Interviews mit Jutta Speidel, Hildegard Schmahl und Gertrud Roll
Die drei Schwestern könnten unterschiedlicher nicht sein. Wie würden Sie beiden Filmschwestern beschreiben?
Gertrud Roll: Hiltrud musste, da sie die älteste der Schwestern war, bereits sehr früh viel Verantwortung übernehmen. Sie ist eine starke Persönlichkeit, sehr intelligent und hat eine natürliche Autorität. Betty ist das Nesthäkchen und wohl auch Papas Liebling. Sie ist eine sehr tüchtige und praktische Frau, aber auch durch die Moralvorstellungen der Zeit gefangen und ein wenig naiv.
Hildegard Schmahl: Betty ist eine sehr aufgeweckte Frau, die sich durch eine offene und nach außen gewandte Art und großes Organisationstalent auszeichnet. Entgegen aller Hoffnungen kommt sie für Heinrich als Ehefrau nicht infrage, was ihr großen Kummer bereitet. Martha ist eine sehr erfindungsreiche und durchsetzungsfähige Frau, die eher leise und im Hintergrund agiert. Auch ihr Schicksal ist tragisch: Ihr Mann zieht in den Krieg und nach seiner Rückkehr findet sie keinen Zugang mehr zu ihm. Darunter leidet sie sehr.
Jutta Speidel: Durch die tragischen Ereignisse in ihrem Leben und der sehr moralischen Welt, in der sie zu der damaligen Zeit lebten, sind die Schwestern in sich gefangen und können sich nicht öffnen, um Ereignisse zum Guten zu wenden. Hinzu kommt, dass alle drei Schwestern auch einen enormen Sturkopf besitzen.
Den Schwestern gelingt es erst im hohen Alter, über ihren eigenen Schatten zu springen, miteinander zu sprechen und auch die eigene Schuld einzugestehen. Glauben Sie selber an "Altersweisheit" oder eher an "Altersstarrsinn"?
Jutta Speidel: Altersstarrsinn ist oftmals so ausgeprägt, dass er alles vergiftet. In unserem Fall gab es jedoch eine Aufweichung, die am Ende die Versöhnung eingeleitet hat.
Gertrud Roll: Wenn man sich selbst und anderen im Alter nicht verzeihen kann, keine Liebe gibt oder annimmt, unglücklich und ungerecht ist, dann wird man starr und einsam. Ich bemühe mich, durch Humor neugierig auf das Leben zu bleiben, Empathie zu haben und zufrieden zu sein. Schmerz und Verluste versuche ich anzunehmen.
Hildegard Schmahl: Ich würde sagen, dass die Schwestern nicht über ihren Schatten, sondern vielmehr in ihren Schatten hineinspringen. Es gelingt ihnen, sich mit ihrer Vergangenheit auseinanderzusetzten und sich anzuschauen, was mit ihrer Beziehung zueinander passiert ist. Sie durchleben und fühlen ihre Geschichte noch einmal. Am Ende finden sie zueinander und hoffen, dass sie auch den nächsten 100. Geburtstag zusammen feiern können.
Sie wurden um einige Jahre älter geschminkt, als Sie wirklich sind. Wie haben Sie diese Zeitreise in die Zukunft erlebt?
Gertrud Roll: Ich fand diese Veränderung während der Dreharbeiten sehr spannend! Mein sehr altes Gesicht hat dann irgendwann auch meine Bewegungen beherrscht und gesteuert. Ich wurde langsamer und steifer. Als ich den Film dann gesehen habe, bin ich kurz erschrocken, das hat sich dann aber zum Glück auch wieder schnell gelegt.
Hildegard Schmahl: Ich habe diese Zeitreise mit großer Neugierde und Begeisterung beobachtet. Wäre ich zu dem Zeitpunkt 50 gewesen, hätte ich sicherlich mehr Angst gehabt, diese Veränderung zu sehen. Für mich war es aber so gesehen wie eine kleine Generalprobe, die mir aber absolut keine Angst gemacht hat. Altern ist Teil des Lebens, und ich freue mich auf die 100.
Jutta Speidel: Es war eine tolle und spannende Herausforderung, sowohl körperlich als auch schauspielerisch, sich mehr als 20 Jahre älter zu machen. Kostüm und Schminke waren hilfreich. Ich habe über eine lange Zeit Studien betrieben, wie sich ein alter Mensch bewegt, wie er spricht, welche Eigenarten er im Gespräch besitzt. Verblüffender Weise stellte ich fest, dass Alter individuell gar nicht festzumachen ist. Die Lebensgeschichte und Form, in der man lebt, zeigt sich in allem. Somit war die Lebenshaltung "meiner" Betty ausschlaggebend für die Gangart, die Sprache und die Haltung.
Die drei Schwestern wurden in eine Zeit hineingeboren, in der Frauenrechte noch ein Fremdwort waren.Wie erleben Sie die aktuellen Diskussionen um Chancengleichheit und Gleichberechtigung? Gab es in Ihrer Familie weibliche Vorbilder?
Gertrud Roll: Heutzutage müssen Frauen immer noch für eine faire Bezahlung kämpfen. Das habe ich bereits am Theater erlebt und erlebe es auch heute noch. Außerdem ist es immer noch ein Problem für Frauen, Beruf und Kinder unter einen Hut zu bekommen. Es hat sich durchaus Einiges getan und ich erlebe auch, dass die jüngere Generation der Männer sich viel mehr an der Kindererziehung und an der Haushaltsarbeit beteiligen. Trotzdem gibt es aufgrund der niedrigen Rente immer noch eine starke Altersarmut unter Frauen. Ich frage mich, wie lange es noch so weitergeht, dass man so kämpfen muss.
Hildegard Schmahl: Meine Vorbilder waren meine Großmutter und meine Mutter. Von Ihnen habe ich gelernt, wie gut es ist, einen Beruf und ein eigenes Konto zu haben. Das gibt Unabhängigkeit und Handlungsfreiheit. Ich schätze das über alle Maßen. Meine Vorbilder sind Frauen, die auf die Straße gegangen sind und für die Gleichberechtigung gekämpft haben. Vielleicht müssen wir das heute wieder tun, wir sind ja erst auf halber Strecke! Chancengleichheit und Gleichberechtigung gibt es nicht in unserem Land. Warum stehen wir nicht alle solidarisch auf und empören uns über den Mindestlohn von brutto 8,84 Euro? Wir wissen doch, dass davon keiner leben kann. Und das betrifft Männer und Frauen gleichermaßen.
Jutta Speidel: Meine sehr fortschrittliche und weltoffene Mutter war mir immer ein Vorbild. Sie war auch noch mit 90 Jahren eine gepflegte, stets duftende, interessante Dame mit strahlenden blauen Augen. Mutig, unangepasst, streitsüchtig, wenn es um Gerechtigkeit ging, und immer offen für ein gutes Gespräch.
Martha, Betty und Hiltrud blicken auf ein bewegtes Jahrhundert zurück.Was sind die geschichtlichen Höhepunkte Ihrer Vergangenheit?
Gertrud Roll: Es ist ja auch mein Jahrhundert. Ich bin in einer politisch sehr interessierten Familie aufgewachsen und so wussten wir sehr früh, was um uns herum geschah. An was ich mich gut erinnere ist der Mauerbau und natürlich Willy Brandt, mein großes Idol. Auch der Kennedy-Besuch in Berlin 1963 war imposant und an die Mondlandung 1969 kann ich mich auch noch gut erinnern. Ein Ereignis, das mich sehr geschockt hat, war der Mord an Jitzchak Rabin 1995. Ich kann auch heute nicht erklären, warum mich das so mitgenommen hat. Ich hatte einfach Hoffnung, dass es Frieden zwischen Israel und Palästina geben würde.
Hildegard Schmahl: Einschneidende geschichtliche Höhepunkte waren zum einen die Emanzipationsbewegung nach dem Krieg, die Einführung des Wahlrechts für Frauen sowie die Einführung der Pille. Eine weitere wichtige Veränderung war jedoch auch die Abschaffung des Paragrafen 175, der besagte, das Homosexualität bestraft wird. Ich habe es selbst auch noch am Theater erlebt, wie das Leben vieler homosexueller Männer dadurch bedroht war. Weiterhin war auch die Aufhebung des Abtreibungsparagrafen 218 im Jahr 1976 eine bedeutende Veränderung.
Jutta Speidel: Mit Sicherheit die Flower-Power-Zeit die mich mit dem Slogan "Make love, not war" fürs ganze Leben geprägt hat. Ebenso war ich in den Achzigern aktiv in der Bewegung "Frauen gegen Atomkraft". Diese friedlichen Demonstrationen mit Familien mit kleinen Kindern und schwangeren Frauen, speziell nach Tschernobyl, waren wichtig und sinnprägend bis heute.
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