Interview mit Regisseur Jan Hinrik Drevs
Wie sind Sie zum "Hafenpastor" gekommen?
Ich mag die Gratwanderung zwischen Komödie und Tragödie, für die es im Englischen den Begriff Dramedy gibt. Mein erster Kinofilm "Underdogs" hatte diese Mischung, aber auch bei meinen langen Dokumentarfilmen arbeite ich gerne mit einer großen Breite an Gefühlen. Die Erzählweise meiner Filme gefiel dem NDR Redakteur Donald Kraemer, der mich dem Produzenten Markus Trebitsch für den "Hafenpastor" vorschlug, weil er sich diese Mischung aus lustigen Momenten und ernsthaftem Kontext für die Reihe gut vorstellen konnte. Zusammen waren wir uns darin einig, dass unsere Geschichte nie klamaukartig überzogen, sondern in der Realität verankert sein sollte.
Ist der neue "Hafenpastor" mehr Kiezkomödie als Sozialdrama?
Kiezkomödie ist nicht zutreffend. Wir haben einfach eine Liebesgeschichte in St. Pauli erzählt. Eine mit vielen Irrungen und Wirrungen. Man kann den Kiez romantisieren oder eine romantische Situation im Kiez ansiedeln. Letzteres haben wir getan. Herausgekommen ist eine romantische Komödie mit Screwball-Elementen, die im Vergleich zu den ersten beiden Folgen sicher etwas weniger sozial orientiert ist. Wir bieten Unterhaltung, nehmen unsere Figuren aber ernst. Das ist das Wichtigste.
Sie haben die Nebenfiguren stark ausgebaut.
Die Vikarin Anke, der Küster Eddie oder der Klubbesitzer Bodo – jede Figur hat ihren eigenen erzählerischen Bogen bekommen. Dabei durfte ich mit dem Autor eng zusammen arbeiten. Stefan Wild zeigte sich sehr offen dafür, die Nebenstränge in diesem neuen Kontext weiterzuentwickeln und den Figuren ihre eigene Haltung zuzuschreiben. Noch während des Drehens haben wir an den Figuren gefeilt, was großen Spaß gemacht hat. Unter den Figuren des Ensembles hat sich Rita, die Schwester des Hafenpastors, am stärksten verändert. Trotz ihres melancholischen Timbres ist sie die treibende Kraft in der Geschichte. Bei ihr laufen alle Fäden zusammen.
Ist im Vergleich zu den ersten Episoden einfach mehr los?
Wir haben die Schlagzahl deutlich erhöht. Im Genre Komödie muss man mehr aufs Tempo drücken. Auf der anderen Seite machen wir nicht nur jupheidi und jupheida. Wir nehmen die Schicksale unserer Protagonisten sehr ernst. Sie erleben ihre Probleme als schwerwiegend, worin wiederum viel komödiantisches Potenzial steckt. Für die Schauspieler ergaben sich dadurch viele Möglichkeiten, dem Affen Zucker zu geben. Uwe Bohm zum Beispiel setzt als Widersacher Bodo großartige Akzente. Er bringt das Sprunghafte, Irrationale und Gefährliche seiner Figur perfekt rüber.
Der Film erzählt von einem vermeintlichen Inzest. Ein schwerer Stoff. Wie macht man daraus eine Komödie?
Inzest ist ein großes Wort, das im kirchlichen Kontext noch gewichtiger wird. Strenggenommen geht es im Film um die Annahme einer verbotenen Geschwisterliebe. Der Hafenpastor erfährt davon in einer Beichte, ist aber an das Beichtgeheimnis gebunden. Die Frage ist nun, wie löst er das Problem, ohne gegen seine Pflichten als Kirchenmann zu verstoßen? Nicht nur komisch, sondern relevant wird der Stoff aber erst, wenn man die Angelegenheit menschlich betrachtet. Das übergeordnete Thema ist Liebe, Leidenschaft und Aufrichtigkeit. Dazu müssen alle Figuren eine Haltung entwickeln. Jeder tut dies auf seine besondere Art und Weise, der Pastor sicher anders als der Klubbesitzer. Daraus ergeben sich Verstrickungen und Verbindungen, wie im echten Leben auch.
Was interessiert Sie an der Figur des Hafenpastors?
Mir gefällt an ihm, dass er niemals seine Menschlichkeit verliert, immer ehrlich gegenüber sich selbst und den anderen ist. Er übt nicht einfach seinen Beruf aus, sondern verbindet mit jeder Frage etwas Persönliches, eine Haltung. Deswegen ist Jan Fedder auch so großartig in dieser Rolle. Dieser Mann ist gelebtes Leben. Er spielt nicht nach Schema F. Man spürt, es hat etwas mit ihm zu tun. Er hat eine klare Haltung zu allem und man nimmt ihm ab, dass er so eine Situation vielleicht einmal selber erlebt hat. Es geht hier nicht um Volksnähe oder norddeutsches Timbre. Fedder hat viele Höhen und Tiefen hinter sich. Das kommt in der Rolle des Pastors besonders gut rüber. Er ist ein ganz anderes Kaliber als etwa ein beliebiger netter Dorfpastor in Bayern, der für jeden Verständnis aufbringt und in Wirklichkeit keine eigene Meinung besitzt.
Spürt man das in der gemeinsamen Arbeit?
Er weiß genau, was er will und wie er etwas interpretiert. Wenn es um die Figur des Hafenpastors ging, konnte ich Fedder kaum etwas Neues erzählen. Er kennt sie viel besser als ich und füllt sie großartig mit Leben. Eben weil er sein eigenes Leben in diese Rolle einbringt. Davor muss man großen Respekt haben.
Was verbindet Sie mit der Kirche?
Meine Schwester ist Pastorin. Ich bin in Lübeck in einer christlich geprägten Familie aufgewachsen, ging auf die Oberschule zum Dom und nahm am Konfirmandenunterricht teil. Doch meine Rolle in der Familie war immer die des Hinterfragers. Ich habe zwar viel Verständnis für Glaube und Religion, aber ein gespaltenes Verhältnis zur Kirche. Das muss bei einem solchen Dreh aber nicht hinderlich sein.
Die Kirche St. Pauli ist alles andere als ein Dom.
Wir sind mit offenen Armen empfangen worden und haben uns schnell zuhause gefühlt. Wir bekamen einen eigenen Schlüssel und durften unsere Schauplätze frei wählen. Die Pastoren wissen natürlich, dass im Film nicht alles im Sinne der Bergpredigt abläuft. Unser Pastor Stefan Book betreut die Gemeinde auf seine ganz eigene Weise. Aber wie immer spiegelt der "Hafenpastor" vieles wieder, was in der St. Pauli Kirche tatsächlich passiert.
Echt wirkt auch die Burlesque. Wie lange haben Sie die Tanzszenen geprobt?
Zunächst haben wir gründlich recherchiert, Burlesque-Shows unter anderem in der Queen Calavera Bar auf St. Pauli besucht und Belle La Donna als Tanzlehrerin engagiert. Sie ist ein Star in Hamburg. Dann haben wir vier Nummern komplett durchchoreographiert und die Tanzszenen – nach langen Proben – an zwei Tagen aufgenommen. Meine Frau fragte mich während der Dreharbeiten, ob ich mich wirklich sooo intensiv mit Burlesque beschäftigen müsse. Aber im Ernst, ich bin der Meinung, in solchen Momenten entscheidet sich die Qualität eines Films: Spult man lustlos einen Striptease herunter oder wendet man viel Mühe auf, damit die Burlesque echt und erotisch aussieht. Mit Verena Altenberger haben wir die Idealbesetzung für unsere Tänzerin gefunden. Sie kann sowohl das Liebenswerte und Verletzliche darstellen, wie auch das Erotische und Verruchte spielen – und sie kann wahnsinnig toll tanzen.
Sie sind auch ein versierter Werbefilmer. Was brachten Sie davon mit in die Spielfilmregie?
Ich persönlich nehme solche Kategorisierungen nicht vor. Ob Dokumentar-, Spiel- oder Werbefilm, letztendlich geht es um die Frage: Wer agiert wie zu welchem Zweck vor der Kamera, und wie bündelt man als Regisseur die Menge Talent und Kreativität aller Mitwirkenden am besten zu einem Ganzen. In der Werbung bereitet man ein kurzes Stück sehr lange vor, dann dreht man in kurzer Zeit mit einem sehr hohen Aufwand. Beim Fernsehfilm hat man im Verhältnis weniger Zeit, aber dafür sehr viel mehr persönlichen Einfluss. Die Werbung beeinflusst meinen Stil ebenso wie der Spielfilm und die Dokumentation, jedes Genre inspiriert das andere. Ich betrachte alle Erfahrungen als nützlich und auch der "Hafenpastor" hat mich wieder viel Neues lernen lassen.
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