Sa., 26.09.20 | 16:00 Uhr
Das Erste
Jede Menge Holz im Wald: So profitieren Klima und Natur von der Holzschwemme
Der Forstwissenschaftler Professor Thomas Knoke und der Förster Christoph Dimke suchen im Wald der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität nach kranken und kaputten Bäumen. Der Wald ist Forschungswald und Wirtschaftswald in einem. Professor Thomas Knoke von der TU München leitet ihn. Einige Waldsegmente sind bereits zu einem artenreichen Laubmischwald umgebaut – nachdem die dortige Fichtenmonokultur von Stürmen wie "Wiebke" vor 30 Jahren zerstört wurde. In einem anderen Teil des Waldes stehen dagegen noch fast 200 Jahre alte Fichten. Mittlerweile sind aber auch die stark geschädigt. Trockenheit und Stürme der vergangenen Jahre haben ihnen zugesetzt. Einige haben kaum noch Rinde. Diese Bäume dürfen als Biotopbäume stehen bleiben.
Andere haben noch Rinde, aber fast alle Nadeln verloren. Sie müssen gefällt werden, denn unter der Rinde sitzt der Borkenkäfer. Wenn der ausfliegt, wird er weitere Bäume im Wald befallen und zerstören. Das kann sich der Uniwald nicht leisten: Er ist kein Naturschutzgebiet, sondern muss wie alle Nutzwälder Gewinne erzielen. Das "Not-Fällen" der geschädigten Bäume geschieht in einer Zeit, in der überall in den Wäldern Schadholz gefällt wird. Das schlage sich in dem Holzpreis nieder, so Professor Thomas Knoke: "Wegen der Schäden müssen wir, auch wenn wir gar nicht wollen, das Holz einschlagen und auf den Markt bringen. Das ist zur Zeit ein Riesenproblem, weil die Holzpreise so gefallen sind, dass wir auch für das Stammholz oftmals kaum Geld bekommen."
Massenhaft Schadholz im Sägewerk
Die Sägewerke nehmen nicht mehr Holz auf als üblich. An vielen Orten wird das Holz deshalb zwischengelagert, etwa im Ebersberger Forst, wo die Bayerischen Staatsforsten ein Holzlager errichtet haben. Hier werden die gefällten Baumstämme gestapelt und permanent mit Wasser bespritzt – so werden Schäden und Entwertung durch Verfärbung oder Borkenkäferbefall verhindert. In Sägewerken wie in Unterbernbach in der deutschen Filiale des österreichischen Sägewerks Pfeifer kann nicht mehr Holz als üblich verarbeitet werden. Dort stapeln sich die Fichtenstämme. Etwa die Hälfte davon ist sogenanntes Käferholz – das heißt, die Bäume waren vom Borkenkäfer befallen oder vom Befall bedroht. Sie werden wie üblich sofort entrindet und sind dann größtenteils schadenfrei. Die abgeschälte Rinde wird sofort in das werkseigene Heizkraftwerk transportiert und dort verbrannt. Damit wird die gesamte Energie erzeugt, die das Sägewerk braucht. Den derzeit günstigen Holzpreis sieht der Leiter der Abteilung Holzprodukte, Johannes Dorfner, kritisch: "Kurzfristig profitieren wir zwar davon, dass wir günstiges Holz einkaufen können. Aber natürlich gehen im selben Zug auch die Verkaufspreise nach unten, sodass es nicht nur positiv ist, sondern auch negative Aspekte mit dabeihat. Und langfristig ist uns ein gesunder Wald lieber als günstige Einstandspreise im Holz."
Eine kurzfristige Holzschwemme mit viel billigem Holz könnte bedeuten, dass zuverlässige Lieferungen zu einem späteren Zeitpunkt ausfallen könnten. Doch das Sägewerk ist darauf angewiesen, dass die Holzlieferungen kontinuierlich eintreffen und die Qualität immer gleich gut ist. Das kann langfristig nur ein gesunder Wald leisten. Aus dem Fichtenholz produziert die Firma Bretter, Balken und Klötze – und, in einem anderem deutschen Werk, auch hochwertiges Brettsperrholz, etwa für den Häuserbau. Jeder Baumstamm wird gescannt und vermessen. Ein Computerprogramm steuert den Zuschnitt jedes einzelnen Holzstamms und passt ihn an die Form des Stammes so individuell an, dass beim Zersägen möglichst wenig Reste übrigbleiben. Im Sägewerk Pfeifer bleiben auf diese Weise nur etwa 20 Prozent übrig: Rinde, Sägeresten und Sägemehl. 80 Prozent der angelieferten Baumstämme werden zu langlebigen Holzprodukten verarbeitet.
Mehr Holzbauten nutzen dem Klimaschutz
Solche langlebigen Holzprodukte sind optimal für den Klimaschutz. Denn der im Holz gespeicherte Kohlenstoff bleibt so lange darin festgelegt, wie das Produkt besteht. Häuser und andere Bauten aus Holz sind deshalb ideal. Klimaschützer werben für mehr Bauten aus Holz, wie etwa auf der Bundesgartenschau 2019 in Heilbronn. Dort steht das "Skaio", mit 34 Meter Höhe das erste Holzhochhaus Deutschlands. Zwar ist es außen mit Aluplatten verkleidet und auch innen ist es nicht zu 100 Prozent aus Holz – ein Treppenhaus aus Stahlbeton sorgt für ein größeres Sicherheitsgefühl der BewohnerInnen. Doch Häuser wie dieses sind klimafreundlicher als Bauten aus Stahl und Beton. In Wien steht bereits ein 84 Meter hohes Holzhochhaus, das "HoHo", und auch in Hamburg ist ein Holzhochhaus geplant: Die "Wildspitze" soll 64 Meter hoch werden.
Je mehr Häuser aus Holz gebaut werden, desto mehr Holzreste fallen an. Insgesamt können durchschnittlich etwa 50 Prozent eines Baumes zu Balken und Brettern verarbeitet werden. Die übrigen 50 Prozent – bestehend aus Baumkronenmaterial, Ästen, Rinde, Sägeresten und Sägemehl – werden zu einem kleinen Teil zu Produkten wie Dämmplatten verarbeitet. Doch die Nachfrage nach solchen Holzprodukten ist bislang nicht sehr groß. Der überwiegende Teil der Holzreste wird somit verbrannt. Im Sägewerk Pfeifer etwa werden Sägereste und Sägemehl zu Pellets für Heizungen und Kaminöfen gepresst. Auch das ist klimafreundlich, denn die im Sägewerk anfallenden Holzreste könnten kaum anders verwendet werden. Würden sie ungenutzt verrotten, würden sie ebenso viel CO2 emittieren wie beim Verbrennen. Sowohl beim Verrotten, als auch beim Verbrennen wird jedoch nur genauso viel CO2 emittiert, wie der Baum zuvor beim Wachsen gespeichert hat. Ein Klimaschutzeffekt ergibt sich auch dadurch, dass Holz als Heizmaterial in vielen Fällen fossile Brennstoffe wie Öl, Gas oder Kohle ersetzt. Der Verbrauch nicht nachwachsender Brennstoffe wird somit vermieden.
Mehr Totholz im Wald: gut für den Artenschutz!
Für den Klimaschutz ist es also gut, wenn möglichst viel Holz genutzt wird – vorausgesetzt, die gleiche Holzmenge wächst gleichzeitig nach, was in Deutschland der Fall ist. Doch Artenschützer wie der Forstwissenschaftler und Waldökologe Professor Jörg Müller hätten gern mehr Totholz im Wald, so wie im nordbayerischen Steigerwald. Obwohl dort Forstwirtschaft betrieben wird, darf mehr totes Holz liegen bleiben als üblich. "Wir sehen hier eine wunderschöne Eichenkrone, die nach einem Hieb liegen geblieben ist; das ist für viele unverständlich, so ein tolles Holz im Wald zu lassen. Ich als Totholzkäfer-Mann würde immer sagen: 'Fantastisch, genau solche Strukturen brauchen wir viel dringender im Wald, weil dann unsere hoch bedrohten Arten wieder häufiger werden.'"
Die große Bedeutung von Totholz im Wald werde beim Kampf gegen das Insektensterben oft vergessen, sagt Müller. Der Wissenschaftler stellt im schonend bewirtschafteten Wald Insektenfallen auf. Die Auswertung zeigt: Hier vermehren sich die Insekten sehr gut. Doch der Waldökologe weiß auch: Zur Nutzung von Holz als nachwachsendem Rohstoff gibt es keine Alternative. Würden die Bäume nicht genutzt, würde das zwar der Artenvielfalt helfen, nicht aber dem Klimaschutz. Denn alte Bäume speichern weniger Kohlenstoff als junge nachwachsende Bäume. In einem ungenutzten Wald kommt es irgendwann zu einem Gleichgewicht zwischen nachwachsenden und absterbenden Bäumen – zusätzliches CO2 nimmt so ein Urwald dann nicht mehr auf.
Spagat zwischen Klimaschutz und Artenschutz
Ein etwas höherer Totholzanteil als derzeit in deutschen Wäldern vorhanden ist, würde der Artenvielfalt jedoch helfen. Die derzeitige Holzschwemme und der schlechte Holzpreis sollte den ein oder anderen Forstwirt zum Umdenken bewegen. "Holz ist eine tolle Ressource, ist eine der wenigen nachhaltigen Rohstoffe, die wir produzieren können, ist vielseitig verwendbar. Auf der anderen Seite braucht die heimische Biodiversität im Wald Totholz im Wald, und da nutzt der Dachstuhl nichts", sagt Müller.
Im Universitätswald der LMU bei Landshut entspricht der Totholzanteil ungefähr dem deutschen Durchschnitt von etwa 20 Kubikmetern Totholz pro Hektar oder sechs Prozent des Holzvorrats. Förster Christoph Dimke und Professor Thomas Knoke sehen sich jeden einzelnen Baum an. Da die Holzpreise so schlecht sind, können sie sogar noch etwas mehr abgestorbene Bäume als üblich als Biotopbäume stehen lassen, ohne wirtschaftlichen Schaden für den Uniwald. Doch ein sehr viel höherer Totholzanteil sei im Nutzwald nicht möglich, sagt Forstwissenschaftler Knoke. Denn dann könnte weniger Holz für Holzprodukte verwendet werden. Diese müssten dann durch andere, klimaschädlichere Materialien ersetzt werden – etwa durch Stahl und Beton beim Hausbau – oder durch Holzimporte aus anderen Ländern: kein Vorteil für den Klimaschutz. Auch die Energie- und Wärmeerzeugung durch Holz ist klimafreundlicher als mit fossilen Brennstoffen. Alternative klimaneutrale Methoden können noch nicht flächendeckend eingesetzt werden. Solange also der Verbrauch von Ressourcen insgesamt nicht einschränkt wird, ist es für den Klimaschutz sinnvoll, möglichst viel heimisches Holz zu nutzen. Und so bleibt die Bewirtschaftung der Wälder ein schwieriger Spagat zwischen Klimaschutz und Artenschutz.
Autorin: Susanne Delonge (BR)
Stand: 28.09.2020 10:00 Uhr