Sa., 15.08.20 | 16:00 Uhr
Das Erste
Phosphor-Recycling: So wertvoll sind unsere Fäkalien!
Es stinkt! Es ist dreckig! Es schaut weder besonders appetitlich aus, noch möchte man es länger betrachten. Am besten möglichst schnell wegspülen: unser tägliches "Geschäft". Dabei steckt vielmehr drin als auf den ersten Blick zu erkennen wäre: Energie!
Hamburg Water Cycle: Exkremente maximal nutzen
Das kommunale Abwasserunternehmen "Hamburg Wasser", zu dem die Wasserwerke und die Stadtentwässerung der Hansestadt gehören, hat das früh erkannt. In der Jenfelder Au, einem 35-Hektar-Areal auf dem Gelände einer ehemaligen Kaserne in Hamburg, wird seit 2017 das ökologische Wohnen der Zukunft erprobt. Und dazu gehört auch das neuartige Schmutzwasserkonzept mit dem Namen "Hamburg Water Cycle" (HWC). Das Ziel des HWC: Unsere Exkremente maximal nutzen. Es ist das erste Wohnquartier Europas, in dem alle neu entstehenden Häuser nicht an die gewöhnliche Kanalisation angeschlossen werden, sondern an die Biogasanlage auf dem nahegelegenen Betriebshof.
Die Vakuumtoilette verbraucht nur 1 Liter Wasser
Das HWC-Konzept besteht aus drei Stufen:
Die erste Stufe betrifft die Haushalte in der Jenfelder Au: Vakuumtoiletten. Auch Familie Bräuer hat so eine Vakuumtoilette. Mutter, Vater und Tochter wohnen seit 2017 in einem rotbraunen Klinkerbau auf dem Gelände. Eine Baugemeinschaft hat das Gebäude gemeinsam errichtet. Das neuartige Klo war eine der Grundbedingungen bei der Ausschreibung. Auf den ersten Blick sieht das Wand-WC ganz normal aus. Der Hauptunterschied ist vor allem hörbar. Betätigt man die Spülung wird der Inhalt über ein Unterdrucknetz abgepumpt. Das zugehörige Geräusch erinnert an die Spülung einer Flugzeugtoilette. Die Vakuumtoilette ist also erstmal laut, verbraucht aber pro Toilettengang statt der üblichen bis zu 10 Liter nur 1 Liter Wasser. Das schont die Umwelt und den Geldbeutel. Die Familie Bräuer spart mit ihrem wasserarmen Klo zum Beispiel knapp 27.000 Liter Wasser im Jahr. Zweiter Vorteil: Das "Geschäft" wird viel weniger verdünnt als auf einem normalen Klo – und das macht die anschließende Energieproduktion effizienter.
Grau- und Schwarzwassertrennung vor Ort
Die zweite Stufe des HWC-Konzeptes betrifft die Kanalisation auf dem Gelände: Alle anfallenden Abwässer werden direkt vor Ort getrennt, gesammelt und behandelt. Konkret heißt das: Das Abwasser aus Küche oder Dusche (Grauwasser), das Regenwasser und das Abwasser aus der Toilette (Schwarzwasser), werden in drei getrennten Kreisläufen gesammelt und genutzt. Für die Energiegewinnung ist nur das Schwarzwasser wichtig. Die wassersparenden Vakuumtoiletten haben dafür gesorgt, dass der Energiegehalt im Schwarzwasser hoch genug ist für die Biogasherstellung.
Alles, was bei Familie Bräuer in der Vakuumtoilette landet, wird jetzt, in der dritten Stufe des HWC-Konzeptes, zu einem nahegelegenen Betriebshof geleitet. Dort wird es in einer Biogasanlage aufbereitet. Es kommt als Strom und Wärme wieder zurück in die Haushalte. Das Toilettenabwasser der Familie Bräuer wird dafür zum sogenannten Fermenter transportiert. Das ist ein Bioreaktor, in dem bestimmte Mikroorganismen unter möglichst optimalen Bedingungen kultiviert werden und dabei Biogas erzeugen. Dazu wird das Abwasser mit energiereichem Fettwasser und Kompostabfällen (Rasenschnitt) vermischt und für 21 Tage zum Gären stehen gelassen. Es entsteht klimaneutrales Biogas. Und das wird gleich vor Ort in Wärme und Strom umgewandelt und direkt wieder an das Quartier abgegeben. Ein Kreislauf, wie er in der Landwirtschaft bereits seit Jahren eingesetzt wird.
Und was bringt unser "Geschäft"?
Damit wird die Toilette also zur Energiequelle. Bezogen auf den Hamburger Durchschnittsverbrauch werden derzeit rund 225 Haushalte auf dem Gelände mit Strom und 70 Haushalte mit Wärme versorgt. Der Begriff "Selbstversorger" bekommt so eine ganz neue Bedeutung. Projektleiter Wolfgang Kuck fasst den Gewinn kurzerhand in Zahlen: "Wir werden mit der Anlage circa 450.000 kWh Energie pro Jahr erzeugen. 225.000 kWh brauchen wir zum Betrieb der Anlage. Das heißt also: 225.000 kWh speisen wir pro Jahr ins Netz ein.
Je nachdem, wie man solche Anlagen in Zukunft konzipiert, kann man damit sogar elektrisch und wärmetechnisch autarke Gebiete planen." Für die Jenfelder Au heißt das also, etwa ein Drittel der insgesamt 850 Haushalte vor Ort könnte bereits jetzt autark leben, nur dank der Energieproduktion vor Ort. Um komplett autark zu leben, reicht allerdings die Energiegewinnung aus Schwarzwasser nicht aus, dazu bräuchte es zusätzliche Energieproduktionsstätten – zum Beispiel in Form von Solaranlagen auf den Dächern.
Der Abwasser-Goldrausch mit dem Phosphor
Und damit nicht genug: Familie Bräuer erzeugt in ihrer Toilette noch einen zweiten wichtigen Rohstoff: Phosphor. Denn den überschüssigen Phosphor, den wir bei der Nahrung zu uns nehmen, scheiden wir wieder aus. Für die Landwirtschaft ist Phosphor einer der wichtigsten Dünger. Das Problem: Die Ressource Phosphor ist endlich. In Deutschland wird der Dünger zu 100 Prozent importiert. Die weltweiten Vorräte sind in 100 bis 300 Jahren erschöpft. Eine aktuelle Verordnung des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit aus 2017 schreibt deshalb die teilweise Rückgewinnung von Phosphor aus Klärschlamm ab spätestens 2029 vor.
Deutschlandweit werden deshalb Pilotanlagen gebaut, die den Phosphor aus unseren Ausscheidungen zurückgewinnen sollen. Wolfgang Kucks Arbeitgeber "Hamburg Wasser" baut gerade eine solche Phosphor-Rückgewinnungsanlage. Es ist eine weltweit einzigartige Pilotanlage, die ab 2021 aus circa 20.000 Tonnen Klärschlamm-Masse jährlich rund 7.000 Tonnen hochreine Phosphorsäure gewinnen soll. Gelingt das Projekt, wird es, wie der HWC, ein Vorbild für die zukünftige Entwicklung der Stadtentwässerung sein. Die Exkremente der Familie Bräuer sind also wahrlich Gold wert, und könnten bald helfen ein weltweites Problem zu lösen. Denn unser Abwasser ist kein Abfall, sondern ein wichtiger Rohstoff, den man nutzen kann.
Autor: Fabian Wolf (WDR)
Stand: 15.08.2020 17:27 Uhr