So., 08.07.12 | 17:00 Uhr
Das Stress-Tagebuch
Die Vermessung des Stresses
Jeder merkt doch selbst, wenn er gestresst ist, oder? So einfach ist es leider nicht, die Gefahr von Dauerstress selbst zu erkennen. Bei Studien mit Ärzten und Managern haben Stressforscher festgestellt, dass den Probanden oft nicht bewusst war, welche Situationen sie besonders unter Stress setzten. Zudem kann Stress auch als positiv empfunden werden - das Problem eines jeden "Workaholics". Der Körper unterscheidet jedoch nicht zwischen positiv oder negativ empfundenem Stress. Ist die Belastung auf Dauer zu hoch, wird er krank. Forscher arbeiten daher an Messgeräten, die den Menschen helfen sollen, ihren persönlichen Stress besser zu erkennen und dadurch einen besseren Umgang damit zu finden.
Dauerüberwachung per Messgürtel
Stefan Hey vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) hat gemeinsam mit Kollegen einen Brustgurt entwickelt, der die Stresssymptome eines Menschen über mehrere Stunden oder Tage aufzeichnen kann und komfortabel zu tragen ist. Ein kleiner Sensor misst zum Beispiel Puls, die Variabilität der Herzrate oder die körperliche Bewegung. Ist der Puls relativ hoch, ohne dass der Mensch sich gleichzeitig viel bewegt, ist das ein Zeichen für Stress. Die sogenannte Variabilität der Herzfrequenz ist ebenfalls eine feste Messgröße für Stressforscher. Ist diese im Tagesverlauf zu monoton, ist das kein gutes Zeichen. Messungen während des Schlafens zeigen außerdem, ob der Stress bereits dazu führt, dass der Körper selbst im Schlaf nicht mehr entspannen kann.
Den eigenen Stress kennenlernen
Durch ein individuelles Stressprofil ist es Betroffenen möglich, die persönlichen Belastungen besser zu identifizieren. Forschergruppen wie die am KIT wollen deshalb Stress-Messgurte möglichst bald für jedermann zugänglich machen. Die Daten werden dann zum Beispiel an das Smartphone weitergegeben, das dem Besitzer Signale sendet, um an Erholungspausen zu erinnern.
W wie Wissen machte den Test und stattete einen Probanden mit einem Stress-Messgürtel aus: einen Brauhauswirt aus Karlsruhe. Sein Restaurant läuft gut, er hat viel zu tun, viele Angestellte zu betreuen und hat immer Spaß an der Arbeit. Doch die Auswertung seines Stressprofils zeigt, wie schwer ihm das Abschalten fällt und dass er durch Dauerstress seine Gesundheit aufs Spiel setzt - ganz entgegen seiner eigenen Einschätzung.
Achtsamkeit trainieren
Die Erholung auf das nächste Wochenende oder den nächsten Urlaub zu verschieben, ist fatal. Der Körper braucht seine Entspannungsphasen im Alltag. Doch mitten in einer stressigen Zeit denken die wenigsten an Erholung.
Zu den gängigsten und wissenschaftlich gut untersuchten Methoden in Stresskliniken und Entspannungszentren zählt zurzeit die Stressbewältigung durch "Achtsamkeit". Das weltanschauungsneutrale Programm "Mindfulness-Based Stress Reduction" (MBSR) wurde von Jon Kabat-Zinn (emeritierter Professor an der University of Massachusetts Medical School) entwickelt und basiert auf buddhistischen Traditionen.
Entspannung an der roten Ampel
Die Grundlage der Achtsamkeitspraxis klingt einfach und verlangt dennoch viel Übung: die Konzentration auf den gegenwärtigen Moment. In einem achtwöchigen MBSR-Kurs lernen die Teilnehmer in Meditationen und sanften Yogaübungen, ihren Atem zu beobachten und so ihre Gedanken und den Körper wahrzunehmen und zu entspannen.
Ein wichtiger Aspekt der Achtsamkeitspraxis ist allerdings die so genannte "formlose" Praxis, also die, die nicht auf Meditationskissen oder Yogamatte, sondern im Alltag stattfindet. Es geht darum, jeden Tag, in jeder Stunde kleine Momente zu finden, innezuhalten und durch einige bewusste Atemzüge ins "Jetzt" zu kommen. Also für einen Moment die Gedanken an gestern und morgen loszulassen und einfach nur durchzuatmen. Das Schöne daran: Jeder kann sich seine ganz persönlichen Achtsamkeitsmomente schaffen: an der roten Ampel, an der Supermarktschlange, oder jedes Mal, wenn eine neue E-Mail ankommt.
Autor: Krischan Dietmaier (WDR)
Stand: 07.11.2012 20:42 Uhr