Sa., 09.09.23 | 23:35 Uhr
Das Erste
Annette Behnken: Mein behindertes Kind
Mein behindertes Kind
Guten Abend.
Ich bin Mutter eines behinderten Kindes. Dieses Kind hatte ein kurzes Leben und hat in dieser Zeit das Gesundheitssystem sehr viel Geld gekostet und viele Menschen sehr viel Kraft. Und genau das sagt genau gar nichts aus über den Wert und die Würde dieses Lebens. Oder über die Liebe, die ich für dieses Kind empfunden habe. Ich kenne die bitteren Seiten des Lebens mit Behinderung. Und die kostbaren. Wenn ich mit meiner Tochter oder anderen behinderten Menschen zusammen war oder bin, dann erlebe ich vor allem eins: Wie vielfältig und besonders und verletzlich jedes Leben ist.
Zu den bitteren Seiten gehört etwas, das viele Menschen erfahren: Man irritiert. Man stört. Man macht Umstände. Der Anblick meiner Tochter hat viele Menschen verstört, genauso die Geräusche, die sie gemacht hat und der ganze Kram, Rolli, Hilfsmittel. Das ist die Realität.
Und der Anspruch ist: Alle Menschen, uneingeschränkt, müssen an allen Bereichen des Lebens teilhaben können. Punkt, aus. Klare Sache. Inklusion ist ein Menschenrecht.
Für mich ist das unverbrüchliche Folge aus meinem Glauben: Gelebte Nächstenliebe und Solidarität. Gut, nun kann Ihnen mein Glaube egal sein. Aber wahrscheinlich ist Ihnen nicht egal, was das Herz unseres Zusammenlebens ausmacht, nämlich die uneingeschränkte Würde jedes Menschenlebens.
Die wurde nach der menschengemachten Katastrophe des dritten Reiches mit verdammt gutem Grund in unserer Verfassung verankert. Die Grundlage jedes Menschenrechts.
Alle Menschen, uneingeschränkt, müssen an allen Bereichen des Lebens teilhaben können. Klare Sache. Schwierige Sache.
Inklusion ist anspruchsvoll und kann nerven: Rücksicht nehmen. Zugänge erleichtern. Lernstoffe umstellen. Anderssein aushalten. Aber: Das ist Voraussetzung für viele Menschen, um am Leben teilnehmen zu können.
Viele? Wieviel Prozent unserer Gesellschaft betrifft das überhaupt? 100 Prozent. Alle. Inklusion betrifft alle die, sei es wegen ihres Alters, ihrer Behinderung, ihrer Hautfarbe, Herkunft oder Geschlechtsidentität an Teilen des gesellschaftlichen Lebens nicht teilnehmen können. Und alle, die mit ihnen solidarisch sind. Inklusion geht nur zu 100 Prozent.
Aber zunehmend höre und lese ich Kommentare und Statements von Menschen, die nicht inklusiv denken, sondern exklusiv. Die andere ausschließen, sortieren in dazugehörig - nicht dazugehörig. Das ist Selektion. Das ist menschenverachtend. Das hatten wir schonmal. Und ich habe Angst, wie lange nicht, dass wir an dieser Stelle nicht mehr wachsam sind. Lassen Sie uns alle aufpassen. Den Mund aufmachen. Uns einsetzen. Vorbilder sein, so gut es geht, für das, was uns Menschen menschlich macht: Solidarität und Nächstenliebe.
Ich wünsche Ihnen eine gute Nacht.