Sa., 06.06.20 | 16:00 Uhr
Das Erste
Zuchtprogramm für Walrosse – Die Letzten ihrer Art?
Den europäischen Zoos geht der Walross-Nachwuchs aus: Gerade einmal 13 Tiere leben verteilt auf nur zwei Zoos und ein Delfinarium. Jetzt wollen ihre Halter enger zusammenarbeiten und haben sich zu einem Zuchtprogramm zusammengetan. Für die Walrosse in den europäischen Zoos könnte das bedeuten: Sie werden sich in den nächsten Jahren immer wieder an neue Pfleger*innen und Wohnorte gewöhnen müssen. Odin zum Beispiel aus dem Tierpark Hagenbeck in Hamburg ist der einzige Walross-Zuchtbulle in ganz Europa. Vier Jungtiere hat er in den vergangenen Jahren gezeugt, nur zwei davon haben überlebt. Und Odin wird langsam alt – wie die meisten europäischen Walrosse. Das neue Zuchtprogramm unterliegt deshalb auch einem gewissen Zeitdruck: Ob es gelingt, den Bestand in den europäischen Zoos aus eigener Zucht mittelfristig zu sichern, hängt davon ab, ob die Weibchen in ihren verbleibenden fruchtbaren Jahren noch gesunde Jungtiere zur Welt bringen. Als ersten Schritt dazu hat das Aquarium in Valencia seine drei Walross-Weibchen nach Hamburg gebracht. Odin soll sie decken. Anschließend ziehen die Walrossdamen weiter in einen belgischen Zoo.
Walross-Nachzucht: Probleme und offene Fragen
Die Walross-Nachzucht im Zoo steckt noch in den Kinderschuhen. Während sich Löwen und andere Arten in Zoos inzwischen so zuverlässig fortpflanzen, dass oft verhütet werden muss, gibt es weltweit noch keinen Walross-Halter, bei dem regelmäßig Nachwuchs geboren wird. Das liegt auch daran, dass viele Zoobecken den Tieren unzureichende Möglichkeiten bieten. Im heißen Valencia etwa hatten die kälteliebenden Walrosse 16 Jahre eingeschlossen unter einer klimatisierten Kuppel verbracht. Sie in Hamburg dazu zu bringen, sich an die frische Luft zu trauen, war eine Herausforderung für das ganze Team. In den vergangenen Jahren haben mehrere Zoos in die Walross-Haltung und deren Verbesserung investiert.
Bessere Becken und mehr Wissen über die Tiere könnten in den nächsten Jahren dazu führen, dass mehr Nachwuchs geboren wird, hoffen die Zoos. Noch aber sind viele Fragen ungeklärt. Auch die, wie es gelingen kann, dass mehr Walrosse ihre charakteristischen Stoßzähne behalten. Bislang müssen sie im Zoo oft gezogen werden, weil sie sich entzünden. Vermutlich, weil die Tiere damit über den harten Beton der Becken schaben. "Wir können nur hoffen, dass wir da noch dazu lernen, damit so etwas in Zukunft nicht mehr passiert", erklärt Tierärztin Dr. Ariane Prahl vom Hamburger Tierpark Hagenbeck.
Zoos arbeiten zusammen
In den nächsten Jahren wollen die europäischen Walross-Halter vermehrt Tiere untereinander tauschen und gezielt zur Zucht zusammenbringen. Und sie wollen ihr Wissen noch stärker teilen. Während Zoos sich früher oft als Konkurrenten sahen, verstehen sich die meisten heute in der Zucht als Partner, die selbstverständlich Informationen und neue Erkenntnisse austauschen. Im Rahmen des neuen Zuchtprogramms verbringen beispielsweise Pfleger*innen aus Valencia und dem belgischen Zoo Pairi Daiza viel Zeit in Hamburg, um voneinander zu lernen. Das wäre früher undenkbar gewesen. Trotzdem weiß niemand, ob das ausreichen wird, die Walrossbestände in den europäischen Zoos zu vergrößern – oder auch nur zu erhalten. Sollte das nicht gelingen, müsste man wohl in nicht all zu ferner Zukunft akzeptieren, dass eine tiergerechte Haltung für Walrosse im Zoo nicht möglich ist.
Autorin: Christine Seidemann (NDR)
Stand: 06.06.2020 13:35 Uhr