Gespräch mit Dietrich Brüggemann
Stimmt es, dass Sie die Idee zum "Tatort – Stau" hatten, als Sie selbst in einem Stuttgarter Stau standen?
Es war im Herbst 2013. Wir drehten "Kreuzweg" im Stuttgarter Raum, fuhren viel in der Gegend umher und standen dauernd im Stau. Eines Abends holten wir Hanns Zischler vom Flughafen ab, die Autobahn war zugestaut bis zum Horizont, also fuhren wir durch die Stadt – und standen geschlagene zwei Stunden auf der Weinsteige, mit herrlichem Blick über die nächtliche Stadt, ziemlich genau an der Stelle, die wir jetzt im Film erzählen. Als Brigitte Dithard mich Jahre später ansprach, ob mir zum Stuttgarter Tatort etwas einfallen würde, sagte ich: Ja, da fällt mir in der Tat etwas ein. Nämlich Stau auf der Weinsteige.
"Stau" hat einerseits eine ganz klare Krimistruktur, in der die Kommissare ihrer Ermittleraufgabe nachgehen und die Frage, ob es sich überhaupt um einen Mord handelt, erst genommen wird. Gleichzeitig ist der Film eine Gesellschaftskomödie, die ziemlich häufig ziemlich lustig ist. Wählten Sie den Stau als eine Art Brennglas für Typen und Verhaltensweisen? In denen sich die ZuschauerInnen womöglich wiedererkennen können?
Lustig ist es ja immer dann, wenn es todernst ist. Wenn Leute an ihren Beschränkungen scheitern, ich aber als Zuschauer denke: Oh Gott, das könnte ja ich sein. Wenn man die Leute im Film wirklich ernst nimmt, dann wird der Film schon ganz von alleine lustig. Und außerdem sind gerade die schrecklichen Situationen, in denen man sich weit wegwünscht, von außen betrachtet oft die lus- tigsten. So ein Stau ist eine Art dramaturgischer Dampf- kochtopf – man macht den Deckel drauf und stellt ihn aufs Feuer, der Rest passiert von selbst.
Zwei Stunden Zeit, im Prinzip auch nur zwei Spielorte, war das eine hinderliche oder eine hilfreiche Selbstbeschränkung beim Entwickeln und Inszenieren des Films?
Jede Spielregel und jede Einschränkung ist hilfreich. Je mehr man einfach festlegt, desto überraschender kann sich im Rahmen dieser Festlegung die Geschichte entfalten. Das Drehbuch hat sich fast von alleine geschrieben. Zumindest hat es sich so angefühlt, und das ist immer ein gutes Zeichen.
Reichhaltig war dagegen das Ensemble, es spielen zahlreiche Schauspieler und, ähnlich wie in Ihren Kinofilmen, auch mal ein eher fachfremder Gast mit. War’s schwer, die alle im Blick und im Griff zu behalten?
Ich liebe Ensemblefilme. Ich mag den Blick auf ein soziales Gefüge, auf überraschende Stellungswechsel, Allianzen und Feindschaften. Man spricht oft abschätzig von "Küchenpsychologie", wenn Filme versuchen, ihre Figuren von innen heraus zu verstehen, und oft sind die Ergebnisse dann auch eher platt – ich bevorzuge von vornherein die Küchensoziologie und schaue mir gleich eine ganze Gruppe an. Die Arbeit mit dem Ensemble war eine reine Freude. Ich konnte mir alle Schauspieler frei aussuchen und habe natürlich lauter Leute besetzt, die ich erstens toll finde und zweitens noch nie so gesehen habe, aber unbedingt mal so sehen wollte.
Auch die Filmmusik stammt von Ihnen. Trifft der Eindruck zu, dass Ihnen das Spaß gemacht hat? Gleich am Anfang werden die verschiedenen Autofahrer durch die Songs charakterisiert, die sie im Wagen hören, der Film spiegelt sozusagen die Musikauswahl der Figuren.
Im Fernsehen hat man die große Freiheit, dass man die gesamte Popgeschichte verwenden kann, ohne sich um Rechte zu scheren. Das muss man natürlich ausnutzen, und so entstand diese Sequenz aus sechs großen Hits, die alle in derselben Tonart stehen und sich daher wunderbar hintereinanderschneiden lassen. Die eigentliche Filmmusik ist in der Tat von mir, ich bin am Klavier groß- geworden und Musik ist noch vor dem Kino meine erste Liebe, aber sie ist sehr sparsam eingesetzt. Ein Film wie dieser muss erstmal ohne Musik funktionieren, und die Musik gibt am Ende eine eigene Ebene dazu. Der Film hat nur fünf oder sechs nennenswerte Musikstellen, aber da war es mir dann sehr wichtig, dass die Musik auch etwas zu melden hat und nicht nur vage Stimmung verstärkt. So kam es zu dem großen, klagenden Thema, das die Klarinette immer wieder spielt.
Man stellt sich so einen Dreh mit Stau wahrscheinlich einfacher vor, als es in der Realität ist. Als Sie sich in einer Messehalle und mit beträchtlichem VFXAufwand wiederfanden – haben Sie die Ursprungsidee da bereut?
Man will ein intimes Kammerspiel machen (denn das ist es eigentlich) und findet sich plötzlich als Kapitän eines riesigen Dampfers mit 100 Mann Besatzung in einer 8000 Quadratmeter großen Halle wieder. Aber das macht natürlich großen Spaß, denn das ist doch einer der Gründe, warum man damals zum Film gegangen ist – das Spektakel, der Zirkus, die diebische Freude, etwas Größenwahnsinniges herzustellen. Ich habe also gar nichts bereut, sondern mich in die Arbeit gestürzt und mich eigentlich nicht anders verhalten, als würde ich mit ein paar Freunden einen Hochschul- film drehen. Denn letzten Endes ist Film doch immer dasselbe – Kameramann, Schauspieler, Tonangler, ich selber, ein paar Leute für Technik und Maske und dergleichen. Auch an so einem Riesenset ist Filme- machen eigentlich eine intime, kleine Angelegenheit. Da muss man die Halle und die 80 Meter Blau einfach aus blenden und das tun, was man immer tut – die Szene zum Leben erwecken und der Geschichte zum Fliegen verhelfen.
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