Realfilm trifft Animation
Zur Produktion von Pinocchio
Bei "Pinocchio" werden Real- und Animationsfilm auf neue, ungewöhnliche Weise vermischt.
"Ich stelle mir einfach vor, dass da jemand ist", sagt Mario Adorf über seine Arbeit mit einem unsichtbaren Pinocchio. Der Schauspieler ist mittlerweile 83 Jahre alt, seine weiß-graue Haarmähne strahlt prächtig. Eigentlich kann man sich niemanden vorstellen, der besser in die Rolle des Geppetto passen würde, der die Holzfigur eines kleinen Jungen schnitzt, die lebendig wird und ihm Gesellschaft leistet.
Schauspielerin Claudia Funke sitzt Adorf gegenüber in einem Boot. Mit dem ist Geppetto im Bauch eines Wals gestrandet. Ihr Motion-Capture-Anzug fängt die Bewegungen ein, die später verkleinert und auf die animierte Figur im Computer übertragen werden. Sie spricht Pinocchios Texte. Auf ihrem Oberschenkel markieren zwei Kreuze, auf welcher Höhe Pinocchios Augen ungefähr wären. "Ein paar Mal ist es mir aber schon passiert, dass ich ihr ins Gesicht gesehen habe, statt auf ihren Oberschenkel", sagt der charmante Adorf schmunzelnd.
Nach einigen Proben wird die Szene gedreht. Erst eine Fassung mit dem Pinocchio- Double, um deren Bewegungen aufzuzeichnen. Dann ist Adorf auf sich allein gestellt und spricht mit einem Pinocchio, den es noch gar nicht gibt. Erst nachträglich wird die animierte Figur in das Bild eingepasst. "Adorf hat so eine Präsenz", sagt die Regisseurin Anna Justice, "die lässt sich durch nichts verdrängen". Auch nicht durch eine kleine Figur.
Neue Produktionstechnik: Viel mehr als nur Postproduktion
"Pinocchio ist ein kleiner Störenfried, der ständig über die Stränge schlägt", sagt Dörte Hanke, die verantwortliche Redakteurin beim WDR- Kinder- und Familienprogramm. "Doch, obwohl er ständig alles durcheinanderbringt, hat dieser Junge die Gabe, Menschen für sich zu gewinnen und sie am Ende sogar zusammen zu bringen. Zu einer großen Familie! Im Laufe der Zeit lernt er, sich als soziales Wesen zu begreifen. Somit ist 'Pinocchio' also auch die Geschichte einer Sozialisation." Anna Justice macht aus dem Stoff einen sehr aktuellen Film.
Außer Pinocchio gibt es in der Neuverfilmung noch eine zweite animierte Figur: Coco, die Grille. Ihr leiht Anke Engelke später in der Synchronisation ihre Stimme. Diese Art der Vermischung von Real- und Animationsfilm ist bisher in Deutschland noch eher ungewöhnlich. Der Film wird komplett in Nordrhein-Westfalen animiert; die Aufgaben teilen sich B-Water Studios in Köln und LAVAlabs in Düsseldorf. Die Film- und Medienstiftung NRW fördert den Event-Zweiteiler mit 1,5 Millionen Euro, weil der Film den "Eintritt in eine neue Produktionstechnik in NRW" markiert, erklärt Filmstiftungs-Geschäftsführerin Petra Müller. "'Pinocchio' ist ein zeitgenössisch weiterentwickeltes Klassikerprojekt und für das Studio- und Filmland NRW etwas Besonderes", sagt Müller.
"Es war eine spannende Aufgabe, aus Collodis phantastischer und anarchischer Geschichte einen dramaturgischen Bogen zu bauen, der über 180 Minuten Film trägt", erklärt die Drehbuchautorin Alexandra Maxeiner. "Denn Collodi hatte Pinocchio ursprünglich als Fortsetzungsgeschichte für eine Zeitung geschrieben, eine Form, die ganz anderen dramaturgischen Regeln folgt als eine filmische Erzählung." Der Technik kommt in 'Pinocchio' große Bedeutung zu. Schließlich entstehen Pinocchio und die Grille Coco durch 3D-Animation im Computer. Entworfen und virtuell zum Leben erweckt haben die beiden Figuren Mitarbeiter der B-Water Studios in Köln. Die Vorgabe der FFP New Media lautete: zeitlos, klassisch-modern. "Ein kleiner frecher Junge, ein richtiger Frechdachs", wie Mario Adorf am Set sagt.
Der letzte Teil der Fertigstellung liegt bei der Firma LAVAlabs: Die Düsseldorfer VFX-Spezialisten fügen den in Köln entstandenen Pinocchio in die realen Bilder ein. Beim sogenannten Compositing wird die Animation mit den am Set entstandenen Aufnahmen verbunden. Pinocchio tritt organisch in die Szene hinein. Außerdem machen die Visual Effects-Experten digitale Set-Erweiterungen und die Farbkorrektur gemeinsam mit dem Kameramann, damit der Film einen einheitlichen Look bekommt.
Bereits vor dem Dreh wird überlegt, welche Sets im Studio entstehen und welche am Computer, weil es günstiger und einfacher ist. So komplettieren die Animationsfilmer digital den Bauch des Wals nach vorne und hinten, schufen ein Maul und eine obere "Decke", die im Studio schon wegen der Scheinwerfer offen bleiben musste. Für die Visual Effects war ein Mitarbeiter mit am Set, um die Crew zu beraten. Der reale Raum des Walbauchs wurde vermessen und fotografiert, damit man im Computer die richtigen Größenverhältnisse hat und die Kamerabewegungen nachempfinden kann. Dann wurde das finale Ergebnis nach und nach in den Schnitt eingesetzt.
Autorin: Marion Meyer