Regisseur Tom Lass
"Ich finde das Genre 'Krimi' spannend, da es einige erzählerische Herausforderungen mit sich bringt. Viele Krimis leiden darunter, dass sie rückwärts gerichtet sind: Am Anfang der Geschichte passiert etwas, worüber nun 90 Minuten lang gesprochen werden muss. Ich will aber Figuren sehen, die sich verändern. Daher habe ich es mir zur Aufgabe gemacht, dass trotzdem auch ein Konflikt im 'Jetzt' stattfindet, zwischen den anwesenden Figuren.
Gerade bei einer Konstellation wie Lena Odenthal und ihrer Tante Niki, die sehr viel gemeinsame Vergangenheit haben, ist man vielleicht verleitet, viele Informationen über ihre Beziehung in Infodialogen unterzubringen. Mir war wichtig, dass man ihr Verhältnis daran begreift, wie sie sich zueinander verhalten. Niki ist Lena gegenüber oft übergriffig, mischt sich in ihr Leben ein und ignoriert ihre Bedürfnisse und Entscheidungen, behandelt sie weiterhin wie ihr Kind. Lena muss also lernen sich gegen Niki durchzusetzen und autark zu werden – ein Abnabelungsprozess. Gleichzeitig sind beide sehr hartgesottene, durchsetzungsfähige Frauen, nur dass Niki eben immer noch eins draufsetzt und damit einen Wettbewerb daraus macht, wer denn nun die Hartgesottenere ist. Fast als wollte Niki Lena noch auf eine letzte Probe stellen, bevor sie bereit ist, sich zur Ruhe zu setzen und den Stab an Lena zu übergeben. Letztendlich glaube ich aber, sie werden sich beide nie zur Ruhe setzen – genau wie der Tatort und das deutsche Fernsehen – sie können einfach nicht aufhören.
Als Regisseur wollte ich aber auch aus ganz pragmatischen Gründen einen Tatort machen: Um zu zeigen, dass ich es kann. Als er mir angeboten wurde, habe ich also nicht lange überlegt, denn die Projekte, die ich zuvor gemacht habe, waren oft ungewöhnlich: Bei @ichbinsophiescholl haben wir eine Serie für Instagram gedreht, mit einer Protagonistin, die die Kamera selbst hält und zwar im Hochformat, mit versteckten Schnitten, historisch und in kürzester Zeit. Das Format 'Liebe.Jetzt!' wurde komplett virtuell aus dem Home-Office gedreht. Mit feststehenden Kameras, Handys und Regieanweisungen über Zoom. Und meine eigenen Kinofilme (Blind & Hässlich, Kaptn Oskar etc.) basieren sehr stark auf Improvisation und einem möglichst kleinen, flexiblen Team. Ich liebe Herausforderungen wie diese, bei denen technische und künstlerische Standards in Frage gestellt werden. Aber ich wollte eben auch nicht in eine Schublade gesteckt werden, als der 'Impro, Instagram-Regisseur'. Daher war es genau der richtige Zeitpunkt, um auch mal in einem etablierten Format zu agieren, einen Tatort zu machen wie die ganzen anderen 'Erwachsenen'.
Mein nächstes Projekt wird aber wieder was Vernünftiges: 'Tod den Lebenden', eine Serie, die ich seit über 4 Jahren gemeinsam mit SchauspielerInnen aus meinem 'ImproLabor' entwickelt und gedreht habe – erst mit Mini-Team und ohne Geld und dann zum Schluss mit riesigem Team und sehr viel Geld, vielen Stunts, VFX und Schießereien. Die Serie kommt im Herbst 2023 in der ARD Mediathek. Letztendlich geht es mir immer nur darum, das Beste aus allen Arbeitsweisen zu vereinen. Ein Tatort bietet die perfekten Voraussetzungen, um altbewährte, traditionsreiche Prinzipien anzuwenden, in einem professionellen Umfeld, wo alle Aufgaben sehr klar definiert sind. An Sets, wie diesen bin ich aufgewachsen, hier kenne ich mich aus. Davor habe ich Respekt. Und: Hier möchte ich mich weiterentwickeln und anspruchsvolle, innovative Geschichten erzählen, die den sich ständig wandelnden Ansprüchen des Publikums gerecht werden."
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