So., 29.04.12 | 17:00 Uhr
Das Erste
Wanderrouten der Eiszeit
Älteste Malereien der Menschheit
Als die Grotte von Chauvet im südfranzösischen Tal der Ardèche 1994 entdeckt wird, bricht für die Archäologie eine neue Zeit an: In der Tropfsteinhöhle finden Forscher die ältesten bis dahin bekannten Wandmalereien der Menschheit. Zwischen 32.000 und 35.000 Jahre alt müssen sie sein, ergeben die Untersuchungen. Davor galten die Höhlenmalereien von Lascaux wegen ihres Detailreichtums als die bedeutendsten. Die sind allerdings "nur" 16.000 Jahre alt. Aber nicht nur das Alter der Zeichnungen zieht die Wissenschaftler in ihren Bann. Auch die Art und Weise wie die Malereien gestaltet sind, begeistert die Forscher. Tiere, die wie in Bewegung gemalt zu sein scheinen, Szenen mit Pferden, Mammuts, kämpfenden Nashörnern, detailliert gezeichnete Löwenköpfe.
Bekannte Formen
Harald Floss, Archäologe an der Universität Tübingen fasst seine Eindrücke so zusammen: "Sie kommen wirklich als anderer Mensch aus der Höhle wieder heraus. Sie glauben gar nicht, was Sie da drinnen gesehen haben." Der Forscher macht beim Betrachten der Gemälde eine Entdeckung: Die Tierarten kommen ihm bekannt vor – von Skulpturen, die man auf der Schwäbischen Alb gefunden hat: Löwen, Pferde und Mammuts. Sie sind aus Elfenbein geschnitzt – und ungefähr genauso alt wie die Höhlenmalereien von Chauvet. Sogar die Details der Tiere, wie zum Beispiel der Schwung ihrer Konturen, ähneln sich sehr.
Abgrenzung zum Neandertaler?
Indizien, die Harald Floss in seiner These bestärken, dass es Kontakte gegeben haben muss zwischen den ersten modernen Menschen in Europa. Und dass diese Kontakte über Wanderrouten entlang der großen Flüsse Rhone, Rhein und Donau geknüpft worden sind. Denn die Grotte von Chauvet liegt nahe der Rhone, die Funde auf der Schwäbischen Alb in der Nähe der Donau. Für Harald Floss geht es nun darum, weitere Indizien für seine Vermutung zu finden, denn noch könnte das gleichzeitige Auftreten der Kunstwerke an Donau und Rhone auch Zufall sein. Warum Homo Sapiens, also der moderne Mensch, gerade vor rund 32.000 Jahren anfing, eine Kultur zu entwickeln, darüber sind sich die Wissenschaftler uneins. Klar aber scheint: Es waren sinnstiftende, die Gemeinschaft stärkende Symbole, möglicherweise in Abgrenzung zum Neandertaler, der noch eine Zeit lang koexistierte.
Feuersteine und Schmuckstücke
Ein wichtiges Indiz liefern Werkzeuge aus Feuerstein, welche die Archäologen finden. Und zwar auf der Schwäbischen Alb und in der Höhle von Germolles im Burgund. Sie liegt auf halber Strecke zwischen der Schwäbischen Alb und der Grotte von Chauvet. Die interessante Entdeckung: Die Werkzeuge beider Fundorte sind aus dem selben Feuerstein gemacht. Er stammt aus dem Rheingraben in der Gegend von Freiburg, ziemlich genau in der Mitte von Schwäbischer Alb und Burgund. Und auch Elfenbeinschmuck finden die Forscher in Germolles und auf der Schwäbischen Alb, der in der Machart große Übereinstimmungen zeigt. Der Schluss liegt nahe, dass sich die Menschen von Germolles und von der Schwäbischen Alb gekannt haben könnten.
In Germolles finden die Forscher wiederum Muschelschmuck, den sie aus dem Rhonetal kennen, also aus der Gegend von Chauvet. Also muss es auch da Kontakt gegeben haben. Rhone-Rhein-Donau: All die Fundorte scheinen die These von den großen Flüssen als Wanderrouten zu belegen. Und vor kurzem wurde im heutigen Rumänien die Höhle von Coliboaia entdeckt, in der ebenfalls über 30.000 Jahre alte Malereien gefunden wurden. Die Höhle liegt nicht allzu weit entfernt von der Donau. Ein Motiv in der Grotte zeigt ein Nashorn - und die Art und Weise, wie es dargestellt ist, erinnert stark an Chauvet. Für Harald Floss ein weiterer Beleg, dass die großen Flüsse die Wanderrouten der Eiszeit gewesen sein könnten. Ob der moderne Mensch allerdings übers Mittelmeer die Rhone entlang nach Europa eingewandert ist oder über den Osten entlang der Donau, das kann auch der Tübinger Archäologe nicht beantworten.
Autor: Andreas Szelenyi (BR)
Stand: 17.07.2015 10:56 Uhr