Sa., 06.06.20 | 16:00 Uhr
Das Erste
Eisbären – Training gegen die Langeweile
Im Zoo müssen Tiere nicht jagen, nicht hungern und nicht um Reviere kämpfen. Ihr Leben ist bequem – manchmal zu bequem. Zootiere, die nicht die Möglichkeit haben, ihre Instinkte auszuleben, können Verhaltensstörungen ausbilden. Eisbären sind davon besonders betroffen: Die größten Landraubtiere der Erde haben hohe Ansprüche, die unter Zoobedingungen schwer zu erfüllen sind. Kann intensives Training helfen und vorbeugen?
Eisbären gehören zu den großen Publikumslieblingen in deutschen Zoos. Aber ihre Haltung ist umstritten, weil sie zu den Arten gehören, die im Zoo häufiger Verhaltensauffälligkeiten zeigen, sogenannte Stereotypien. Dazu gehören lang anhaltendes Hin- und Herlaufen, aber auch Kopfverrenkungen und das Kratzen an Scheiben und Wänden – scheinbar sinnloses Verhalten mit immer wiederkehrenden Bewegungsabläufen. Moderne Zoos sind sich dieser Problematik bewusst und versuchen, dagegen an zu arbeiten: Zum Beispiel mit größeren Gehegen, in denen sich die Tiere auch mal aus dem Weg gehen können. Und aufwendigen Beschäftigungsprogrammen. "Langeweile, die wir zulassen, weil die Eisbären lange Zeit keine Beschäftigung bekommen, das kann zu einem Problem werden", erklärt Antje Angeli, die als Kuratorin im Zoo Rostock auch für das Tierwohl zuständig ist.
Beschäftigungstherapie für Bären
In der Arktis legen Eisbären auf der mühsamen Jagd nach Robben Hunderte Kilometer auf eisigem Grund zurück. Das Rostocker Polarium gehört zwar zu den modernsten Anlagen in Europa, aber die Weite der Arktis ist hier trotzdem nur aufgemalte Kulisse. Mehrere Tierpfleger*innen sollen das Zooleben für die drei jungen Eisbären möglichst abwechslungsreich gestalten. Es gibt keinen festen Tagesablauf und auch Fütterungen vor Publikum zu bestimmten Uhrzeiten wurden abgeschafft. Viele Besucher reagieren darauf erstmal enttäuscht. Doch für die Bären soll so jede Form der Routine vermieden werden.
Über Kameras können die Pfleger*innen jeden Winkel der Anlage im Blick behalten. Haben sie das Gefühl, dass einem Eisbären langweilig wird oder zeigt er gar auffälliges Verhalten, sorgen sie für Beschäftigung: Sie bieten Spielzeug an, verstecken Duftspuren oder Futter auf der Anlage. Zum täglichen Beschäftigungsprogramm für die Eisbären gehört außerdem das Training am Kontaktgitter. Auf Kommando ihrer Pfleger*innen richten sich die Tiere auf den Hinterbeinen zu beeindruckenden drei Metern Größe auf, reichen ihre riesigen Tatzen durch das Gitter oder lassen sich ins Maul schauen. Das gezielte Training soll es ermöglichen, kleinere medizinische Untersuchungen ohne Narkose durchzuführen. Es ist aber auch dazu gedacht, die Tiere geistig zu beschäftigen – ganz ähnlich wie das Training mit einem Hund. Für jede Anweisung, die der Bär befolgt, gibt es Leckerbissen: Fischöl ist besonders beliebt.
Eisbärhaltung im Wandel
Kuratorin Antje Angeli führt auch das internationale Zuchtbuch für Eisbären und hat daher einen genauen Überblick über jede Geburt, jeden Todesfall und jeden Umzug eines Tiers in den teilnehmenden Zoos. 279 Eisbären leben derzeit weltweit in Tiergärten. In den 1970er- Jahren waren es noch nahezu doppelt so viele. Der Rückgang hat mehrere Gründe: Bis in die 1980er-Jahre hinein konnten Zoos ihre Bestände jederzeit durch Wildfänge ergänzen. Das ist heute so nicht mehr möglich. Außerdem ist die Zucht inzwischen durch internationale Zuchtprogramme streng geregelt: Nicht jeder Zoo darf zu jeder Zeit Nachwuchs produzieren. Aber auch die steigenden Ansprüche an die Qualität der Tierhaltung – sowohl durch die Besucher als auch durch die Zoos selbst – haben dazu beigetragen, dass die Zahl der in Zoos lebenden Eisbären sinkt: Einige Tiergärten können oder wollen sich teure neue Gehege und aufwendige Beschäftigungsprogramme für die Eisbären nicht leisten und ziehen sich darum ganz aus der Haltung zurück.
2019 kündigte beispielsweise der Zoo Wuppertal an, seine traditionelle Eisbärenhaltung nach mehr als 100 Jahren zu beenden, da das Gehege nicht mehr den Vorstellungen einer "tiergerechten Eisbärenhaltung" entspräche und eine Modernisierung zu teuer sei. Für alle Zoos bleibt es eine Herausforderung, anspruchsvolle Tiere wie Eisbären möglichst artgerecht zu halten. "Zootierhaltung ist nichts Starres", erklärt Antje Angeli. "Ich glaube wir müssen immer weiter schauen, wie wir optimieren und verbessern können, was wir für die Tiere leisten. Und da werden wir immer neue Wege gehen müssen."
Autorin: Christine Seidemann (NDR)
Stand: 06.06.2020 13:12 Uhr