Franziska Weisz als Julia Grosz

Franziska Weisz ist Julia Grosz.
Franziska Weisz ist Julia Grosz. | Bild: NDR / O-Young Kwon

Die Figur Julia Grosz

Öfter als es ihr lieb ist, wird Julia Grosz mit ihren eigenen Vorurteilen konfrontiert. Sie fühlt sich aufgeklärt und gerecht. Immer auf der richtigen Seite. Dass sie für eine Frau wie Hope Makoni, die seit Jahren mit der Angst vor Entdeckung und Abschiebung lebt, auf der anderen Seite steht und Gefahr bedeutet, war ihr kaum bewusst. Hope findet es in Deutschland nicht so gut und bleibt trotzdem, muss bleiben, aus Mangel an – sicheren – Alternativen. Von solchen Menschen gibt es viele. Das weiß Julia Grosz jetzt. Aber Julia Grosz erfährt auch, was andere von ihr als Polizistin halten. Gelangweilt sei sie und karrieresüchtig. Wenigstens hier ist sie sich sicher: Das stimmt beides nicht. Zwar setzt Julia Grosz grundsätzlich auf Korrektheit, aber sie ist keine Prinzipienreiterin. Es sieht fast wie diebische Freude aus, wenn sie Falke einen kleinen – höchstens halblegalen – Trick vorschlägt, um an die Schlepperbande heranzukommen. Nicht mal Falke hätte sich getraut, so etwas vorzuschlagen.

Franziska Weisz als Julia Grosz

Die Kommissare Grosz und Falke ermitteln unter Flüchtlingen, die in Hannover ohne Papiere leben und ausreisepflichtig sind. Müssten sie als Bundespolizisten nicht Maßnahmen zu deren Abschiebung prüfen?

Wir sind nicht die Ausländerbehörde, die mit einer richterlichen Anordnung vor der Tür steht und sagt: Sie halten sich illegal in Deutschland auf, wir schieben sie jetzt ab! Wir wollen den Tod eines Flüchtlings aufklären, einen Schleuserring zerschlagen und einen Jungen aufspüren, der verschwunden ist. Bei den Ermittlungen würden wir uns nur selber im Weg stehen, wenn wir die Menschen, auf deren Mithilfe wir angewiesen sind, erst einmal bestrafen, indem wir mit Abschiebung drohen. Eine Familie vermisst ihren Sohn, da ist ihr rechtlicher Aufenthaltsstatus doch sekundär. Und als Fernsehkommissare lassen wir uns ja menschlich berühren von dem, was wir erleben.

Die Kommissarin versucht, das Vertrauen der Mutter zu gewinnen. Warum stößt sie auf Ablehnung?

Ich kann gut verstehen, dass sie die Grosz nicht an sich heranlässt. Hope ist aus politischen Gründen aus Simbabwe nach Deutschland geflüchtet, weil sie hier auf Asyl und auf ein besseres, friedliches Leben gehofft hat. Jetzt lebt sie ohne Papiere in der permanenten Angst, in ihr Herkunftsland zurückgeschickt zu werden. Deswegen ist sie auch sauer auf ihren Ehemann Jon, der zur Polizei geht, um ihren gemeinsamen Sohn vermisst zu melden, weil sie meint: Sie wollen uns nicht helfen, sie wollen nicht, dass wir hier sind! Jemand wie Jon bleibt an einer roten Fußgängerampel stehen, obwohl weit und breit kein Auto zu sehen ist. Der Grund ist: Als Papierloser darf er sich nicht den kleinsten Fehltritt erlauben.

Thorsten Falke (Wotan Wilke Möhring) und Julia Grosz (Franziska Weisz) an einem Fall, der beiden nahegeht.
Thorsten Falke und Julia Grosz an einem Fall, der beiden nahegeht. | Bild: NDR / O-Young Kwon

Erzählt dieser „Tatort“ einen besonders traurigen Fall?

Selbst wenn wir den Fall lösen, bleibt es eine tragische Geschichte. Hope und Jon wollen in Deutschland ein würdiges Leben führen und nichts lieber als arbeiten. Da sie keine Chance haben, an Papiere zu kommen und eine Sozialversicherungsnummer zu erhalten, bleibt ihnen nur die illegale Beschäftigung. Ohne Meldeadresse können sie nicht einmal einen Handyvertrag abschließen. Man könnte sagen: Sie sitzen in der Falle. Als dann der Sohn verschwunden ist, liegt ihre ohnedies schon beschwerliche Existenz in Trümmern.

Hunderttausende leben in Deutschland ohne Papiere. Ist Ihnen die Dimension bekannt gewesen?

Der „Tatort“ hat mir die Augen geöffnet. Ich kannte Bilder vom berühmten Arbeitsstrich, auf dem Menschen früh morgens darauf warten, zu Baustellen gefahren zu werden. Aber dieser illegale Markt macht nur einen Teil aus. Wir sind viel mehr, als wir glauben, von Papierlosen umgeben. Sie fallen im Alltag nicht unbedingt auf. Das sind Menschen wie Sie und ich. Im Film läuft Grosz der verzweifelten Mutter bis zu ihrem Arbeitsplatz nach, in einem riesigen gläsernen Gebäude. Es handelt sich nicht um irgendeine Hinterhofklitsche, wo es den Hungerlohn abgezählt auf die Hand gibt. Das Phänomen ist in der Mitte unserer Gesellschaft angekommen.

Geht es um die Ausbeutung zugewanderter Arbeitskräfte?

Unser Film legt eine bemerkenswerte Kehrseite des Sozialstaats offen. Viele Unternehmen können oder wollen sich die hohen Steuern und Sozialabgaben nicht leisten. Sie bezahlen rund das Doppelte der Summe, die beim Arbeitnehmer ankommt. Also beschäftigen sie die Unsichtbaren, wie sie auch genannt werden. Ohne deren Arbeit könnten sie ihre Läden nicht am Laufen halten. Diese Kehrseite des Sozialstaates müssen wir uns vergegenwärtigen. Diese Leute machen die Jobs, die wir nicht machen wollen. Dafür werden sie nicht nur schlecht bezahlt, sondern obendrein als „illegal“ diskriminiert, was ich infam finde.

Macht sich der „Tatort“ für die Rechte dieser Flüchtlinge stark?

Ich finde es wichtig und gut, dieses Thema einem Millionenpublikum näherzubringen. Die Menschen, die ohne legalen Aufenthaltsstatus in Deutschland leben, sind keine Illegalen. Sie verfolgen auch keine kriminellen Absichten. Sobald man ihren Aufenthalt legalisiert, können sie ein ganz normales Leben führen, so wie es von ihnen verlangt wird. Sie bereichern sich auch nicht an unserem Sozialstaat, wie manche behaupten. Die Wahrheit ist, sie haben überhaupt keinen Anspruch auf irgendetwas.

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