Gespräch mit Axel Milberg
„Übertreibe! Gehe in die Maßlosigkeit!“ – Gespräch mit Axel Milberg
Nach dem Prinzip „Weniger ist Mehr“ sind Schauspieler im Fernsehen angehalten, eine Figur nicht zu überzeichnen. War es Ihnen eine Herzensfreude, in „Meine Freundin Volker“ gegen dieses Gebot zu verstoßen? Galt hier: Mehr ist mehr?
Die Autorin und ihr Koautor kennen die Szene genau, ich konnte mich deswegen auf Julia Penner und Andreas Wrosch verlassen. Die Überzeichnung ist ein Element der Welt, in der Vivian sich bewegt. Sie lebt von der Erfindung eines neuen Körpers und einer eigenen Stimme, von der spielerischen Explosion und der übertriebenen Zurschaustellung. Ihre Über-Inszenierung ist gewiss auch eine Parodie, ein Riesenspaß und eine Huldigung an das Weibliche. Das habe ich gelernt: Übertreibe! Gehe in die Maßlosigkeit! Geschmack und Dezenz sind bürgerliche Tugenden, die hier fatal wären.
Wie lange haben Sie geprobt, bis Sie die Mimik und Gestik einer Dragqueen so perfekt beherrschten?
Ich war ja immer neugierig, und Verkleiden, Travestie, Ausprobieren, Grenzen überschreiten sind schauspielerische Vorgänge. Was wünscht man sich mehr? Die erste Drag-Bühnenshow habe ich live in einem Kieler Nachtclub gesehen, ich war gerade volljährig, saß mit Freunden in der ersten Reihe, und wir wurden heftig angeflirtet. Da kamen wir uns ziemlich mutig vor und etwas verrucht. Zur Vorbereitung des Films habe ich mir dann vor allem die amerikanische TVShow „RuPaul’s Drag Race“ angeschaut, also das Neueste, was es gibt, darin treten Dragqueens in Battles gegeneinander an, in irren Kostümen und Perücken. Mir war schnell klar: Ich muss von außen nach innen arbeiten. Maske, Haare, erst einmal ein Gesicht haben, Frisur, ein Make-up, dann kommt eine Stimme, kommen Bewegungen dazu, dann gelingt vielleicht wirklich eine Verwandlung, wie man sie nun in den ersten Minuten unseres Films sieht.
Mussten Sie eigens lernen, auf High Heels zu laufen?
Oh ja. Es war eine längere Nummer, bis ich auf hohen Absätzen so sicher gehen konnte, dass es nicht wie bei „Charlys Tante“ aussah: Huhu, jetzt verkleide ich mich! Es sollte doch wie eine zweite Natur wirken. Ich habe sechs Monate vor Drehstart immer ein Paar hohe Schuhe bei mir gehabt, um in Hotelzimmern zu üben. Im Internet fand ich endlich das eine Tutorial, das mir erklärte, wie ich mit 186 Zentimetern und 90 Kilo entspannt auf diesen Schuhen laufe. Also doch, zuerst mit der Hacke und nicht mit der Spitze auftreten, die Arme schlenkern lassen und sie nicht verkrampft nach vorne halten und dabei sehr aufrecht gehen; hohe Schuhe helfen beim aufrechten Gang, gerne dabei auch noch ein Buch auf dem Kopf balancieren. Die ursprüngliche Sehnsucht, mich zu verwandeln, hier wurde sie befriedigt. Vergisst man ja manchmal, dass die Verwandlung die eigentliche Arbeit eines Schauspielers ist.
Sie verwandeln sich in die Dragqueen Vivian Bernaise. Haben Sie die Figur gemeinsam mit dem Maskenbildner Oliver Hildebrandt entwickelt?
Oliver ist ein großer Künstler, der viel in Las Vegas arbeitet. Er war in allen Momenten des Drehs mein Verbündeter. Ob ich in seiner Maske auf dem Stuhl saß, in der Garderobe schwitzend ins schwere Kostüm eingenäht wurde oder in opulenter Aufmachung durch die Straßen von St. Pauli zum Drehort stöckelte – Oliver war immer an meiner Seite. Immer lustig und ermutigend. Dann kam aber die entscheidende Prüfung: Die „echten“ Dragqueens, wie werden sie reagieren? Sie saßen ja im Theater als „Statistinnen“, nein, als Publikum in meiner Show. Und sie hatten zunächst keine Ahnung, wer da singt und tanzt. Alle redeten durcheinander, sahen toll aus, lachten, kannten sich und zwischen ihnen nun Borowski, nein, Axel M…, nein Volker, ach was, Vivian! Also, niemand verriet mich und niemand erkannte mich. Mein Make-up war ein großes „Wow“, die Straffung des Gesichts, es wird ja alles nach hinten gezogen und unter der Perücke festgezurrt, alle schwärmten von den künstlichen Wimpern, an deren Spitzen Oliver SwarovskiSteine befestigt hatte. Das war schon top! Oliver hat sich viel Material aus Amerika schicken lassen, was man so bei uns gar nicht kriegt, und es mit großer Professionalität und Sicherheit an mir „verbaut“. Es war unfassbar, aber meine Maske dauerte kaum länger als eine Stunde.
Wie hat den echten Dragqueens Ihr Auftritt gefallen?
Unter den Zuschauern saß auch unsere Produzentin Doris Büning, die mich am Ende des Drehtags damit überraschte, wie ich bei den „echten“ Drags angekommen war. Sie habe gehört: „Die ist gut!“, „Wo tritt die auf, wo kann ich die sonst sehen?“ Das Lob hat mir so viel bedeutet, weil die eingeladenen Drags selber seit Jahren Bühnenerfolge feiern und weiß Gott genau hinschauen. Am Abend dieses Drehtages war ich sehr erleichtert.
Haben Sie sich auf der Showbühne wohl gefühlt?
Diese Akzeptanz war einfach für uns alle wichtig. Für die Autoren und die Redaktion, alle. Wir hatten erst mal richtig gearbeitet. Der Applaus war ja echt und nicht bestellt. Die Community war überhaupt so entspannt und liebenswert und nahm mich in ihre Welt auf. Ich habe dann frei improvisiert: „Hach, letztes Jahr war mir so heiß, da habe ich die Polizei gerufen, damit sie mich beschatten!“ Es hätte stundenlang so weitergehen können. Ich bekam nach dem Auftritt ein kleines Krönchen geschenkt, das ich in Ehren halte. Die Drags sind durch diesen Film sichtbar, jede ist originell, eine eigene Marke, mit Künstlernamen und immer einem fantasievollen Outfit. Dass sie sich gegenseitig auch mal aufziehen, ist nicht böse gemeint, sondern Teil der gemeinsamen Verabredung bei den Battles. Diese selbstironische Art, alles nicht so todernst zu nehmen, war mir überhaupt sehr nahe.
Vivian Bernaise ist das Alter Ego des schüchternen Mannes Volker. In welchem Verhältnis stehen die Figuren zueinander?
Volker ist ängstlich und scheu. Vivian dagegen ist ein starkes Wesen, ein Löwe, eine Kämpferin. In dem Moment, in dem Volker sich in Vivian verwandelt und auf die Bühne tritt, wird für ihn, nein, für sie alles machbar und alles sagbar. Denn sie, die Kunstfigur, sagt es ja. Das muss man verstehen: Die Dragqueen ist eine Kunstfigur, und in Abgrenzung zu trans oder nonbinär ist mit dem Begriff Drag keine zwingend sexuelle Definition gemeint. Jeder kann eine Dragqueen erfinden, egal ob er homo oder hetero ist. Dragshows sind eine Kunstform, frei für jeden, und genau deswegen ist es überhaupt möglich, dass ich eine solche Figur spiele.
Ist die Show bei aller Überzeichnung für Volker mehr als nur ein Spiel?
Naja schon. Volker braucht Vivian zum Überleben. Dafür setzt sie sich Gefahren und schmerzvollen Erfahrungen aus, ist immer auf der Flucht. Ich habe beim Drehen mit Eric Marlene einen zweiten Coach an meiner Seite gehabt, der auch mein Choreograf war, der mir aus seinem Leben und seinem Alltag erzählt hat. Eric zeigte mir die extravaganten Bewegungen, die weich, freundlich und einladend sind. Er zeigte mir das Strahlende, sprach aber auch von Wehrhaftigkeit. Dragqueens sind ja immer bedroht und mit unnötigen und falschen Vorurteilen konfrontiert, auch in Deutschland. In vielen Ländern der Welt werden Drags verfolgt, eingesperrt und ermordet. Es ist gruselig. Wir wollten davon auch in unserer Geschichte erzählen. Selbst in unserer offenen Gesellschaft wird uns die Freiheit nicht einfach so geschenkt.