Interview mit der Produzentin Gabriela Sperl
Sie haben sich in der Vergangenheit immer wieder mit historischen Stoffen beschäftigt, ob nun bei Filmen wie "Die Spiegel-Affäre", "Mogadischu" oder zuletzt "Tannbach". Die Verfilmung des rechtsextremen Terrors in Deutschland ist ein gewagtes Unterfangen. Was hat Sie bewogen, sich dennoch dieses Themas anzunehmen? Und inwiefern unterscheidet sich das Projekt von den vorangegangenen?
Mich interessieren historische Ereignisse immer dann, wenn sie einen direkten Bezug auf unser Hier und Jetzt haben und es spiegeln. "Die Spiegel-Affäre" zum Beispiel war für mich deswegen so wichtig, weil sich mir angesichts von Wikileaks und Snowden ganz klar die Frage stellte nach dem Stand unserer Pressefreiheit heute. Der "NSU-Komplex" unterscheidet sich von allen anderen Themen, weil wir plötzlich mittendrin sind in einer tiefen deutschen Wunde. Anfang der 90er Jahre konnten wir brennende Asylbewerberheime noch als grauenvolle Einzeltaten abtun. Seit 2011 wissen wir, dass bei uns fast zehn Jahre lang Menschen mit Migrationshintergrund von Rechtsextremen "hingerichtet" wurden. Und diese Taten, wo doch sonst 95 Prozent aller Kapitalverbrechen in Deutschland aufgeklärt werden, bis heute nicht hinreichend geklärt sind. Dieses Projekt berührt mit der Frage nach der Verantwortung des Verfassungsschutzes ganz zentrale Fragen unserer demokratischen Grundordnung. Stehen sie zur Disposition? Befinden wir uns, ohne es zu ahnen, in einer handfesten Staatskrise? Diese Filme sind durch solche Fragestellungen einschneidender, wichtiger, brisanter als alle anderen Projekte, die ich bisher gemacht habe.
Die Trilogie nimmt drei verschiedene Perspektiven ein – die der Täter, Opfer und Ermittler. Warum haben Sie sich für diese moderne Erzählweise entschieden?
Wir befinden uns vier Jahre nach dem Auffinden der mutmaßlichen Terroristen immer noch in einem Zustand nicht abgeschlossener Ermittlungen. Noch läuft der Prozess gegen Beate Zschäpe. Deswegen können unsere Geschichten keine Erklärungen liefern, sie sind eher eine Spurensuche, sie werfen Fragen auf und sie beleuchten unsere gesamtdeutsche Befindlichkeit. Aus drei verschiedenen Perspektiven lässt sich ein komplexes Bild weben über unsere derzeitige Gesellschaft mit all ihren Verwerfungen. Die klare Perspektivierung zwingt zu klaren Haltungen.
Obwohl viele Figuren ihre Klarnamen tragen, erzählen Sie die Geschichte des NSU fiktional. In welchem Verhältnis stehen Fakten und Fiktion zueinander?
Die Drehbücher bauen auf jahrelangen Recherchen auf, von uns allen. Vor allem die Autoren Thomas Wendrich, Laila Stieler, Jan Braren, Rolf Basedow und Christoph Busche haben über viele Monate alle verfügbaren Materialien, u.a. die der Untersuchungsausschüsse, durchgearbeitet, haben Zeugen gesucht und befragt. Das sind die Bausteine unserer Geschichten. Je detaillierter unser Wissen, desto sicherer lassen sich die fehlenden Lücken füllen. Letztlich bewegen wir uns mit allen historischen und auch zeithistorischen Stoffen im Bereich einer auf Fakten beruhenden Fiktionalisierung, die damit auch immer zu einer Interpretation wird.
Gibt es eine zentrale Fragestellung oder eine Absicht, auf die Sie mit den drei Filmen abzielen?
Es gibt eine Frage, die sich leider in den letzten zwei, drei Jahren immer drängender stellt. Wieso hat nach dem Fall der Mauer rechtes Gedankengut wieder so an Gewicht gewonnen? Im Westen gab es die Republikaner, die Wehrsportgruppen, die NPD. Das waren Strukturen, die leider immer irgendwie da waren. Aber im Osten? Wieso ist die Radikalisierung dort so groß? Ein Kulminationspunkt des erstarkenden Rechtsextremismus ist der NSU. Wie ist er entstanden und woher rührt die ungebremste Gewaltbereitschaft, der Hass gegen alles "Fremde"? Wieso gibt es jenseits der Neonazis heute in der Mitte der Gesellschaft Pegida und AfD mit ihrem generellen Unbehagen an der Politik? Was genau treibt Menschen in die diffuse Angst, in Feindbilder?
Mit Christian Schwochow, Züli Aladag und Florian Cossen haben Sie beeindruckende Regisseure für die Filme gewinnen können ...
Ich bin glücklich, dass herausragende Regisseure diese Filme aus eigenem Antrieb drehen wollten, sie sind zugleich Künstler, die mit dieser Geschichte Teile ihrer eigenen erzählen. Christian Schwochow, der mit seiner Familie mit dem Mauerfall nach Westdeutschland zog, interessierte es ebenso wie Thomas Wendrich, weshalb sich drei bürgerliche Jugendliche, für deren Generation 1989 gleichzeitig alles und nichts möglich schien, für den rechtsterroristischen Untergrund entscheiden. Züli Aladag hat schon mit seinem viel beachteten Film "Wut" einen anderen Blick auf das Zusammenleben von Deutschen verschiedener Herkunft geworfen. Ihm und der Autorin Laila Stieler ging es vor allem darum, mit der Geschichte von Semiya Şimşek, die sich als deutsches Mädchen fühlt und plötzlich zur Fremden im eigenen Land wird, zugleich eine Geschichte großer familiärer Solidarität und Kraft zu erzählen, eine Geschichte von Menschlichkeit, die der Verfolgung trotzt. Florian Cossen ist als "Westkind", das viel im Ausland gelebt hat, in Teil 3 auf der Basis der Arbeit von Jan Braren, Christoph Busche und Rolf Basedow der Frage der staatlichen Verstrickungen nachgegangen. Was ist die Rolle des Verfassungsschutzes? Liegt es an der Kompetenzüberschneidung staatlicher Organe, dass wir bis heute keine Klarheit über das Umfeld der Mörder und ihr Netzwerk haben?
Wie konnte es Ihrer Meinung nach dazu kommen, dass zehn Jahre lang fremdenfeindliche Täter ungestört morden konnten?
Wir alle wissen, dass es viele dunkle Bereiche in jedem Gemeinwesen gibt, die nach dem Willen der jeweils Machthabenden besser im Dunklen bleiben sollen. Davon ist im Fall des NSUKomplexes auf jeden Fall auszugehen. Warum sonst wurden Akten beim Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) vernichtet, warum sind Ermittlungsakten teilweise immer nicht mal den Opferanwälten zugänglich, warum lassen sich die derzeitigen Tatversionen nur durch ein Meer von "Zufällen" erklären? Der Geheimdienstkoordinator und ehemalige Vizepräsident des BfV hat dazu erklärt: "Es dürfen keine Staatsgeheimnisse bekannt werden, die ein Regierungshandeln unterminieren." Mit dieser Aussage hat sich keiner von uns zufriedengegeben. Wir bauen auf das Versprechen der Kanzlerin: "Wir tun alles, um die Morde aufzuklären und die Helfershelfer und Hintermänner aufzudecken und alle Täter ihrer gerechten Strafe zuzuführen. ... Denn es geht auch darum, alles in den Möglichkeiten unseres Rechtsstaates Stehende zu tun, damit sich so etwas nie wiederholen kann."
Mit den Filmen verbindet sich die Hoffnung, zu dieser Aufklärung beizutragen. Dafür haben großartige Schauspielerinnen und Schauspieler und wir alle fast vier Jahre gearbeitet. Das ist ein großes Anliegen dieser Filme: Wir hoffen, dass sie ein Beitrag sind zu unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung. Sie sind ein Fanal gegen die Angst, ein neuerlicher Aufruf zur Wahrheitsfindung. All das wäre ohne all die Mitkämpfer, die Künstler vor und hinter der Kamera, nicht möglich gewesen. Ich danke Stefan Aust, der dieses Projekt sehr lange intensiv begleitet hat. Ich danke Sophie von Uslar, Quirin Berg und Max Wiedemann und meinen solidarisch kämpfenden Redakteurinnen und Redakteuren: Martina Zöllner und Uli Herrmann, Barbara Buhl, Götz Bolten und Corinna Liedtke, Claudia Simionescu, Bettina Ricklefs und Harald Steinwender, Christine Strobl, Jana Brandt und Johanna Kraus. Ohne sie wäre dieses Projekt nie entstanden.
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