzeptanz zu erhöhen - wie bei den Windmüllern der Gemeinde Ellhöft in Nordfriesland. Das 105-Seelen-Dorf bekommt durch die Windparks 350.000 Euro Gewerbesteuer pro Jahr. Das macht Ellhöft finanziell vom Land Schleswig-Holstein unabhängiger und die Bewohner sehr stolz auf ihre Windmühlen.
Autor: Björn Platz (NDR)
Stand: 11.09.2012 12:16 Uhr