Gespräch mit Regisseur Hüseyin Tabak
Gespräch mit Hüseyin Tabak
Regie
Sind Sie ein Fan des Frauenboxens?
Es gefällt mir, wenn Filmfiguren eine große körperliche Präsenz zeigen, sich viel bewegen und nicht nur am Schreibtisch sitzen. Dadurch bin ich als Regisseur nicht so sehr an die Dialoge gekettet. In meinem letzten Film "Gipsy Queen" zum Beispiel verschlägt es eine Ex-Profiboxerin aus Rumänien nach Hamburg, wo sie in der Kiezkneipe "Zur Ritze" in den Ring steigt. Johannes Pollmann von der Nordfilm und Sabine Holtgreve vom NDR haben den Film gesehen und mich danach angefragt, ob ich nicht den nächsten Borowski-"Tatort" drehen möchte. Ich war glücklich, denn ich wollte schon immer einen "Tatort" machen. Und ich war überglücklich, nachdem ich das Drehbuch gelesen hatte. Mir liegen solche Stoffe, die emotional stark aufgeladen sind.
Woher rühren die großen Gefühle?
Die Tat passiert unmittelbar vor den Augen der Kommissare. Sie werden nicht wie sonst an den Tatort gerufen, sondern müssen mitansehen, wie in ihrem Unterricht an der Polizeiakademie eine junge Frau einen Mitschüler ersticht. Ein Schock. Was geht danach in den beiden vor? Wenn Lehrer mit ihrer Schulklasse einen Ausflug machen, auf dem eines ihrer Schützlinge verunglückt, dann quälen sie Schuldgefühle. Warum haben wir es nicht vorhergesehen? Sie hinterfragen sich selber. Hätte ich es verhindern können? Daraus werden spannende Konflikte gewonnen.
Wie zeigen Sie die Polizeischüler?
Wir haben es mit jungen Menschen zu tun, die längst noch nicht so weit sind, ihren Beruf ausüben zu können. In diesem frühen Stadium ihrer Ausbildung werden sie erst Zeugen eines Selbstmords und dann einer Bluttat in ihrer Polizeischule. Es kam mir sehr darauf an, ihre Verletzlichkeit und Unreife zu zeigen. Sie sind mit der Situation total überfordert und handeln extrem aus dem Bauch heraus. Borowski bringt ihnen als Dozent bei, dass sie lernen müssen, solche Erfahrungen zu verarbeiten. Aber selbst ihm als alten Hasen fällt es nicht leicht, das Erlebte wegzustecken. Es ist ein Lernprozess, der niemals zu Ende geht.
Die Täterin Nasrin handelt aus einem verdrängten Trauma heraus. Haben Sie für diese Figur eine eigene Soundebene und Bildsprache entwickelt?
Nasrin leidet unter Flashbacks, es sind Erinnerungen an ein früheres Verbrechen, die sie wie der Blitz treffen. In diesen Szenen ist der Ton stark verfremdet. Wir haben Nasrins Worte einmal rückwärts und einmal vorwärts laufen lassen und haben die beiden Spuren dann übereinandergelegt. Wir wollten kleine Nadelstiche setzen in ihre Vergangenheit und nicht gleich alles offenbaren. Für die Zuschauer sind diese Sounds wie kleine Piekser ins Gehirn, die den Hörsinn schärfen. Eine der ersten Lektionen, die ich als Regisseur gelernt habe, lautet: Die emotionalste Ebene des Films ist der Ton.
Viele Szenen spielen in einem trostlosen grauen Verhörraum. Wie bringt man da Spannung rein?
In der Regiesprache sagt man dazu: Das Motiv ist nicht gerade sexy. Auch das Krankenhauszimmer, in dem Nasrin liegt, bot uns nicht das große Kinobild. Um da Spannung zu erzeugen, haben wir gemeinsam mit den Schauspielern eine besondere Kameraführung erprobt. Es kam uns darauf an, zwischen den Dialogen mit Blicken zu arbeiten. Die Schauspieler sollten nicht einen Moment entspannen können. Das verleiht ihrem Spiel auch in diesen Zwischenräumen eine hohe Intensität.
Worin besteht der titelgebende "Fluch der Möwe"?
Der Film hatte ursprünglich einen anderen Titel. Aber als wir auf Locationsuche das Dach eines Hochhauses besichtigten, kreisten immer wieder Möwen über unseren Köpfen. Ich habe Videos davon gemacht und sie unserem Autorenduo geschickt. Eva und Volker A. Zahn haben den Flug der Möwe aufgegriffen und als ein poetisches Element mit einer eigenen Dramaturgie ins Drehbuch eingebaut. Die Möwe wirft einen Schatten über die Geschichte von Nasrin und ihrer Freundin Jule, die das Opfer eines Verbrechens geworden war. Sie ist eine Metapher für den Geist von Jule, der wie ein Fluch über Nasrin schwebt.
Sahin und Borowski geraten heftig aneinander. Wie ernst ist ihr Streit?
Axel Milberg sagte einmal zu mir, es tue ihm gut, dass beide auf Augenhöhe ermitteln. Er liebt den ernsten Austausch mit seiner Partnerin. Wie sollte es zwischen ihnen nicht hin und wieder krachen? Sahin ist der Kontrapart zu Borowski. Er setzt seinen Charme und seine Eleganz ein. Sie ist eine Frau mit einem Messer zwischen den Zähnen. Sehr direkt, sehr emotional. Als in einem Verhör die Gefühle mit ihr durchgehen, bricht Borowski die Vernehmung ab, was sie erst einmal verdauen muss. Aber als Boxerin kommt sie schnell wieder auf die Beine und geht in die nächste Runde. Auf der anderen Seite ist Borowski willens, von der jungen Kollegin zu lernen. Wenn er Sahins Bedürfnis spürt, sich nach dem Zoff in Ruhe auszusprechen, dann braucht er seine Zeit, macht aber selber auf.
Kommentare