Interview mit dem Regisseur und den Produzenten

Auf dem "heißen Stuhl": Im Schwimmbecken des leerstehenden Hotels muss sich Kommissarin Nadeshda Krusenstern (Friederike Kempter) den kritischen Fragen ihrer Kollegen stellen.
Auf dem "heißen Stuhl": Im Schwimmbecken des leerstehenden Hotels muss sich Kommissarin Nadeshda Krusenstern den kritischen Fragen ihrer Kollegen stellen. | Bild: WDR / Tom Trambow

Ein Tatort mit Starbesetzung und ohne Drehbuch

Fragen an den Regisseur Jan Georg Schütte und das Produzententeam Uli Aselmann und Sophia Aldenhoven (»die fi lm gmbh«)

Sie haben bereits mehrfach mit Jan Georg Schütte als Regisseur zusammengearbeitet. Was war bei diesem Spielfi lm ohne festes Drehbuch anders?

Uli Aselmann (UA): Das Besondere an diesem Film ist, dass wir hier in einem Format operieren, das zu den erfolgreichsten und besten der ARD gehört und das eine entsprechend große Aufmerksamkeit genießt. Es ist schon eine große Herausforderung, einen »Tatort« auf die Art und Weise zu produzieren wie die Filme von Jan Georg Schütte konzipiert sind. Ohne die große Unterstützung der erfahrenen »Tatort«-Redakteurin wäre uns das nicht gelungen, doch auch so war es zugegebenermaßen nicht immer einfach. Als Produzent bist du dir der Gefahr schon bewusst, dass man hier durchaus scheitern kann, wenn alles nicht so funktioniert, wie wir das am Reißbrett entwickelt haben.

Sophia Aldenhoven (SA): Der entscheidende Unterschied war, dass wir hier einen Krimi gedreht haben und keine Komödie. Bei "Klassentreffen", unserem letzten gemeinsamen Projekt mit Jan Georg Schütte, haben wir die Schauspieler einfach mal aufeinanderprallen lassen und geschaut, was dabei rauskommt. Hier mussten im Gegensatz dazu bestimmte Dinge im Vorfeld genau festgelegt werden und dann auch funktionieren.

Wie haben Sie den Dreh vorbereitet?

SA: Wir wussten ja, dass wir für den Dreh einen Seminarraum brauchen. Und so ist unser Locationscout bei der Suche nach einem geeigneten Drehort auf dieses Hotel in Siegburg gestoßen, das schon seit mehreren Jahren außer Betrieb steht. Sechs Wochen vor Dreh begannen dann die Arbeiten am Motiv. Unser Seminarraum aus dem Film wurde in den Raum hineingebaut, so dass wir einen Kameralauf für unsere Kameras bekamen.

UA: Interessanterweise wird das Hotel tatsächlich für echte SEK-Übungen genutzt. Weil es sehr unübersichtlich und perfekt geeignet ist für das Üben beim Umgang mit Gefahrenlagen.

Jan Georg Schütte (JGS): Für mich war die Vorbereitung größer als bei meinen anderen Filmen. Um den Krimi und die Beziehung der Kommissare zueinander erzählen zu können, hatte ich unheimlich viele Handlungsstränge angelegt. Und sie dann wieder verworfen. Am Ende habe ich es dann immer weiter reduziert. Wenn ich es mit einem Kunstwerk vergleiche, hatte ich am Anfang eine ganze Reiterstaffel und Ende nur noch ein Pferd.

Bei diesem "Tatort"-Fall sind gleich sieben Kommissare und zwei Coaches im Einsatz. Wie haben Sie dieses hochkarätige Schauspieler-Ensemble gewonnen?

UA: Jan Georg Schütte hat für seine Art zu arbeiten inzwischen in der Branche einen besonderen Namen. Außerdem hat es viele Schauspieler*innen gereizt, zusammen mit ihm einen "Tatort" nach seinem Spezialkonzept herzustellen. Weil es etwas Neues ist und immer etwas unvorhergesehen "passiert". Auch für uns als Produzenten belebt diese neue und spannende Herausforderung. Eben eine neue Form des Erzählens ...

Warum neu?

SA: Der klassische "Tatort" ist sehr auf das Verfolgen der Ermittlerspur konzipiert. Dem gegenüber ist bei der Improvisation mehr das Menschliche gefragt. Es geht darum, was die Schauspieler aus sich selbst und aus ihrer Rolle heraus generieren können. Das zählt bei diesem Fall mehr als die üblichen Kommissar-Skills des Ermittelns. Für die Schauspieler ist es schwierig und spannend zugleich, weil sie ihre Kommissar-Rollen auf eine zweite Ebene bringen müssen, auf die menschliche Seite. Sie sprechen hier in ihren Rollen als Kommissare viel mehr über ihre persönlichen Dinge als in ihrer üblichen Ermittlerarbeit. Das betrifft in besonderer Weise natürlich die drei "Tatort"-Kommissare aus Dortmund und Münster, die bei diesem Fall mit dabei waren und deren Biografien ja bereits angelegt sind.

Wussten die Schauspieler*innen, was sie beim Dreh erwartet?

SA: Sie kannten ihre Rollenprofile. Mehr aber auch nicht. Als sie zum Set fuhren, war ihnen erzählt worden, sie hätten einen Brief von der Polizei bekommen, eine Einladung für ein Zusammentreffen. Es sei ernst und dringend. Doch wer oder was sie dort erwartet, war ihnen nicht bekannt.

Herr Schütte, wie funktioniert Krimi ohne festes Drehbuch?

JGS: Krimis zeichnen sich in der Regel ja dadurch aus, dass im Drehbuch alles sehr genau geschrieben ist. Dass der Verdächtige scheinbar nicht da war, am Ende aber doch da war, dass der Blut an der Hose hatte usw. In meiner Arbeit stelle ich nicht die Verfilmung eines Drehbuchs in den Mittelpunkt. Sondern ich hole die Schauspieler und ihre Fantasie nach vorne.

Das heißt die Schauspieler*innen lösen den Fall selber?

JGS: Durch das Drehbuch werden die Kommissare in der Regel ja allwissend. Sie wissen und sehen, was die Zuschauer nicht sehen. Schauspieler können das natürlich nicht. Sie sind ja keine Kommissare. Deshalb hatte ich mir überlegt: Was ist die Essenz eines Krimis? Was passiert, wenn ich als Regisseur die Schauspieler in eine Situation bringe, in der sie als normale Menschen wie Zuschauer auch anfangen müssen auf ihre menschlichen Ermittlungsfähigkeiten zurückzugreifen?

Menschliche Ermittlungsfähigkeiten?

JGS: Ja. Denn was macht ein Kommissar, um einen Mord aufzuklären? Der Vorgang geht so: Als Kommissar spüre ich, um mich herum ist etwas falsch, etwas hat sich verschoben, und ich muss herausfinden, was es ist. Wenn ich als Regisseur die Schauspieler jetzt also in eine Situation schmeiße, in der sie merken, verdammter Mist, irgendetwas läuft hier komplett falsch, irgendetwas geht mir auch an die Substanz und bedroht mich, ich muss herausfinden, was es ist, dann hab ich eine Chance, eine wirkliche Ermittlungsarbeit in Gang zu setzen – ohne natürlich das Allwissen der Kommissare.

Sie haben den Film in nur zwei Tagen abgedreht: Wie haben Sie die Arbeit am Set erlebt?

JGS: Es war mit Abstand der anstrengendste Dreh von allen, die ich bisher gemacht habe. Ich wusste dieses Mal nach dem ersten Drehtag nicht, ob es funktioniert, oder ob es gescheitert ist. Das war anders als bei meinen anderen Filmen. Wir waren dann irgendwann in einer wirklich großen Not. Daraus baute sich ein großer Druck auf, und das haben, glaube ich, alle am Drehort gespürt. Diese Not und die Verzweiflung, die teilweise herrschte, hat es dann glücklicherweise auch in den Film geschafft. Der Druck der Schauspieler hat sich auf ihre Kommissar-Rollen übertragen. Ich glaube, dadurch kriegt das Werk eine gewisse Wahrhaftigkeit. Nach dem ersten Drehtag war ich sehr erschöpft und verwirrt. Und nach dem zweiten Drehtag aber auch glücklich. Ich wusste, das wird ein ganz besonderes Stück Fernsehen werden.

Nach dem Dreh ist vor der Postproduktion. Wie wurde aus dem vielen Material, das sie gedreht haben, ein "Tatort"?

UA: Der erste Blick (hier zweieinhalb Monate nach Drehende) auf einen Rohschnitt, ist bei fast jedem Film stetig begleitet von einer tiefen künstlerischen Krise. Bei diesem "Tatort" dauerte die erste Sichtung über drei Stunden – also auch die Krise – und man muss dann dennoch auf die Essenzen vertrauen, die man da auch entdeckt hat und sehr auf die Arbeit des guten Cutters vertrauen, der sich da dann fünf Monate mit dem Regisseur, den Produzenten und der Redaktion mit dem Material beschäftigt.

SA: Die Cutter-Assistenten saßen allein fünf Wochen daran, das ganze Material zu sichten und zu sortieren. Man sieht sich das ja pro Figur an: 36 Kameras, fünfeinhalb Stunden Material, sieben Kommissare, zwei Coaches. Und es wurde ganz schön viel geredet. Man muss an dieser Stelle auch einmal das ganz Postproduktionsteam und insbesondere unseren Cutter Benjamin Ikes hervorheben. Sie haben hier wirklich Außergewöhnliches geleistet.

Welche Reaktion der Zuschauer erwarten Sie?

JGS: Es wird natürlich einen Aufschrei geben. Da mache ich mir nichts vor. Vielleicht ist dieser "Tatort" für einige Menschen vor den Bildschirmen eine Herausforderung. Die spannende Frage ist in der Tat aber, ob sich auch die Zuschauer*innen darauf einlassen, so wie es unsere bekannten Schauspieler getan haben. Wer hier off en für Neues ist, kann bei "Das Team" viel Spannendes entdecken.

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