Sa., 29.06.24 | 23:35 Uhr
Das Erste
Anke Prumbaum: Zweite Chance
"Zweite Chance"
Ich erlebe immer wieder eindrückliche Momente als Krankenhausseelsorgerin. Eine Patientin kam nur für einen Routineeingriff ins Krankenhaus, nichts Wildes. Aber sie war frisch tätowiert. Hier. Da war noch diese transparente Folie drüber. Ein Kreis und zwei Kreishälften daneben, alles irgendwie aneinander. Ihr einziges Tattoo. Es bedeutet: Meine Haltung zur Organspende ist positiv. Die Zeichen stehen für O, organ, Organ, und D, donor, Spender, Spenderin. Sie drückt damit aus: Ich käme grundsätzlich für eine Organentnahme infrage.
Es gibt zu wenig Organe.
Und weil es zu wenig gespendete Organe gibt, sterben Menschen. Und zwar jeden Tag drei. Ich finde das krass viel. Ich arbeite viel mit kranken Menschen, ich kenne die Situation, wenn Menschen auf Hilfe warten und hoffen. Auf Lebensrettung. Es ist schwer genug, dass es Erkrankungen gibt, wo die Therapie am Ende ist. Aber noch schwerer finde ich den Umstand, dass es Menschen gibt, für die gäbe es Rettung, und die stehen auf einer Warteliste und hoffen jeden Tag auf den erlösenden Anruf. Und der kommt nicht.
Ich habe einmal, auch im Krankenhaus, einen Patienten getroffen, der war transplantiert. Wir haben zusammen Abendmahl gefeiert. Ich hab ihm das Brot gegeben und gesagt: „Für dich gegeben.“ Das sagen Christen und Christinnen beim Abendmahl, die Spendeformel. Er hat sich das Brotstück in die Hand legen lassen und hat mich angeguckt und gesagt: „Was das heißt, das weiß ich erst, seit ich mein Organ bekommen habe. Da hat mir jemand etwas gegeben, damit ich leben kann.“
Ich war sprachlos. Und ich hab verstanden. Wir Christinnen und Christen feiern, dass Jesus sich selbst gibt, sein Leben am Kreuz gibt, damit wir Leben haben. Das ist ja recht abstrakt. Ist für mich seit dieser Begegnung aber nochmal neu verständlich.
Und dann denke ich wieder an die Patientin mit dem Tattoo. Wir haben über alles Mögliche geredet, und wahrscheinlich war das auch der Grund, warum wir über Organspende reden konnten. Weil‘s so weit weg war. Weil der Tod, der ja das eigentliche Tabuthema beim Thema Organspende ist, nicht im Raum stand.
Ich erlebe das immer wieder in der Krankenhausseelsorge. Wie reden wir über den Tod? Wie fangen wir überhaupt an mit dem Thema? Ganz viele Menschen haben noch nicht einmal eine Patientenverfügung, dabei sollte die wirklich jeder haben, aber um die zu haben, muss ich ganz offen über meinen eigenen Tod nachdenken. Genauso bei der Entscheidung, mir einen Organspende Ausweis ins Portemonnaie zu packen oder in den Notfallpass im Handy einzutragen. Und das ist schwer. Das macht so eine Angst.
Wie groß diese Angst ist, zeigen die Zahlen: 80% der Bürgerinnen und Bürger in unserem Land finden Organspende gut. Aber nur etwa die Hälfte hat einen Organspende Ausweis.
In dieser Woche hat es eine überparteiliche Initiative im Bundestag gegeben, die sich noch einmal für die Widerspruchslösung einsetzt. Meint: Jeder Mensch, der nicht aktiv zu Lebzeiten „Nein“ zur Organspende sagt, kommt als potentieller Spender infrage. Klar, schöner wäre natürlich, wenn Menschen aktiv zu Lebzeiten „Ja“ sagen würden. Aber da alle Kampagnen bisher nicht zum Erfolg geführt haben, ist das zwar nicht die Premiumlösung, aber, finde ich, immerhin ein gangbarer Weg.
Zwei Halbkreise, die zusammengesetzt wieder einen Kreis ergeben: ein krankes Organ wird durch ein gesundes ersetzt und das Leben kann weiter gehen.
Ich persönlich finde den Gedanken schön, dass vielleicht nach meinem Tod ein Mensch durch eine Organspende erleben kann: Für dich gegeben. Damit du leben kannst.
Ich wünsche Ihnen einen gesegneten Sonntag.