Christian Jeltsch im Gespräch
Christian Jeltsch im Gespräch
Drehbuch
Der 'Tatort: Krieg im Kopf' dreht sich um die geheime Erforschung und Erprobung neuer Waffensysteme. Hatten Sie das Thema schon länger auf dem Schirm?
Ich habe mich über die Jahre immer wieder mit der Entwicklung von Militärtechnik beschäftigt. Bei meinen Recherchen konnte ich eines Tages einen Informanten aus der militärischen Forschung gewinnen, der mir erzählte, worauf die wichtigsten Projekte abzielen. Das war spannend und für mich der Startschuss, stärker ins Thema einzusteigen. Als dann die Anfrage vom NDR kam, einen 'Tatort' für das Göttinger Team zu schreiben, konnte ich mich mit Fernsehspielchef Christian Granderath schnell über das Thema verständigen.
In welche Richtung geht es?
Zum einen geht es um den besseren Schutz von Soldaten im Einsatz, etwa durch neue Helme, die mit IT und Kommunikationstechnologien hochgerüstet sind. Zweitens wird versucht, mit neuen Methoden auf die Hirntätigkeit von Soldaten Einfluss zu nehmen. Wie kann ich sie wachhalten, ihre Aufmerksamkeit erhöhen und ihnen den Schmerz nehmen? Das funktioniert teils über die transkranielle Magnetstimulation, mit deren Hilfe Bereiche des Gehirns angeregt als auch gehemmt werden können. Bei der DARPA, der privaten Forschungsabteilung des Pentagon, kam dann irgendwann die Idee auf, beides miteinander zu verbinden und die Technologien aus der Hirnforschung in den High-Tech-Helm einzubauen. Die Defense Advanced Research Projects Agency, kurz DARPA, wurde in den 50er-Jahren im Kalten Krieg gegründet und hat im Vietnamkrieg etliche Forschungsprojekte angeschoben. Wissenschaftler spielten die verrücktesten Sachen durch, bis hin zu Einsätzen von Insekten als Spione. Mitarbeiter der DARPA haben mir berichtet, dass schon im Zweiten Weltkrieg daran geforscht wurde, wie man Soldaten wachhalten kann. Man hat mit 'Schoka-Cola' gearbeitet, Schokolade mit Koffein. Nach meinen Informationen haben Wehrmachtssoldaten beim Frankreichfeldzug Crystal Meth geschluckt, um ihre Müdigkeit zu überwinden. Früher hat man Drogen verabreicht, um das Hirn zu stimulieren, heute nutzt man transkranielle Verfahren.
Welche Rolle spielt der Militärische Abschirmdienst in Ihrer Geschichte? Ist er die treibende Kraft hinter der Militärforschung?
Nein, dafür ist behördlicherseits das Amt für Ausrüstung zuständig, seitens der Industrie sind es die großen Rüstungskonzerne wie Rheinmetall oder Diehl. Aber es wird auch an Universitäten und Instituten für das Militär geforscht, zum Teil mit Drittmitteln des Pentagon. Wie jetzt bekannt wurde, hat das US-amerikanische Verteidigungsministerium in den vergangenen zehn Jahren mehr als 20 Millionen US-Dollar an deutsche Forschungseinrichtungen gezahlt. Darüber gibt das Pentagon erstaunlich offen Auskunft. Unser Film erzählt von einer tödlichen Panne bei der verfrühten Erprobung dieser neuen Helme im Feld. Der MAD kommt in meiner Geschichte ins Spiel, um zu verhindern, dass von diesem Vorfall etwas an die Öffentlichkeit gelangt. Bei meinen Recherchen stelle ich immer wieder verblüfft fest: Wieso weiß niemand von der Sache? Warum sind die Informationen nicht durchgesickert? Weil hinter den Kulissen Strippen gezogen werden.
Warum arbeiten Hochschulen für das Militär?
Als ich Forscher gefragt habe, warum Sie sich in den Dienst der Rüstungsindustrie stellen, bekam ich oft zur Antwort: Wir lösen allgemeine technische Probleme. Dann fallen die typischen Argumente: beste Bedingungen, guter Job, gut bezahlt, wenn ich es nicht mache, dann macht es ein anderer. Ich möchte hier keine Vorwürfe erheben, aber ich finde es interessant, wie die Forscher diese Tätigkeiten mit der akademischen Freiheit vereinbaren. Militärforschung wird üblicherweise mit dem Benefit für die zivile Gesellschaft gerechtfertigt. Viele Innovationen sind ja in der militärischen Forschung entstanden, zum Beispiel das Internet.
Sie schauen in Ihrer Geschichte nicht nur in die Zukunft. Warum greifen Sie einen Geheimdienstskandal Anfang der 50er-Jahre auf?
Weil es in der Militärforschung schreckliche Kontinuitäten gibt. Davon erzählen wir über die Figur eines Professors, der damals an der Operation Artischocke, einem Forschungsprojekt der CIA über Bewusstseinskontrolle, beteiligt gewesen ist. In einem Geheimgefängnis im Taunus sind an Versuchspersonen spezielle Verhörmethoden erprobt worden. Man experimentierte mit Mescallin, LSD und Wahrheitsdrogen, um Agenten zum Reden zu bringen. Menschen starben unter der Folter. Unser Professor ist in jungen Jahren von NS-Wissenschaftlern gefördert worden, die in Konzentrationslagern Experimente an Menschen durchgeführt haben. Diese Verstrickungen sind nicht erfunden, es gibt sie tatsächlich. Es schlummern viele spannende Geschichten in dieser Zeit, aber ich habe manchmal den Eindruck, man traut sich nicht dran.
Von 'Voice to skull' über 'Hypersonic Sound System' zu Mikrowellenwaffen: Sie bieten ein Potpourri neuer Technologien auf. Welchem Zweck dienen sie?
Es sind Mindcontroll-Techniken, um Bewusstsein und Wahrnehmung zu manipulieren. Bei 'Voice to skull' handelt es sich um ein Forschungsprojekt der US-Marine, bei dem über elektromagnetische Frequenzen drahtlos Informationen ins Hirn gespielt werden. 'Hypersonic' ist von einem amerikanischen Tüftler erfunden worden, eigentlich ein fröhlicher Mensch, der sein Sound System dann ans Militär verkauft hat. Mit seinem System lassen sich über eine gewisse Distanz Töne gezielt in den Kopf einer Person schicken. Mikrowellenwaffen werden auch in Deutschland hergestellt. Sie gelten als nicht tödlich. Ihre gerichteten Strahlen heizen die Flüssigkeiten im Körper eines Menschen auf und gehen auch durch Wände. Man glaubt es eigentlich nicht, dass die Forschung sich mit solchen Techniken beschäftigt und dass sie funktionieren. Es klingt alles nach Science-Fiction, es ist aber Realität. An manchen Stellen habe ich vorausschauend gedacht, aber das ist mein Recht als fiktionaler Erzähler.
Begegnen Sie auf diesem Feld nicht vielen Verschwörungstheoretikern?
Ich liebe Verschwörungstheorien. Für mich als Autor stecken sie voller spannender Geschichten. Bei uns wird aber immer alles einem Reality-Check unterzogen. Natürlich muss auch bei einem 'Tatort' überprüft werden, ob die Fakten stimmen. Wir würden uns jedoch nichts vergeben, wenn wir ein bisschen über die Zukunft mutmaßen und sagen: Okay, das ist jetzt Stand der Wissenschaft, die uns zugänglich ist. Dann gibt es noch die Forschung, die uns nicht zugänglich ist. Daher sollten wir mutig genug sein, auch einmal darüber zu spekulieren, was alles auf uns zukommt.
Sie haben schon 2004 einen Verschwörungs-'Tatort' geschrieben: 'Scheherazade' thematisiert die Terroranschläge vom 9. September 2001.
Über den Film hat damals sogar die 'Washington Times' berichtet. Der frühere Grünen-Chef Reinhard Bütikofer wurde auf seiner USA-Reise gefragt, wie denn in Deutschland ein solcher Film gemacht werden konnte? Daraufhin hat mich prompt die 'Bild' angerufen und gefragt: Wie können Sie so etwas erzählen? Wie können Sie behaupten, dass Amerika involviert gewesen ist? Dabei habe ich das gar nicht behauptet. Ich habe eine Figur erfunden, die diesen Verschwörungstheorien über 9/11 anhängt. Aber das ist wohl schon ein Schritt zu weit gewesen zu erzählen, dass eine Figur so etwas glaubt.
Welche Reaktion erhoffen Sie sich dieses Mal?
Für mich wäre es das Beste, wenn nach der Ausstrahlung darüber diskutiert wird, was da im Geheimen abläuft. Mehr kann ein Fernsehfilm nicht erreichen. Teilweise vermisse ich solche Auseinandersetzungen, weil zu viele gefällige Geschichten verfilmt werden. Der Böse ist gefasst, ab ins Bett, in der Früh wartet die Arbeit. Ich sehe für mich eine gewisse Pflicht darin, solche brisanten Themen aufzugreifen und zu erzählen. Mir ist schon klar, dass bestimmte Leute wieder vom Leder ziehen werden: Das ist der größte Schmarrn, den ich je gesehen habe! Alles Lüge! Dieses Risiko muss man eingehen. Und es freut mich, dass beim NDR Fernsehmacher sitzen, die den Mut dazu haben.
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