Interview mit Matthias Brandt
Sie haben nach 15 Folgen als Kommissar im "Polizeiruf 110" aufgehört, auch deshalb, weil Sie genug über Hanns von Meuffels herausgefunden haben. Nun sehen wir Sie wieder in der Rolle eines Kommissars. Was wollten Sie in "Das Geheimnis des Totenwaldes" über diese Figur des Thomas Bethge herausfinden?
Im Kern hat mich interessiert, wie jemand damit umgeht, der einerseits eine herausgehobene Position bekleidet, in seiner Arbeit extrem erfolgreich ist und andererseits Opfer eines Verbrechens wird, zumindest mittelbar als Angehöriger, und dagegen genauso machtlos ist wie jeder andere Mensch auch. Das fand ich ein interessantes Spannungsfeld.
Die Schwester des LKA-Chefs verschwindet, und er bemüht sich um Aufklärung, aber er haut nie richtig auf den Tisch. In einem Hollywood-Film würde er losziehen und den Fall auf eigene Faust lösen. Warum macht er das nicht?
Ich fand das schlüssig, weil das eine Figur ist, die an die staatlichen Strukturen und die Polizeistrukturen durchaus glaubt. Thomas Bethge will diese rechtsstaatliche Ordnung grundsätzlich nicht in Frage stellen, was er tun müsste, wenn er tatsächlich so auf den Tisch hauen würde, damit er etwas bewirkt. Ein Hamburger LKA-Chef darf ja de facto nicht in einem anderen Bundesland ermitteln. So ist das bei uns gegliedert und organisiert. Das erscheint uns – von außen betrachtet – absurd und vielleicht bedauern wir sogar, dass der möglicherweise sympathische Hamburger Polizeichef nicht einfach durchregieren und jetzt mal eine Ansage machen kann. Aber es gibt auch gute Gründe für dieses System. Das hat etwas mit Gewaltenteilung, mit verteilter Macht zu tun. Auf das Ganze gesehen, bin ich über diese Strukturen eigentlich ganz froh.
Dennoch hindert diese loyale Beamtenmentalität Thomas Bethge zunächst daran, das Verschwinden seiner Schwester aufzuklären.
Ich glaube, diese Gebremstheit Bethges erwächst aus dem inneren Konflikt zu wissen, wie es besser ginge, dafür aber das System in Frage stellen zu müssen, dessen herausgehobener Repräsentant er ist. Sie ist der Ausdruck dieses Konflikts. Das zentrale Thema ist für mich aber, dass der Fokus auf den Opfern liegt und nicht auf den Tätern. Das unterscheidet "Das Geheimnis des Totenwaldes" wesentlich von anderen Kriminalfilmen. Opfer spielen in den meisten Krimis keine große Rolle, aber hier spielen die direkten und die indirekten Opfer die Hauptrolle. Das fand ich einen interessanten Perspektivwechsel.
Vieles bleibt unausgesprochen in den Filmen. Ist das typisch für Thomas Bethges Generation?
Das kann man so sagen. Bethge gehört zur Nachkriegsgeneration, aber er ist eindeutig von der Kriegsgeneration geprägt. In beiden Generationen war es vor allem bei Männern sehr schwach ausgeprägt, sich über die eigenen Befindlichkeiten zu äußern. Man machte die Dinge mit sich selber aus – und das war’s! Dieses Schweigen und alles in sich Hineinfressen ist sehr typisch. Zu der Zeit, in der "Das Geheimnis des Totenwaldes" spielt, wäre uns dieses Verhalten sicher normaler vorgekommen als heute, weil es für viele Männer charakteristisch war. Das ist erst 20 oder 30 Jahre her, aber wir sehen noch viel von der alten Bundesrepublik.
"Das Geheimnis des Totenwaldes" erzählt auch von den Minderwertigkeitskomplexen der Polizisten in der ländlichen Dienststelle gegenüber den Hamburger Ermittlern. Liegt hier einer der Gründe für die fatalen Ermittlungsfehler?
Ich kann da nur mutmaßen. Es gab sicher eine Konkurrenz, wer für seine Arbeit die größere Aufmerksamkeit erhält. Damals war es auch schwieriger, in die Medien zu kommen. Über die Hamburger Polizei wurde im Fernsehen berichtet, und wenn man dann ab vom Schuss ist und das Gefühl hat, man macht die gleiche Arbeit und keine Sau interessiert sich dafür, dann können solche Neid- und Konkurrenzgefühle natürlich aufkommen. Ein feiner Zug ist das nicht, aber das habe ich als Spieler auch nicht zu bewerten, sondern nur, ob das psychologisch nachvollziehbar ist – und das ist es.
Bethges Frau fragt ihn: "Versprichst du mir, dass du aufhörst, wenn du wirklich nicht mehr weiterkommst?". Warum trommelt er trotzdem nach seiner Pensionierung Kollegen zusammen, um 13 Jahre nach dem Verschwinden seiner Schwester den Fall nochmal aufzurollen?
Dem liegt sicher eine gehörige Halsstarrigkeit zugrunde. Aufgeben ist für Bethge keine Option, denn er müsste dann ein Scheitern eingestehen. Wenn man sich stark darüber definiert, ein sehr guter Polizist zu sein, dann hieße das Aufgeben nicht nur, diesen besonderen Fall seiner Schwester aufzugeben, es wäre gewissermaßen auch die Aufgabe eines Lebenskonstrukts und eines Bilds, das man von sich selbst hat. Aber Bethge denkt ja wirklich die ganze Zeit, dass ihm die Aufklärung des Verbrechens gelingen wird. Der Betrachter, der sich diese Geschichte anschaut, ist sich absolut nicht sicher, ob er seine Schwester finden wird, aber Bethge ist sich sicher. Er weiß, dass er das schafft.
Vier Frauen prägen das Handeln von Bethge: seine Schwester, seine Mutter, die Ehefrau und die junge, engagierte Ermittlerin Anne Bach. Wer ist die Wichtigste für ihn?
Die zentrale Bezugsperson ist seine Frau, auch wenn das nicht die größte Rolle in dieser Konstellation ist, aber sie kommt am dichtesten an ihn heran. Es herrscht eine große Nähe zwischen ihnen. Das finde ich schön! Wir gucken in eine Welt, die sehr in der Konvention verhaftet ist. Sie unterstützt ihn, aber sie steht nicht unbedingt immer hinter ihm. Sie äußert sehr klar, dass es ihr lieber wäre, wenn er aufhören würde, weiß aber andererseits, er muss das machen. Es ist für ihn nicht so, dass er die Wahl hätte. Die hat er nicht. Und das weiß sie.
Der Film basiert auf einem realen Fall. Welche Rolle hat dieses Wissen für Sie gespielt?
Ja klar, der Film ist sehr stark vom Fall Birgit Meier und der Rolle ihres Bruders Wolfgang Sielaff bei den Ermittlungen dazu inspiriert. Aber es ging nicht darum, Wolfgang Sielaff zu spielen. Wenn mir das angetragen worden wäre, hätte ich das nicht gemacht. Ich halte nicht viel von so einer Art Imitationsschauspielerei. Es gibt Kollegen, die das ganz toll können und große Freude daran haben, aber ich wäre dafür der Falsche gewesen. Die Filme waren von Anfang an als Spielfilme, als Fiktion geplant, nicht als Dokudramen. Man muss auch sagen, dass natürlich jede gute Geschichte ihre Kraft aus realen Geschehnissen bezieht, woher sollen die Geschichten sonst kommen, wenn sie relevant sein sollen? Ich habe mich im Vorfeld der Dreharbeiten mit Wolfgang Sielaff getroffen, habe viele sehr interessante Informationen von ihm erhalten. Sowas sammelt man als Schauspieler und baut sich daraus – und aus seiner Vorstellungskraft natürlich – eine eigene Figur, von der man hofft, dass sie schlüssig ist.
Wie viel ist von dem Privatmensch Matthias Brandt in diese Rolle eingeflossen?
Das weiß ich nicht! Ich schaffe eine Figur, ich spiele eine Rolle, und in jeder Figur, die ich spiele, ist sicher eine Menge von mir als privater Mensch zu finden, aber das ist für mich kein bewusster Vorgang. Als Privatmensch würde ich aber sicher ganz anders reagieren. Ich bin viel ungeduldiger und ungehaltener. Ich hätte aber auch im Leben niemals LKA-Chef oder Polizist werden können. Ich wäre dafür von meiner Persönlichkeitsstruktur her völlig ungeeignet gewesen.
Sie spielen Thomas Bethge über eine Zeitspanne von 30 Jahren. Wie ist denn der Alterungsprozess gelungen?
Ich musste drei bis vier Stunden vor Drehbeginn in die Maske, um diesen Alterungseffekt herstellen zu lassen. Vorher hatte ich große Sorge, dass mich die Maske bei meinem Spiel beeinflusst, denn das ganze Gesicht war mit Silikon zugeklebt. Aber zu meiner großen Überraschung ist das auf eine Art gelungen, die realistisch aussieht und auch meine Mimik auf glaubhafte Weise transportiert hat. Ich habe viel für handwerkliche Sachen in unserem Gewerbe übrig. Schön zu sehen, dass diese Veränderung auch händisch geht, ohne Computeranimation.
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