Redakteur Jörg Himstedt im Gespräch
Hier ist nichts wie sonst. Die erste Szene bricht ab – und wir finden uns am Filmset wieder, wo gegen genau den Schauspieler ermittelt wird, der den LKA-Ermittler Felix Murot spielt: Ulrich Tukur. Redakteur Jörg Himstedt nennt den neuen hr-Tatort einen "Meta-Krimi". Ein Gespräch über das Krimimachen und die Frage, ob jetzt der gute Ruf seiner Kommissare in Gefahr ist.
Ich habe ein Zitat gelesen: Man kann mit Tukur keinen normalen Tatort drehen! Stammt das von Ihnen?
Könnte sein. Als wir ihn überzeugt haben, Tatort-Kommissar zu werden, war das schon Thema: Es sollten nicht die üblichen Kommissarfragen sein, nicht das Abklappern von Verdächtigen, eben kein normaler Tatort. Und an dieses Versprechen haben wir uns gehalten – in unterschiedlichsten Ausprägungen.
Tukur als Einzelfahnder mit einem Tumor im Kopf, als Ermittler in einem Italowestern mit einem Blutbad Shakespeare’schen Ausmaßes – dafür gab es einen Preisregen bis hin zur Goldenen Kamera und zum Grimme-Preis.
Das hat uns natürlich sehr gefreut, zumal der Tatort beim Publikum und bei der Presse sehr gut aufgenommen wurde. Ein Idealzustand, aber auch eine Hypothek. Da lag die Latte für den nächsten Tukur-Tatort hoch.
Wie entstand aus diesem Dilemma der neue Tatort?
Bei einem Treffen von Ulrich Tukur und Regisseur/ Autor Bastian Günther kam beiden in einer weinseligen Stimmung die Idee: Warum nicht mal Film-im- Film? Bastian Günther sagte aber auch gleich dazu: Das will doch keiner haben. Am Ende kam das Exposé für den Film dann zu uns, weil Ulrich Tukur überzeugt war: Die hr-Leute machen 'ne Menge mit! Und so war es – wir fanden das gut und haben gemeinsam das Drehbuch entwickelt.
Nun ist aus der Idee vom Film-im-Film ein doppelter Tatort geworden.
Der klassische Tatort ist die Rahmenhandlung.
Der Drehort für den klassischen Tatort wird selbst zum Tatort. Ulrich Tukur wird zum Verdächtigen, der umgeben ist von Darstellern anderer Tatorte, die selbst gerade beim Dreh sind: Margarita Broich und Wolfram Koch – und Martin Wuttke, der angeblich in Geldnöten ist, weil er kein Tatort- Kommissar in Leipzig mehr sein darf. Die Schauspieler spielen sich selbst.
Was natürlich eine Nabelschau ist.
Aber vielleicht auch deshalb interessant, weil man ja immer gerne wissen will, wie die Schauspieler wirklich sind, was der Erfolg von Bonus-Material und Making-of-Filmen beweist.
Ja, aber hier ist die Nabelschau schon extrem – und es wird sicher auch Ablehnung geben. Wir haben versucht, trotz der deutlichen Film-im-Film- Konstruktion vor allem einen unterhaltsamen und spannenden Tatort zu drehen. Der aber natürlich auch durch seine Anspielungen auf die Filmszene lebt. Da sind eine Menge Spitzen drin, die vielleicht nur wir selbst ganz verstehen, die aber immer so gehalten sind, dass sie für alle, die das anschauen, einen Mehrwert haben. Es sind fast schon Slapstick-Passagen in dem Film – und die Schauspieler machen das alle mit – alle unter ihrem Originalnamen, auch der Regisseur Justus von Dohnányi.
Aber Sie selbst lassen sich vertreten – den Filmredakteur spielt ein Schauspieler.
Mein Alter Ego ist Michael Rotschopf. Und da hab ich dann tatsächlich ab und zu mal schlucken müssen. Was der für einer ist! Aber gut – wenn man drin steckt, muss man halt mitmachen.
Und die Schauspieler wollten auch alle mitmachen, obwohl sie sich selbst mit ihrem wirklichen Namen zum Teil als rechte Knallchargen darstellen?
Bei Margarita Broich und Wolfram Koch, mit denen wir ja gerade den vierten Tatort gedreht haben, war klar, dass sie das mitmachen würden. Martin Wuttke auch. Das sind Theaterleute. Die haben damit kein Problem. Und der Regisseur Justus von Dohnányi, der schon fast zur hr-Familie gehört, spielt mit schokoladenverschmiertem Mund einen Kollegen, der immer im Schokoladenwahn ist, wenn er dreht. Das war seine eigene Idee. Also – zum Affen haben die sich gerne selber gemacht. Das ist ein großer Spaß geworden.
Und niemand hatte Bedenken, dass die Zuschauer beim nächsten "normalen" Tatort statt der ernsthaften Kommissare den etwas eitlen Herrn oder die leicht durchgeknallte Dame aus dem verrückten "Wer bin ich?"-Tatort sehen?
Die Bedenken gab es schon, aber da das Kernteam unsere "eigenen" Kommissare sind, haben wir gemeinsam entschieden, dass wir damit leben können und wollen. Die Zuschauer werden sicherlich die Metabene wahrnehmen und hoffentlich ihren Spaß haben.
Dass sie erkennen: Hier spielt der Schauspieler Wolfram Koch den Wolfram Koch als Schauspieler, der einen Kommissar zu spielen hat?
Es ist die Meta-Metaebene und kein wirklicher Einblick in das Privatleben von Wolfram Koch.
Sie unterschätzen jedenfalls Ihr Publikum nicht.
Das sollte man nie tun. Die Zuschauer sind weitaus intelligenter, als es viele Fernsehmacher glauben! Ich glaube, dass dieser Krimi aber auch funktioniert, wenn man nicht auf alle Meta-Ebenen mitgehen möchte. Auch dann macht er Spaß. Er bleibt eine Krimi-Tragikomödie. Da gibt es die slapstickhaften Elemente mit den anderen Tatort-Kommissaren und einen Ulrich Tukur, der immer mehr vereinsamt. Letztlich eine etwas bittere Reflektion über die nicht wirklich vorhandenen Freundschaften im Film-Business.
Ganz am Schluss wieder die Rahmenhandlung – und noch einmal eine neue Ebene. Ist das alles noch ein Krimi?
Das ist ein Krimi, oder mehrere in einem. Vielleicht auch einer über das Krimimachen oder die Krimimacher.
Das Interview führte Florian Schwinn
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