Gespräch mit Autor und Regisseur
Sie haben diesen Tatort gemeinsam entwickelt, was war denn Ihr Grundgedanke dabei?
Boris Dennulat: Wir wollten gern etwas zusammen machen und sprachen über verschiedene Stoffe. Darunter war auch dieser, auf den ich schon einige Jahre zuvor gestoßen war. Wir fanden beide, dass die Geschichte mit ihrer Verortung im Wirtschaftsleben sehr gut nach Stuttgart passen würde. Der Fall geht aus dem sehr besonderen amerikanischen Antikorruptionsgesetz FCPA (Foreign Corrupt Practises Act) hervor, das dazu führen kann, dass ausländische Firmen sich in den USA einem Prozess wegen Korruption stellen müssen, obwohl sie gar nicht in den USA geschmiert haben. Mit der Konsequenz, dass jemand aus einem Unternehmen in den USA ins Gefängnis muss, sozusagen als Sündenbock.
Gerd Schneider: In dem Stoff steckte der Gedanke, dass der momentan verbreitete Tenor in der Gesellschaft, nachdem sich jeder das, von dem er glaubt, dass ihm zustehe, einfach nimmt, im Wirtschaftsleben besonders ausgeprägt ist. Es wird nach eigenen Regeln gespielt, die Wirtschaft geht so weit, Dinge zu tun, die eigentlich strafbar sind, aber mit dem Hinweis auf den Erhalt von Arbeitsplätzen durchgezogen werden…
Boris Dennulat: Dabei ging es uns nicht darum, dass Korruption pfui ist, wir erzählen den Korruptionsfall ja auch gar nicht. Deutschland ist nach dem, was ich bei Recherchen gehört habe, als Exportweltmeister ganz groß in der Korruption im Ausland, aber das war nicht unser Thema. Uns interessierten die Folgen daraus: Wozu führt es, wenn man sich auf diese Bedingungen einlässt? Was macht es mit den Leuten? Das wollten wir beleuchten. Oder, Gerd?
Gerd Schneider: Ja, es ging nicht um das Schmiermittel Korruption, das vermutlich in jeder funktionierenden Gesellschaft in bestimmtem Rahmen seinen Platz hat, und dann auch hilft, Reibungen zu verhindern. Aber wenn sich diese Haltung verselbstständigt, womöglich gar zur wirtschaftspolitischen DNA wird, was wird dann aus jemandem, der in diesem System herangezogen wurde, der in gutem Glauben gehandelt hat und dann unter die Räder gerät? Da ist ein Clash zwischen wirtschaftlicher Notwendigkeit und einer gesellschaftlich irgendwo noch verorteten Moral.
Boris Dennulat: Dabei ist dieser Sündenbock persönlich keineswegs unschuldig, aber er muss die Strafe stellvertretend absitzen. Wie muss man gestrickt sein, dass man das für seine Firma auf sich nimmt? Oder inwieweit will man es zwar nicht, kann aber nicht anders, weil der Druck zu hoch ist, weil man aus der Gesamtkonstellation nicht mehr herauskommt, wenn man sich einmal auf diesen Weg begeben hat? Und welche Erkenntnis zieht einer wie Manlik dann daraus?
Könnte denn der Chef seinen ehemaligen Mitarbeiter mit Job oder viel Geld ruhigstellen?
Boris Dennulat: Wenn es zu einem solchen Prozess kommt, dann gelten Complianceregeln, wie es auch im Film erwähnt wird. Wenn der Vorstand ihn wieder einstellte, würden die Amerikaner sagen, dass er ihn belohnt und damit schadete er der Firma. Bässler sieht die Problematik der Situation wahrscheinlich ein, aber er hat das Heft nicht in der Hand und kann innerhalb seiner Logik gar nicht anders handeln. Solche Handlungen werden irgendwann toxisch und man wird die Geister, die man gerufen hat, nicht mehr los. Er merkt natürlich auch, dass eine Lawine losgetreten wurde und er die Kontrolle verliert.
Gerd Schneider: Das ist das, was für mich als Regisseur dramaturgisch so interessant war: Die Eskalationsspirale. Die ganze Handlung wird in Gang gesetzt, weil jemand nicht aufhört zu fragen, was jetzt aus ihm wird und ob er als Wiedergutmachung einen Job bekommt. Er ist für das Unternehmen ins Gefängnis gegangen, das soll ihn jetzt nicht hängen lassen. Daraus entwickeln sich Ereignisse, die von jeder Seite als Angriff wahrgenommen werden. Irgendwann werden diese Angriffe dann physisch und real. Du legst mir die Bombe ins Auto, dann schicke ich dir einen Killer auf den Hals. Das Tragische daran ist: Es hätte anders laufen können.
Boris Dennulat: Die eine Ebene ist das Verbrechen, bei dem im Prinzip nicht der Verantwortliche haften muss, sondern einer der Ausführenden. Auf der zweiten Ebene geht es um die Erkenntnis von demjenigen, der jahrelang im Gefängnis gesessen hat. Der dabei sein Leben befragt, der sich fragt, ob sein Handeln richtig war, auch vorher schon: Dass er seine Familie verloren hat, dass er am Aufwachsen des Sohns keinen richtigen Anteil hatte. Er versucht anders zu werden, bleibt aber dann doch auf halbem Weg stehen, weil er gleichzeitig auch sein Recht haben will. Er ist zwischen diesen beiden Polen zerrissen.
Gerd Schneider: Und ein Typ wie Bässler sagt, dass er sich Moral nicht leisten kann. Stephan Schad hat dieser Figur sehr viel Leben eingehaucht. Er sagt Sätze wie »Wirtschaft ist Krieg« oder »Polizei schafft keine Werte« im Brustton der Überzeugung und wirkt dann auch so überzeugend, dass ich ihm das glaube. Wenn sich jemand in dieser Blase bewegt, dann wird ihm das irgendwann zur zweiten Natur. Und er wird jedem, der ihm von außen klarmachen will, dass das nicht in Ordnung ist, sagen, dass der keine Ahnung hat: Wenn ich das nicht mache, gehen hier ganz schnell die Lichter aus.
Hatten Sie, Boris Dennulat, beim Schreiben von Manlik und Bässler schon die Schauspieler im Kopf?
Boris Dennulat: Ich habe normalerweise keine konkrete Vorstellung vom Aussehen der Figuren im Sinn. Eher einen Tonfall, eine Haltung. Ich war aber total begeistert von den beiden, davon wie sie die Figuren gespielt haben.
Gerd Schneider: Für mich ist es hilfreich, beim Schreiben oder Lesen eines Drehbuchs konkrete Gesichter vor Augen zu haben. Und ich habe die Besetzung dann auch mit Boris besprochen. Aber wir haben uns da nicht reingeredet.
Den beiden gegenüber sind die Stuttgarter Kommissare. Wie haben Sie sich denen genähert?
Boris Dennulat: In diesem Irrsinn, in dem jeder sich sein Teil nehmen will und gefühlte Gerechtigkeit herrscht, der eine sich über dem Gesetz fühlt und der andere eine Michael-Kohlhaas-Haltung einnimmt, sollten die Kommissare ein Anker sein, Fels in der Brandung. Professionalität und Gesetzestreue, ohne langweilig zu sein. Wenn sich noch nicht mal amerikanische Präsidenten an Gesetze halten, braucht man keinen Kommissar, der alle Vorschriften hinter sich lässt. Der größtmögliche Kontrast ist dann gerade der Kommissar, der gut ermittelt und auf den Rechtsstaat vertraut.
Gerd Schneider: Es ist ja verführerisch, zumindest mal einen der Kommissare ausbrechen zu lassen und vielleicht auf eigene Faust ermitteln oder selbst Gesetze brechen zu lassen. Das wollten wir aber nicht. Die Kommissare spiegeln aber das Geschehen, z. B. wenn Bootz feststellt, dass jeder außer ihnen einfach das macht, was er will. Das kommt witzig rüber, aber gleichzeitig sind sie die Stellvertreter der Zuschauer in dem Film, versuchen nach und nach die Dinge einzukreisen, bis hin zu dem Punkt, wenn Manlik den ungewöhnlichen Schritt tut, auf die Polizei zuzugehen, und sie beschließen, ihre Strategie zu ändern. Die beiden klären auf, und ich finde, dass es Spaß macht, ihnen dabei zuzuschauen.
Boris Dennulat: Durch ihr selbstbewusstes Auftreten setzen sie auch einen Gegenpunkt zu dem Selbstjustizthema. Denn emotional sind wir als Zuschauer ja immer wieder an der Seite von Manlik, also dem, der Selbstjustiz üben will.
Das passiert gerade in den Momenten, in denen er allein ist, z. B. wenn er in dem Container steht, in dem sein altes Leben verräumt ist, das nun in Trümmern liegt.
Gerd Schneider: Dass man diese Momente hat, fand ich von Boris sehr klug geschrieben. Das weggepackte Leben ist eine Szene, die erst relativ spät ins Buch kam, aber es ist genau dieser Ort seines Nicht-Lebens. Nach den Jahren der Haft steht er vor dem Nichts, das Leben ist fein säuberlich im Container abgelegt. Während des Schnitts haben wir dann sehr intensiv nach einem Bild von Barnaby Metschurat in einer Managerhaltung gesucht, mit längeren Haaren, im Anzug. Und sind tatsächlich fündig geworden, in dem Film einer Kollegin, der für den SWR produziert wurde, so dass es problemlos ging, das zu übernehmen. Wir erleben ihn ja als Ex-Häftling, der Gerechtigkeit will, von dem alten Manager ist nichts mehr übriggeblieben. Deshalb war es mir wichtig, dass wir diesen Moment setzen konnten.
Auch in den Rückblenden, die ja nicht Dialoge bebildern, sondern eher Zustände, kommen wir ihm emotional nah.
Gerd Schneider: Es ging mir dabei nicht um klassische Flashbacks, um Lücken zu füllen, was da oder dort stattgefunden hat. Im Gegenteil, die Flashbacks haben gar nichts Narratives, sondern nur Emotionales, seinen Zustand betreffend. Er trifft z. B. seine Frau auf der Straße, sie sind geschieden, und obwohl er weiß, dass sie inzwischen jemanden kennengelernt hat, hat er trotzdem die irrationale Hoffnung, dass er den Faden wieder aufnehmen kann. Dabei poppen in seinem Kopf die Bilder auf, wie sie einander mal nah waren. Das ist der emotionale Zug in der Figur, den ich damit kenntlich machen wollte. Und gleichzeitig eine Metaebene, auf der man ihm ins Gesicht schaut, in dem man ihm diese Zustände auch ablesen kann. Und zwar ungefiltert. Weil dieser Mann nach außen hin abbrennt wie eine Zündschnur, der aber diese Eskalation regungslos, meistens jedenfalls, durchläuft. Egal wer ihn warnt – er geht stur geradeaus.
Es ist geradezu erstaunlich, dass Drahtkleiderbügel so selten als Waffe genutzt werden. Wie sind Sie denn darauf gekommen?
Boris Dennulat: Ich glaube, ich bin beim Bügeln draufgekommen. Da kommen mir immer die besten Ideen.
Gerd Schneider: Ich habe mich als Kind immer ein wenig vor diesen Drahtbügeln gefürchtet, die sind scharfkantig …
Boris Dennulat: Ich habe sehr intensiv überlegt, welche Waffen denn so ein Managertyp bei sich hat. Das macht es ja am interessantesten; wenn man angegriffen wird, hat man eben nicht zufällig eine Knarre bei sich, sondern muss sich mit dem verteidigen, was man bei sich hat. Und es war eine Chance, zwei Sachen zu mischen: Manlik hat auf diese Art sein altes Leben bei sich, wenn er nach der Haft wieder gebügelte Hemden trägt, und gleichzeitig die Waffe, um sich zu verteidigen.
Gerd Schneider, Sie kennen Stuttgart sehr gut, weil Sie dort leben. Haben Sie Ecken der Stadt untergebracht, die Sie schon immer mal in einem Tatort aus Stuttgart sehen wollten?
Gerd Schneider: Tatsächlich gibt es eine Ecke, auch wenn die nur kurz im Film ist und es ein brutal verregneter Tag war, als wir das gedreht haben – immerhin hat es durchgehend geschüttet, Intervallregen wäre noch schlimmer gewesen – und das ist der Hoppenlau-Friedhof. Der schwimmt bei vielen Stuttgartern unterm Radar, ist aber eine sehr schöne Kulisse, so ein ruhiger, verwunschener Ort im Herzen von Stuttgart. Und auch wenn wir dort nur durchlaufen, ist es einfach ein interessantes Motiv, das ich gerne unterbringen wollte.
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