Interview mit Katrin Ammon (Drehbuch) und Alexander Dierbach (Regie)

Ein Funken Hoffnung? Gregor (Roeland Wiesnekker) und Agnes (Ulrike C. Tscharre)
Ein Funken Hoffnung? Gregor und Agnes  | Bild: NDR / Sandra Hoever

„Wo ist die Liebe hin?“ erzählt von dem schwierigen Fahrwasser, in das eine ursprünglich intakte Familie gerät. Worum ging es Ihnen in der Entwicklung der Geschichte?

Katrin Ammon: Ich wollte von einer Patchworkfamilie erzählen, in der beide Partner die Sehnsucht nach einer neuen Beziehung in sich tragen, nach Heilung von den Verlusten, die sie in ihren früheren Beziehungen erlitten haben. Deshalb ist für Agnes auch über viele Jahre die Familie Mittelpunkt ihres Lebens. Sie will für ihren Mann und die vier Kinder da sein, ohne sich klarzumachen, dass ihr insgeheim etwas fehlt, etwas Eigenes außerhalb der Familie. Bei der Entwicklung einer Geschichte interessiert mich grundsätzlich, welche Sehnsüchte, Enttäuschungen und Verletzungen tief in den Figuren verborgen sind. Als Agnes beginnt, sich ehrenamtlich zu engagieren, ist nicht die Veränderung die Ursache dafür, dass ihre Ehe in eine Schieflage gerät, sondern die Veränderung rührt an etwas Unverarbeitetem, das bei beiden Partnern sozusagen im Keller ihrer Persönlichkeit verborgen liegt.

Was hat Sie als Regisseur an dem Drehbuch interessiert?

Alexander Dierbach: Ich finde die Frage „Wo ist die Liebe hin“? sehr spannend, denn das Thema Liebe treibt uns alle in unterschiedlichsten Formen um, hat viele Dimensionen. Mich hat gereizt, einen Blick auf die Liebe eines Paars in einer bestehenden Familienstruktur zu werfen und zu ergründen, wie so ein System Familie, das sich in einer gewissen Form eingependelt hat, plötzlich die Bahn verlässt. Beide Partner sind wie zwei Mikrokosmen in einer stabilen Umlaufbahn. Wie in vielen Beziehungen ist in ihrer Ehe alles festgezurrt oder fast zementiert, und wenn sich ein Partner aus einer gewissen Umlaufbahn hinausbewegt, wirkt das, als würde das Leben aus einem bestehenden Rhythmus hinausmanövriert.

Katrin Ammon: Das System, das immer gut funktioniert hat, wird im Grunde genommen durch eine Banalität erschüttert. Es ist ja nichts Weltbewegendes, was da passiert. Wir wollten nichts Hochdramatisches erzählen, sondern Dinge aus einem Ehealltag, wie ihn jeder auf die eine oder andere Art kennt.

Konnten Sie sich als ein Regisseur, der Anfang 40 ist, mit dieser sehr klassischen Rollenverteilung in der Ehe identifizieren?

AD: Grundsätzlich bin ich kein Verfechter einer klassischen Aufteilung, aber wir wissen ja alle, dass sich in einer Beziehung Gewohnheiten herausbilden, die ich gar nicht an das Geschlecht koppeln will. Das Interessante ist, was mit der Beziehung passiert, wenn Gewohnheiten verlassen werden. Welche Erwartungen werden erfüllt oder gestellt, was passiert, wenn ein Partner anfängt, sich nicht mehr zurückzustellen und zu sagen: Das ist das, was ich jetzt brauche, eine Veränderung. Einer meiner Lieblingssätze ist, als Agnes in einem Streit zu ihrem Mann sagt „Nimm mir das nicht weg“. Dass man so einen Satz in einer Partnerschaft aussprechen muss, finde ich furchtbar. Die Bedürfnisse des Partners einzuschränken, kann der Beginn einer Abwärtsspirale sein …

Wie viel Veränderung verträgt denn die Liebe?

KA: Mir war wichtig, dass Agnes und Gregor beide glücklich mit ihrem Lebensmodell waren. Aber ich wollte auch erzählen, auf die Liebe ist nicht immer Verlass, sie steht manchmal auf wackeligen Beinen und die Architektur der Liebe kann erschüttert werden. Die Frage ist nur: Wie hoch hänge ich die Erschütterungen? Nehme ich sie an, gebe ich ihnen Raum oder lasse ich mich davon nachhaltig irritieren und aus der Bahn werfen?

AD: Die Frage ist immer, wie fundamental das sein muss. Zur Liebe gehört Veränderung. Man muss lernen zu lieben, was für den Partner wichtig ist, weil der Partner innerhalb des Liebeskosmos nur beständig sein kann, wenn Veränderungen zugelassen werden. Agnes hat diese unglaubliche Sehnsucht, sich wieder zu spüren. Das geht nur durch ein Ausloten, was sich in Zukunft ändern muss. Gregor sieht sich während dieser Veränderungen in seinen Bedürfnissen ungesehen und nahezu ungerecht behandelt.

KA: Ein wichtiger Aspekt ist auch, dass Gregor sich von Agnes nicht mitgenommen fühlt. Sie lässt ihn nicht teilhaben an ihrem Aufbruch. In die bis dahin scheinbar perfekte Harmonie ihrer Beziehung schleicht sich ein Missklang. Wer nie Konflikte hatte, ist nicht sehr geübt darin, sie auszutragen. Agnes und Gregor fehlt die Sprache für ihre plötzlich auftretende Problematik. Das löst auch bei ihrer Tochter Helena einen Entwicklungsprozess aus, der ihr letztlich hilft, eine eigenständige junge Frau werden zu können. Denn was die Eltern mit ihrer jüngsten Tochter veranstalten, ist ja so ein bisschen wie der Tanz um das Goldene Kalb.

Das Drehbuch wurde von zwei Frauen entwickelt und Sie als Mann haben Regie geführt. Haben Sie bei Ihrer Inszenierung andere Schwerpunkte gesetzt?

AD: Ich wehre mich immer gegen einen geschlechtsspezifischen Blick. Die im Drehbuch angelegte mehrdimensionale Erzählweise hat mir sehr gefallen. Wir sagen überhaupt nicht, der Mann ist der Böse, weil er seine Partnerin einsperren will, oder die Frau will ausbrechen und vernachlässigt auf einen Schlag die Familie. Wir wollten nicht urteilen, sondern ein Brennglas auf diese spezielle Familie mit ihren Konflikten werfen.

KA: Mir gefällt, dass es im Film keine spezifisch männliche oder spezifisch weibliche Sichtweise auf dieses Paar gibt. Das ist in der Inszenierung sehr gut gelungen. Denn es geht nicht um die Frage, wer trägt die Schuld an dem, was passiert. Es ist einfach das Leben, das ihnen dazwischenkommt.

AD: Es ist immer sehr individuell, warum die Liebe verschwindet. Deshalb wollten wir auch nicht eine große Gesellschaftskritik in dem Film unterbringen. Die Liebesgeschichte von Anges und Gregor ist mit viel Vergangenheit aufgeladen. Beide haben Angst vor dem Scheitern. Als Agnes selbständiger wird, fühlt Gregor sich ausgesperrt, und das erinnert ihn an den Tod seiner Frau, was zu enormen Verlustängsten führt. Die Dämonen der Vergangenheit spiegeln sich in der Gegenwart wider.

Wie inszeniert man, dass eine minimale Veränderung der Gewohnheiten zu einer maximalen Erschütterung führt?

AD: Nahbarkeit war mir bei meiner Inszenierung sehr wichtig. Wir nutzten konstant die Handkamera, haben sie aber nicht „wild“ und dynamisch eingesetzt, sondern beobachtend und schwebend. Wir wollten dem Zuschauer dieses Gefühl geben, mit im Wohnzimmer der Figuren zu sitzen, sie fühlbar zu machen, damit man nicht sofort Partei ergreift, sondern mit dieser Familie unaufgeregt zusammenwächst.

Hinterfragen Sie mit „Wo ist die Liebe hin“? auch die überhöhten Familienbilder und Glücksversprechen, die uns oft von Filmen und den sozialen Medien suggeriert werden?

AD: Familiengeschichten zu erzählen ist unglaublich wichtig, gerade in einer wahnsinnig perfekten Welt, die dazu neigt, ein geschöntes Außenbild aufrecht zu erhalten. Wir brauchen mutige Geschichten, die erzählen, dass es hinter der Fassade von harmonischen Familien oft anders aussehen kann. Verluste und das Scheitern von Lebensentwürfen kommen in allen Generationen und gesellschaftlichen Schichten vor. Auch unsere Vergänglichkeit wird oft verdrängt. Deshalb ist die Erkrankung von Gregors bestem Freund auch ein wichtiger Strang des Films. Dadurch wird er erneut mit der Vergänglichkeit konfrontiert und sieht, wie zerstörerisch seine Art der Auseinandersetzung mit Agnes und sein Unverständnis für ihre Wünsche ist. Parallel geht es darum, was ist wichtig im Leben und worauf sollte man sich konzentrieren. Letztlich ist es ein Film über den Kampf, innere Barrieren zu durchbrechen, sich in einer bestehenden Liebe neu zu orientieren in der Hoffnung, dass der Partner diesen Weg mitgehen wird.

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