Interview mit Sebastian Koch

Richter Jacobi (Sebastian Koch) ist schwer gezeichnet.
Richter Jacobi ist schwer gezeichnet. | Bild: ARD Degeto/ORF/SquareOne Productions/Mona Film / Andreas H. Bitesnich

Herr Koch, Sie spielen nicht nur die Hauptrolle in EUER EHREN, sondern haben auch am Drehbuch mitgewirkt. Wie kam die Zusammenarbeit zustande?

Produzent Al Munteanu rief vor ziemlich genau vier Jahren aus Paris an. Er pitchte mir in nur vier Minuten die Handlung einer israelischen Serie, deren Rechte er zu kaufen beabsichtigte – mit der Frage, ob ich Lust hätte, diesen Stoff mit zu entwickeln und die Hauptrolle zu spielen. Ich müsse mich aber sofort entscheiden. Obwohl das überhaupt nicht meine Art ist, war ich direkt elektrisiert von dem Thema und sagte ihm spontan zu. Ich hatte den Eindruck, dass diese Geschichte einen Nerv unserer Zeit trifft und wir etwas Besonderes daraus machen könnten. Al bot mir die Möglichkeit, mich von Stunde null an am kreativen Prozess zu beteiligen und an den Büchern mitzuarbeiten.

Was genau beinhaltete Ihre dramaturgische Mitarbeit und wie konnten Sie sich einbringen?

Es war mir wichtig, diese sehr komplexe Geschichte mit ihren vielen Wendungen und Protagonisten immer wieder auf Logik und Plausibilität zu überprüfen. David Nawrath, der Regisseur, und ich mochten uns sofort. David arbeitet sehr genau und sorgfältig. Er ist jemand, dem es ausschließlich um die Sache geht, der die Kraft einer Geschichte spürt und der für den Stoff brennt. David Nawrath, David Marian und ich sind über Monate immer wieder über den Büchern zusammengesessen – würde der Richter dies sagen, würde er jenes wirklich machen, stimmen die Zusammenhänge der Geschichte, bleibt man als Zuschauer:in dran? Das ist eben das Schöne, wenn Autor, Regisseur und Schauspieler so früh zusammenfinden. Man hat jede Situation schon erlebt und auf ihre Schwächen geprüft. Das spart letztlich später beim Drehen unendlich viel Zeit.

Sie haben jahrelang nicht für das deutsche Fernsehen gedreht. Hatte das einen speziellen Grund und warum jetzt wieder?

Es war nie eine bewusste Entscheidung, nicht für das deutsche Fernsehen zu arbeiten. Für mich geht es ausschließlich um Inhalte. Wenn mich ein Thema interessiert, wenn ich das Gefühl habe, dass es eine Bedeutung hat, diesen Stoff zu erzählen und sich damit zu beschäftigen, dann sage ich zu. Wo ich arbeite, ist nicht so wichtig.

Ihre Figur, Richter Jacobi, verletzt aus Liebe zu seinem Sohn und aus Sorge um dessen Leben jeden seiner moralischen Grundsätze und alle gesetzlichen Regeln. Können Sie das persönlich nachvollziehen?

Aber natürlich. Jeder, der Kinder hat, kann sich sofort in diese Situation hineinversetzen. Wenn das eigene Kind Probleme hat oder gar, wie in diesem Fall, in Lebensgefahr schwebt, hat man als Eltern doch keine Wahl, als alles zu tun, um dem Kind zu helfen.

Wie sehen Sie Ihre Figur Michael Jacobi?

Ich glaube, Jacobis Situation könnte jedem von uns widerfahren. Man könnte meinen, dass wir uns zu jedem Zeitpunkt unseres Handelns für eine Umkehr entscheiden könnten. Aber können wir das wirklich? Jacobi, ein reflektierter, gebildeter Mann, hat im Laufe seiner Karriere gelernt, Informationen in Sekundenschnelle zu verarbeiten – er ist also keiner, der nur reagiert. Es brauchte nur diesen einen Trigger, diesen einen Anschub, damit sich in ihm ein Schalter umlegt. Der ansonsten mit allen Werten der Gesellschaft ausgestattete Richter fängt an, sein ganzes Wertesystem, für das er gelebt und gearbeitet hat, nach und nach zu unterwandern, um seinen Sohnzu retten. Eine fatale Situation, aus der es keinen Ausweg gibt.

Jacobi gerät auf seiner Mission von Filmminute zu Filmminute in immer größere Schwierigkeiten. Wieso gibt er denn nicht auf bzw. wieso kann er nicht mehr umkehren?

Jacobis Handeln ist für mich ein Spiegel unserer Gesellschaft, ich würde fast sagen ein Abbild der Energie unserer Weltsituation. Er weiß, dass der Sohn sterben wird, wenn er den korrekten Weg wählt und die Unfallflucht anzeigt. Und die Angst vor diesen Konsequenzen und davor, was passiert, wenn er die Fäden, die er glaubt, in der Hand zu halten, loslässt, motiviert ihn immer weiterzumachen, immer tiefer in dieses Labyrinth, aus dem es kein Zurück gibt, einzutauchen. Er kann und will die vermeintliche Macht und Kontrolle über die Situation nicht abgeben. Und schauen wir uns um: so ist es letztlich in vielen Bereichen des Lebens. Wieso hört der überarbeitete Angestellte nicht auf, obwohl er kurz vorm Burnout steht? Wieso beende ich meine Beziehung nicht, obwohl sie mir nicht guttut? Wieso ist es nicht möglich, weltpolitische Entscheidungen herbeizuführen, um den Klimawandel zu stoppen? Wir machen immer weiter, wider besseres Wissen und aller Argumente, und schaffen es nicht, aus diesem Karussell auszusteigen, das uns demnächst in den Abgrund schleudern wird. Vielleicht aber müssen wir nur einen Weg gehen, den wir noch nicht gegangen sind, der keine Absicherung bietet, der einfach vollkommen neu ist und nichts mit dem zu tun hat, was wir kennen und scheinbar für richtig halten.

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