Im Gespräch mit Regisseurin Charlotte Rolfes
Mit „Pyramide“ haben Sie zum ersten Mal einen „Tatort“ inszeniert. Wie haben Sie den Einstieg in dieses Format erlebt?
Charlotte Rolfes: Ich habe die Arbeit an „Pyramide“ von Anfang an als sehr kollegial empfunden. Die Zusammenarbeit zwischen Jan Kruse (Produzent), Götz Bolten (Redakteur), den Autoren Jan-Martin Scharf, Arne Nolting und mir war durchweg ehrlich, direkt und dabei stets auf Augenhöhe. Darüberhinaus durfte ich zusammen mit meinem Editor Ramin Sabeti den Film im Schnitt in eine Kapitelstruktur bringen, weil wir es für die Erzählstruktur als richtig empfanden. Ich habe mit dem Komponisten Philipp Johann Thimm zusammengearbeitet, der kein klassischer Filmmusiker ist und dessen untypische und originelle Ideen mich absolut überzeugt haben. Aber vor allem durfte ich, in einem etablierten Format wie dem Tatort, meinem Blickwinkel, meiner Vision der Geschichte den nötigen Raum geben.
Was war für Sie der entscheidende Faktor genau diesen Tatort als Regisseurin zu realisieren?
Ich war beim Lesen des Drehbuchs sofort getriggert von den komplexen Fragen, die die Geschichte ja die ganze Zeit stellt. Wann verwandelt sich das Recht auf Teilhabe in Gier? Bedeutet mehr für mich, sofort weniger für die anderen? Und warum verfallen wir einem so brillianten Verführer wie Komann? Ich habe bis heute keine glasklaren Antworten gefunden und wollte mit meiner Inszenierung auch keine zu einfachen Antworten geben. Ich wollte Perspektiven öffnen. Zum Beispiel auf Andre und Anja, ein typisches junges Paar, dass sich danach sehnt „einfach normal zu leben“, trotz ihres geringen Einkommens. Dieses Paar macht für uns erlebbar, was es bedeutet ausgeschlossen zu werden. Und dabei wirft ihr Schicksal eine weitere Frage rund um die Chancengleichheit auf. Und ob wir in einer Gesellschaft leben wollen, die nur von Profit und Likes geprägt wird und davon dass ein paar wenige Menschen viel haben und viele Menschen sehr wenig.
„Pyramide“ ist ein sehr vielschichtiger Krimi. Fast alle scheinen gleichermaßen Täter- und Opfer-Figuren zu sein. Stellte das für Ihre Arbeit mit den Schauspielerinnen und Schauspielern eine besondere Herausforderung dar?
Es ist eine schöne Aufgabe, komplexe Figuren zum Leben zu erwecken. Das ganze Ensemble und insbesondere Rouven Israel (Rolle Andre), Roxana Samadi (Rolle Anja), Robin Sondermann (Rolle Komann) und ich hatten alle sehr viel (Spiel-)Freude dabei die Intensitäten von großem Glück und tiefem Unglück auszuloten. Auch Dietmar Bär und Klaus Behrendt waren „on fire“, wenn es darum ging, sich als Kommissare an einem Antagonisten wie Komann die Zähne auszubeißen und immer wieder noch eine Frechheit von Komann drauf zu setzen. Wichtig ist mir in der Inszenierung, dass die Täter oder Opfermomente nicht bewertet werden. Heißt weder die Rollen Andre noch Anja waren für uns „die Loser“ und Rolle Komann kein „böser Mensch“ und so haben sie es auch nicht gespielt.
Dieser Fall startet mit einem Verhör und wird dann in acht episodenhaften Rückblenden erzählt. Warum erweist sich gerade die strikte Unterteilung des Falls in einzelne „Kapitel“ als eine besondere Stärke dieses Films?
Die Rückblenden in Kapiteln sollen den Zuschauerinnen und Zuschauern helfen, alles für sich zu strukturieren und nachzuvollziehen. Alternativ hätte man auch „vor elf Tagen“ oder Ähnliches einblenden können. Ramin Sabeti und mir haben die Kapitel samt Überschriften besser gefallen, da sie der Geschichte auch etwas parabelhaftes geben. Außerdem wollte ich durch die klare Strukturierung dem Gefühl beim Schauen mehr Raum geben. Als Regisseurin versuche ich ja vor allem eine berührende Geschichte zu erzählen.
Die männlichen Protagonisten streben allesamt nach Geld, Macht und dicken Autos. Ist das „Pyramide“-Prinzip also ein klassisches Beispiel für toxische Männlichkeit?
Es ist ein durch und durch toxisches Prinzip und in unserem Fall auch noch toxisch männlich. Aber die viel interessantere Frage ist ja: Wie weit würdest DU gehen für Macht, Ruhm, Geld? Das hängt ja sehr stark mit den vorherrschenden Werten zusammen, mit denen wir aufwachsen und mit denen wir uns eine Haltung aufbauen. Ich glaube, auf diese Werte müssen wir Acht geben.
Kommentare