Gespräch mit Alexander Adolph (Buch und Regie)
Kommissarin Charlotte Lindholm ermittelt im niedersächsischen "Schweinegürtel" und deckt einen Fleischskandal auf. Basiert der Fall auf einer wahren Begebenheit?
Die Geschichte ist fiktiv. Allerdings passiert es immer wieder, dass im Fleisch etwas enthalten ist, was man nicht erwartet und was da gar nicht drin sein darf. Unvergessen sind die auch großen Skandale um Ekelfleisch und Gammelfleisch. Als wir gedreht haben, wurde gerade ein weiterer Fall von bakteriell verunreinigter Wurst publik.
Im Film wird abgelaufenes Fleisch erst mit Bakteriophagen besprüht, um den Fäulnisprozess aufzuhalten, dann mit frischem Fleisch vermischt. Haben Sie sich dieses kriminelle Verfahren ausgedacht?
Diese Methode der Konservierung wäre theoretisch möglich, und sie ist nach unseren Recherchen in der Fleischherstellung auch schon erprobt worden. Ein industrieller Einsatz von Bakteriophagen ist denkbar, sofern es gelingt, die Zersetzung von Fäulnisbakterien zu beschleunigen. Noch dauert dieser Prozess aber zu lange.
Haben wir überhaupt das Recht dazu, Tiere industriell zu züchten, um aus ihnen "Goldknacker" zu machen?
Wir nehmen uns dieses Recht; es ist ganz klar das Recht des Stärkeren. Tiere wollen nicht sterben. Denen ist es insofern auch egal, ob aus ihnen eine hochqualitative Biowurst gemacht wird oder eben ein Goldknacker. Und so klar uns allen ist, dass die Wurst das Ergebnis einer hochtechnisierten Mästungs- und Tötungsmaschinerie ist: Wenn keiner die Goldknacker kaufen und essen würde, würde sie auch keiner herstellen.
Warum zeigen Sie nicht, wie Tiere geschlachtet werden?
Weil es im Rahmen eines "Tatorts" aus meiner Sicht ein billiger Schock wäre. Wir wissen doch alle, dass die Tiere geschlachtet werden. Seit Jahrhunderten können wir abstrahieren zwischen dem Tod von Tieren, die wir vielleicht ganz süß finden, und dem, was auf dem Teller liegt. Insofern wäre es zu einfach, mit schockierenden Bildern der Schlachtung zu winken. Es hätte auch was Pädagogisches, was mir widerstrebt.
Sie servieren stattdessen immer wieder Produkte der Fleischindustrie.
Ja. Wir haben unsere Goldknacker extra von einem Metzger konfektionieren und herstellen lassen. Sie sollen lecker aussehen. Sie sollen nicht verraten, was in ihnen steckt, und sie sind auch ein Machtsymbol. Schließlich kann man mit billiger Wurst ganz schön reich werden. In einer Szene reicht der Chefchemiker des Unternehmens die neuen Kinderwürstchen und fordert die Kommissarin auf: "Lecker, reinbeißen!" Gespielt wird der Mann übrigens vom ARD-Journalisten Adrian Peter, der die Gammelfleischskandale aufgedeckt hat.
In den Dialogen geht es ja teilweise recht drastisch zu. Sind das bewusste satirische Elemente?
Wenn die Figuren über Fleisch reden, zitieren sie zu 95 Prozent Sätze, die ich recherchiert habe. "Der Asiat knuppert gerne an Schweinefüßchen", "Der Afrikaner liebt den deutschen Schweinebauch", "Im Schulbus meiner Tochter muss die Hälfte der Kinder stehen, bei mir hat jedes Tier seinen Platz". Das habe ich mir nicht ausgedacht. Das sind alles O-Töne aus der Branche. Und dann gibt es auf der anderen Seite dieses Parlando, das wir alle schon mal gehört haben, von Gutmenschen, die versuchen, ihren Fleischkonsum mit ihrem besseren Wissen zu vereinbaren. Das reicht von "Ich bin Flexitarier – ich esse alles" über "Wenn man das Leiden wertschätzt, darf man Fleisch essen" bis hin zu jenem unsäglichen Vergleich von Schlachthöfen mit KZs, den ich wirklich verabscheue. So gesehen enthält unser Film vielleicht ein sprachliches Sittengemälde, das mit Fleisch zu tun hat.
Ihr Film prangert auch die Ausbeutung ausländischer Werkvertragsarbeiter an. Haben Sie deren Elend recherchiert?
In der Realität geht es schlimmer zu als in unserem Film. Wie diese Männer, die für lächerliche Stundenbeträge in unmenschlichen Schichten Schwerstarbeit leisten müssen, behandelt werden, das ist eine Form moderner Sklaverei. Aus Rumänien oder Bulgarien werden sie von modernen Menschenschmugglern unter Vortäuschung falscher Tatsachen nach Deutschland gebracht, wo sie ihre Pässe abgeben müssen und in Zehn-Stunden- Schichten für absurd wenig Geld schuften. Angestellt werden diese Leute nicht von den Schlachthofbetreibern, sondern von Sub-Sub-Subunternehmen. In ihren furchtbaren Behausungen sorgen mitunter Motorradbanden für Recht und Ordnung. Das ist nicht ausgedacht. Das ist so.
Zu Beginn des Films zeigen sie die Landwirtschaft als Idylle. Wir sehen sonnengelbe und sattgrüne Felder, über die sanft der Wind weht. Ist diese Welt ein Betrug?
Es hilft uns sehr, wenn zumindest dem äußeren Anschein nach alles normal ist. Von außen sehen die Maispflanzen immer noch aus wie Maispflanzen – und nicht wie ein genmanipuliertes Getreiderätsel. Die Schlachtungen finden – für uns nicht sichtbar – hinter Mauern statt. Wir lieben die Vorstellung, dass die Oberfläche intakt ist und man sich dahinter wohlfühlen kann.
Anfangs erstrahlt auch Charlotte Lindholm im Gegenlicht.
Sie ist zum ersten Mal richtig zu sehen, nachdem der Fleischfabrikant gesagt: "Jetzt habe ich leider ihren Namen vergessen." Sie war ja zwei Jahre nicht da, und ich hatte mir gewünscht, dass ihr erster Auftritt im Film ein besonderer ist. Zu Beginn der Geschichte ist sie eine sehr souveräne Person. Eine schöne Frau, authentisch und gewissenhaft. Im Verlauf des Films wird ihr viel von dieser Souveränität genommen.
Ihr "Tatort" macht viele Anleihen beim Horrorfilm. Sind Sie Fan des Genres?
Ich liebe den Horrorfilm, den fantastischen Film, weil sie zu jenen Genres gehören, wo sich die Bilder über den Dialog stellen. Und da kann man dem Zuschauer auch schöne Überraschungen bieten.
Schön? Nachdem die Kommissarin den Imagefilm des Fleischfabrikanten gesehen hat, träumt sie in der Nacht von der Mutter des ermordeten Angestellten. Die alte Frau öffnet den Mund zu einem Schrei, und heraus kommt das Quieken eines geschlachteten Schweines.
Ja, das ist jetzt vielleicht ein bisschen unheimlich. Aber auf der Ebene des Erzählens ist es eine Überraschung und Überraschungen finde ich – und das meine ich ganz unironisch – etwas Schönes.
Der Showdown in der Fleischfabrik ist der absolute Horror. Wie war das eigentlich für Maria Furtwängler?
Ich fand die Zusammenarbeit mit ihr toll. Wir hatten uns ja auch vor den Dreharbeiten getroffen und über die Rolle und die Geschichte gesprochen und auch mit Heino Ferch und Bibiana Beglau ein bisschen geprobt. Maria stellt sehr viele Fragen, auch unbequeme, und die will sie beantwortet haben, was ich extrem gut finde, weil es sich auch in der Arbeit vor der Kamera widerspiegelt. Und sie spielt großartig. Nun ist es nochmal was anderes, wenn man als Schauspieler nicht mit anderen zusammenspielen soll, sondern allein in einem Raum panische Angst haben muss, während wirklich ziemlich unangenehme Dinge mit einem passieren, wenn man durch ein enges Loch kriechen, hinfallen muss. Manche Darsteller fangen dann schon an zu schimpfen. Maria war während dieser ganzen Szenen bester Laune. Und man hat große Angst um sie im Film. Denn dann gab es auch noch den Moment, wo Maria mit diesem riesigen, wirklich riesigen Schwein spielen musste. Es war ein ehemaliger Zuchteber – und tatsächlich haben Schweine, genauso wenig, wie sie geschlachtet werden wollen, auch kein wirkliches Interesse daran, in Filmen mitzuspielen. Und dieser Eber war keine Ausnahme. Ihm war der Dreh irgendwann zu langweilig und er lief plötzlich hinter der Steadycam her und machte ziemlich ungute Geräusche. Die Tiertrainerin hat gesagt: "etzt ist der Chucky sauer. Wenn er dich jetzt schnappt, dann ist dein Knie wech." Der Drehort leerte sich, das Team stieg auf Kisten. Der einzige Mensch, der sich weiterhin mit dem Schwein beschäftigte, als wäre es eine Art Miezekatze, war Maria. Das hat mich schwer beeindruckt.
Erzählen Sie auch die Geschichte einer Freundschaft?
Sie meinen Frau Bär, die am Anfang so große Angst vor Charlotte Lindholm hat. Ja, da entwickelt sich möglicherweise eine Freundschaft. Wobei ja die Momente am interessantesten sind, wo das wieder gefährdet wird, weil die eine zu empfindsam und schnell beleidigt ist und die andere dazu tendiert, aus einer gewissen Kühlheit heraus in alle möglichen Fettnäpfchen zu treten.
Eine heilige Kuh in Deutschland ist das Familienunternehmen. Sie haben daraus eine Mafiasippe gemacht.
Vielleicht ein bisschen. Tatsächlich ist die Familie das große Thema unseres "Tatorts". "Der sanfte Tod" ist eigentlich ein Familienfilm. Auf der einen Seite haben wir Charlotte. Sie ist alleinerziehend und wird von ihrer Mutter beschimpft, weil sie sich nicht genug kümmert. Auf der anderen Seite steht die wirklich dysfunktionale Sippe der Landmanns – mit keinem einzigen von denen möchte ich gern Streit haben, am wenigsten mit Herrn Landmann selbst, denn hinter dieser hemdsärmeligen Freundlichkeit verbirgt sich ein Monstrum.
Ist Heino Ferch die ideale Besetzung für diese Rolle?
Als die erste Fassung des Drehbuchs fertig war, stand für mich fest, dass Heino Ferch diese Rolle spielen muss. Ich habe mit ihm telefoniert, und die zweite Fassung war eigentlich schon auf ihn zugeschrieben. Man traut ihm körperlich zu, selber schon mal geschlachtet zu haben. Und er ist grundsympathisch, sexy, er hat diesen wahnsinnigen Charme, diese Wärme. Man kann ihm nicht böse sein. Und damit ist er für Charlotte eine viel größere Herausforderung als ein Unsympath. Ein guter Bösewicht hat viele Facetten. Je gütiger, sanftmütiger und wohlwollender er ist, umso mehr packt er uns. Deswegen ist Heino die Traumbesetzung.
Gibt es für diesen Herrn Landmann ein Vorbild aus der Realität?
Nein, ein direktes Vorbild gibt es nicht. Er verkörpert in gewisser Weise eine Zusammenfassung der Eigenschaften von bestimmten Geschäftsleuten, Managern, erfolgreichen Unternehmern, die ich über die Jahre getroffen habe, dieser Versuch, sich eine große warme Authentizität zu geben, während im Hintergrund ein großes Krokodil sitzt. Wenn er sich vor die Leute stellt, um eine Rede zu halten, und dann plötzlich in eine scheinbare Schüchternheit verfällt und norddeutsch spricht: So etwas habe ich schon erlebt, und Heino Ferch spielt es grandios.
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