Gespräch mit Lisa Maria Potthoff
Sie spielt Julia Thiel im Film "Schandfleck – Der Usedom-Krimi"

Die Usedom-Krimis zeichnen sich durch komplexe Frauenrollen aus. Was macht Ihnen bei der Arbeit daran am meisten Freude?
Das sind auf jeden Fall die persönlichen Geschichten, die Beziehungen innerhalb dieser Familie. Mich hat von Anfang an gereizt, dass es im Kern um die Geschichte zwischen drei Frauen einer Familie geht, die horizontal weitererzählt und mit immer wieder neuen, interessanten Kriminalfällen verknüpft wird.
Sie lernen Ihre Figur selbst erst allmählich kennen. Was sind in Ihren Augen hervorstechende Eigenschaften von Julia Thiel?
Julia ist eigentlich eine sehr starke Frau, aber wenn sie gekränkt wurde und wenn sie Schmerz empfindet, zieht sie sich zurück. Sie verhärtet dann, was es schwierig für andere macht, an sie heranzukommen. Das ist sicherlich eine Schwäche von ihr. Genau so, wie sie ja in ihrer Ehe mal das ein oder andere Gespräch führen sollte, dem aber immer ausweicht. Insgesamt würde ich sie als eine spröde Inselpersönlichkeit beschreiben.
Diesmal ermittelt Kommissarin Thiel, wie die Inhaberin des Supermarkts zu Tode gekommen ist, in dem sie selbst Kundin ist. Wie kommt sie damit klar, dass sich Berufliches und Privates in ihrem Job häufig vermischen?
Damit weiß sie professionell umzugehen. Das kennen ja auch Ärzte, die in dem Dorf, in dem sie wohnen, eine Praxis haben. Das gehört einfach zu ihrem Beruf dazu. Schwierig wird es natürlich nur, wenn ihre eigene Familie in den Fokus eines Verbrechens gerät, da bekommt sie dann durchaus Probleme, Berufliches und Privates zu trennen. Aber sie hat es nie anders erlebt, als dass der Kosmos dieser Insel sehr klein ist, und akzeptiert es einfach; das ist für sie "daily business".
"Schandfleck" erzählt auch von undurchsichtigen Geschäften auf der Insel. Wie gefiel Ihnen diese Geschichte?
Am spannendsten finde ich immer die Frage, wie sich die Ehe von Julia und Stefan Thiel und die Geschichte zwischen Julia und ihrer Mutter und ihrer Tochter weiterentwickeln. An dem Kriminalfall in "Schandfleck" ist interessant, dass er die kleinen Leute auf der Insel zeigt. Wir sehen die Probleme einer einfachen Kassiererin und ihres alkoholkranken Vaters; zwei Menschen, die im Leben sicher nicht auf der Gewinnerseite stehen.
Seit Karin Lossow zurückgekehrt ist, reibt Julia Thiel sich an ihr. Glauben Sie, das Verhältnis zwischen den beiden war auch vor dem Mord schon gespannt?
Ich denke, dass sich Karin und Julia sehr ähnlich sind. Und ich glaube, je ähnlicher sich Mutter und Tochter sind, desto mehr Reibungsfläche hat man auch. Die Liebe ist dadurch nicht kleiner, aber man läuft mitunter eher Gefahr, sich gegenseitig zu verletzen. Ich kann mir vorstellen, dass das schon früher zwischen diesen beiden eine Rolle gespielt hat. Vielleicht hatte Julia aber auch ein sehr enges Verhältnis zu ihrem Vater. Es stellt sich ja langsam schon die Frage, warum es ihr so schwerfällt, der Mutter zu verzeihen. Wer weiß, was da noch schwelt zwischen den beiden.
Vor allem in den Szenen mit ihrem Geliebten erleben wir die sonst sehr kontrollierte Julia glücklich und gelöst. Verbindet sie mehr als nur die sexuelle Anziehung mit Marek?
Ich denke schon. Eine Zeitlang kann sie sich vormachen, dass ihre Ehe funktioniert. Stefan bietet ihr Heimat und Geborgenheit. Aber da fehlt auch ganz viel. Das kennen viele Paare, die lange zusammen sind. Und irgendwann stellt sich Julia schon die Frage: Warum brauche ich denn diesen Ausbruch? Hier in diesem zweiten Film sieht sie sich gezwungen, Marek Lebewohl zu sagen, weil ihre Affäre aufzufliegen droht. Denn sie weiß natürlich, dass sie was Falsches tut. Und sie hat Angst, Stefan und Sophie, die sie sehr liebt, wehzutun. Gleichzeitig spürt sie aber deutlicher denn je, in welcher Schieflage ihr Privatleben eigentlich ist. Wir werden sehen, wie sich das weiter entwickelt.
Julia spricht mit ihrem Geliebten und anderen Kollegen jenseits der Grenze Polnisch. Haben Sie polnische Sprachkenntnisse?
Nein, ich studiere diese Sätze extra ein. Im dritten Teil habe ich noch mehr polnische Sätze. Dabei spreche ich kein Wort Polnisch. Ich schreibe mir die Sätze in Lautschrift auf und versuche dann wochenlang, mir das reinzuprügeln. Wir drehen ja auch in Polen und mit Polen und angeblich versteht man mich. (lacht)
Der Kurdirektor konfrontiert Julia Thiel mit schweren Vorwürfen gegen ihren Vater. Bekommt ihr Vaterbild hier zum ersten Mal einen empfindlichen Kratzer?
Für viele Mädchen ist die Vaterfigur ja etwas Heiliges. Gerade wenn der Vater stirbt und man nur noch die Erinnerung an ihn hat, dann will man die Erinnerung auch als etwas Schönes bewahren. Klar hatte Julia, nachdem die Mutter den Vater getötet hat, immer die Befürchtung, dass die Wahrheit unangenehm sein könnte. Dass die Gründe, warum es überhaupt zu dieser Tat im Affekt kam, ihr nicht gefallen werden. Aber zu wissen, dass da noch eine dunkle Geschichte dahinter ist, ist sicher sehr schmerzhaft für Julia.
Als Karin Lossow als Beraterin von Werner Mahlow zur Vernehmung auftaucht, ist Julia entsetzt. Am Ende zitiert sie jedoch sogar einen Spruch ihrer Mutter. Schafft Karin Lossow es, den Respekt ihrer Tochter zurückzugewinnen?
Ich weiß nicht, ob durch diese Geschichte der Respekt unbedingt wiederkommt, aber es geht immer mehr Zeit ins Land, und die Mutter ist nun einfach da. Ich glaube zwar nicht, dass die Zeit alle Wunden heilt, aber sie stellt wieder eine Normalität her. Und trotz allem ist es ja schon so, dass man seine Mutter liebt und auch die Sehnsucht nach einer funktionierenden Familie hat. Neben diesem ganzen Schmerz ist aber noch etwas anderes da, nämlich eine Bewunderung für die Stärke der Mutter und für ihr Fachwissen. Das kann Julia ja nicht von der Hand weisen.
Emma Bading gibt hier die Figur der eigensinnigen Teenagerin. Wie erleben Sie die Zusammenarbeit mit dieser großen Tochter?
Emma ist zwar jung, aber hochprofessionell, und sie agiert wie eine erwachsene Schauspielerin. Da sehe ich in der Arbeit keinen Unterschied zu einer älteren Kollegin. Emmas Eltern sind ja auch Schauspieler, und das merkt man einfach. Sie ist top vorbereitet, hat eine sehr professionelle und fundierte Sicht auf ihre Figur und auf Szenen, die wir erarbeiten. Das ist äußerst angenehm, kann ich nur sagen. Ich bin immer wieder baff, dass ich die Mutter eines solchen Kindes sein soll. (lacht)
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