So., 26.08.12 | 17:00 Uhr
Stonehenge im Schwarzwald
Seit jeher gilt er als geheimnisvoll, doch nun meint der Archäologe Allard Mees das Rätsel des Magdalenenberges bei Villingen in Süddeutschland gelöst zu haben. Seine Messungen deuten darauf hin, dass die Erhebung in keltischer Zeit als ein astronomischer Mond-Kalender genutzt wurde. Wie das? Machen wir eine Zeitreise in das Jahr 618 vor Christus: Wir sehen, dass der Mond genau an derselben Stelle aufgeht, wie vom Fürst der Keltengruppe vorhergesagt. Der Fürst gilt damals als besondere Person, denn er kann den Kalender des Mondaufganges "lesen". Sein "Trick" ist, dass er sich die Stelle eingeprägt hat, wo der Mond vor rund einem Jahr am Horizont erschien.
Nach seinem Tod entsteht hier der größte Grabhügel dieser Art in Mitteleuropa. Doch als Mondkalender bleibt er der Nachwelt verborgen. Das ist zumindest die Vermutung des Mainzer Archäologen Mees.
Ein Keltengrab gibt Auskunft
Doch Wissenschaft lebt nicht von Vermutungen, sondern von Belegen. Also macht sich Mees auf die Suche nach Indizien. Eine erste Spur zu seiner Kalender-Idee führt in das Jahr 1890. Damals besucht eine wissenschaftliche Expedition den Ort in Süddeutschland und gräbt ein Loch bis zum Grund des Hügels. Und tatsächlich findet man dort das Grab eines Keltenfürsten. Doch schnell wird klar, dass es schon in antiker Zeit geplündert wurde. Neben wenigen Grabbeigaben wie kleinen Schmuckstücken oder Dolchen findet sich zunächst kein Hinweis für die Kalender-Vermutung des Archäologen. Dann aber stößt er auf ein Foto der Ausgräber mit keltischen Stangenverbindungen.
Bekannt ist, dass genau solche Konstruktionen in keltischer Zeit als Peilungspunkte für den Mond zur Festlegung der Jahreswenden dienten. Der Hinweis auf ein Kalenderbauwerk? Allard Mees, Wissenschaftler am Römisch-Germanischen Zentralmuseum in Mainz, ist zögerlich mit der Publikation seiner Entdeckung, denn er hat einen Ruf zu verlieren: "Ich habe mich zunächst nicht getraut, denn ich habe gedacht, das ist doch zu schön, um wahr zu sein. Weil man sich auch ein bisschen davor fürchtet, als ein Spinner dazustehen, der da irgendwelche wilden Sachen hineininterpretieren möchte." Heute liegen die Eichenstämme des Keltengrabes im Museum von Villingen-Schwenningen. Hinweise auf einen Kalender und dessen Peilungsstangen aber fehlen hier. Ist seine Kalender-Idee also vielleicht doch nur Spinnerei?
Anfang der 1970-Jahre wird der Hügel erneut geöffnet. Neben den Eichenstämmen des Fürstengrabes treten rund 130 weitere Gräber zu Tage. Die Köpfe zeigen alle in eine bestimmte Himmelsrichtung. Der Ort war also doch mehr als eine Grabstätte. Allard Mees versuchte nun, mit den Geländekarten der Ausgrabung das Geheimnis des Hügels zu lüften. Dazu untersuchte er die Aufgangspunkte des Mondes am Horizont - und machte eine entscheidende Entdeckung. Durch die Überlagerung mit der Hügelkarte wird klar: Die Stangen zeigen auf die Position des Mondes zu Winter- und Sommeranfang. "Bei meinen Nachforschungen stellte sich heraus, die sind tatsächlich nach diesen Mondwenden orientiert. Das heißt, die Stangen sind nicht einfach so in die Gegend gepflanzt worden, sondern das Ganze ist nach einem einheitlichen Konzept gestaltet." Das Konzept eines Kalenders, wie er glaubt.
Stangen als Peilungsinstrumente
Vom Magdalenenberg aus konnte also die Keltengruppe an der Position des Mondes erkennen, wann es Sommer und wann es Winter wurde. Auf diese Punkte am Horizont hin wurden auch die Gräber in zwei Halbkreisen angelegt. Gräber und Stangen belegen: Der Hügel war nicht nur eine keltische Begräbnis-Stätte, sondern ein astronomischer Zeitmesser. Mit diesem Wissen erscheint ein bestimmtes Fundstück einer Gürtelschließe aus dem Museum in Villingen in neuem Licht. Allard Mees erkennt darauf die Symbole einer Mondkultur, wie sie auch andernorts in Europa zu finden sind. Doch mit der Eroberung durch die Römer verschwinden damals die Kelten und damit auch ihre Mond-Kultur. Denn der römische Kalender basiert auf der Sonne. "Die römischen Legionäre haben das plattgemacht", so Mees "Es gibt auch wirklich von den Römern dort installierte Kalender, die voll auf die Sonne orientiert sind. Das heißt, man hat massiv das neue Kalendermodell da reingedrückt."
Als Cäsars Legionen in das Gebiet kommen, ist der Keltenfürst bereits über 500 Jahre tot. Dass wir heute so wenig über die keltische Kultur wissen, liegt auch an der Politik des römischen Feldherrn. In seinem Kriegsbericht machte Cäsar die Kelten zu primitiven Ur-Barbaren. "Diesen Bericht hat er für seine Senatoren in Rom geschrieben und wollte damit seine Rechtfertigung für seinen Angriffskrieg belegen. Dementsprechend hatte Cäsar da überhaupt kein Interesse, die hochentwickelten Fähigkeiten der Kelten überhaupt dazustellen." Doch sie waren eine großartige Kultur und das noch vor den Römern. Aber wie lässt sich dieses enorme astronomische Wissen der Kelten beweisen?
Computerbilder belegen Keltenkultur
Mit Daten der Raumfahrtbehörde Nasa rekonstruierte Archäologe Mees den Nachthimmel Ende Juni des Jahres 618 vor Christus, als der Fürst begraben wurde. Und tatsächlich stimmt die Position des Mondes mit den Peilungspunkten des Hügels überein. Und der Grabhügel offenbart eine zusätzliche Sensation: Von oben betrachtet sind die Gräber um den Fürsten nach den Sternbildern jener Nacht orientiert. Sie bilden ein Spiegelbild des Universums. "Wir denken immer, die Ägypter und die Griechen, das waren ja Hochkulturen, und hier nördlich der Alpen, die lebten in Bärenfellen und sind gerade aus den Bäumen gekommen. Aber das ist wirklich nicht der Fall gewesen", so Keltenforscher Allard Mees. Vielleicht sollten wir angesichts solcher Ergebnisse unser Bild von den Kelten geraderücken, wilde Barbaren waren sie sicherlich nicht. Allard Mees jedenfalls hat getan, was er konnte, um uns die Kultur der Kelten näherzubringen und um das Geheimnis des Magdalenenberges zu enträtseln.
Autor: Axel Wagner (SWR)
Stand: 07.11.2012 19:49 Uhr