Fragen an Annette Hess (Idee)

Sie sind eine ausgesprochene Kennerin der DDR-Geschichte und das als "Wessi", als Hannoveranerin. Woher rührt Ihr Interesse?

Mich fasziniert die DDR. Sicher, weil es sie nicht mehr gibt, weil man die Dinge nicht mehr überprüfen kann, weil ein Stück Rätsel bleibt. Jeder sagt einem etwas anderes über das Leben in der DDR. Selbst Menschen derselben Generation widersprechen sich zutiefst. Und damit meine ich nicht nur die extremen Positionen von Opfern und Tätern. Ich finde die DDR aber auch psychologisch spannend: Das Leben in der DDR ähnelt dem Zustand der Kindheit. Man ist einerseits vollkommen frei und sorglos und andererseits total kontrolliert, so wie es eben im Elternhaus war. Big Mama ist watching you – und gleichzeitig musste man keine Angst um die Existenz haben.

Julia und Martin
Julia und Martin verbringen glückliche Stunden am Müggelsee. | Bild: ARD / Julia Terjung

Wie sind Sie bei Ihren Recherchen vorgegangen?

Ich habe natürlich viel über die DDR gelesen, Sachbücher und Romane, Filme gesehen, zum Beispiel die wunderbaren alten "Polizeiruf"-Folgen. Ich habe immer wieder Ostdeutsche zu ihrem Leben befragt, um Anregungen für meine Geschichten zu bekommen. Erfreulich ist: Als ich vor über sechs Jahren mit der Recherche für "Weissensee" begann, waren die Informationsmöglichkeiten im Internet eher dünn gesät, vor allem wenn es um Detailfragen ging. Inzwischen gibt es aber ganz hervorragende Seiten wie die der BStu – Der Bundesbeauftragte für die Stasiunterlagen – die unglaublich umfangreich und lohnend sind.

Welche persönlichen Erinnerungen haben Sie an den Mauerfall?

Ich war damals 22 und auf dem 80. Geburtstag eines Verwandten in Hamburg, zunächst waren wir alle ahnungslos. Aber dann kamen verspätete Gäste, die riefen schon in der Tür: "Ihr glaubt es nicht: Die Mauer ist offen!" Wir standen dann alle vor dem Fernseher und sahen die Bilder in den "Tagesthemen". Hanns-Joachim Friedrichs, der sagte: "Man soll ja mit Superlativen vorsichtig sein, aber heute Abend ..." Da flossen viele Freudentränen, vor allem bei denen, die Verwandte in der DDR hatten. Ich bin dann erst Anfang Januar mit Freunden von Hannover nach Magdeburg gefahren, mit dem Kofferraum voller Orangen für die "armen DDR-Bürger" – was mir allerdings heute noch peinlich ist.

Was war Ihnen wichtiger: die historischen Fakten oder eine gute Dramaturgie?

Tatsächlich bin ich bei der Entwicklung der 2. Staffel – mehr noch als bei der 1. Staffel – zunächst nur von der Historie ausgegangen. Es gab längere Diskussionen, welcher Zeitraum erzählt werden soll. Ich habe mich dann für die Ereignisse um die Umweltbibliothek entschieden. Denn deren missglückte Aushebung im November 1987 durch die Stasi war ein entscheidender Wendepunkt in der DDR-Geschichte. Allerdings sind historische Fakten, die nicht in eine funktionierende Dramaturgie eingebunden sind, gähnend langweilig. Das kennen wir alle noch aus schlechtem Geschichtsunterricht. Es geht dann darum, lebendige Figuren zu schreiben, mit denen man sich identifizieren kann, mit denen man "Geschichte" miterlebt.

Wo liegen für Sie die Vor- und Nachteile einer seriellen Erzählung?

Der Vorteil liegt schlicht in der Länge, in diesem Fall 6 mal 45 Minuten. Länge bedeutet, dass man Zeit hat, Figuren zu erzählen, zu vertiefen, Charakterzüge nachvollziehbar zu gestalten. Man kann intensiver in Themen einsteigen, eine tiefere Atmosphäre schaffen. Eine gute Serie kann eine ganze Welt erschaffen – was einem einzelnen Film seltener gelingt. Zeit zu haben bedeutet aber auch, dass man diese als Autor spannend füllen muss. Man darf sich nicht wiederholen, man muss sich sogar steigern, einmal im Bogen jeder Folge aber auch im großen Ganzen. – Das sehe ich aber eher als Herausforderung denn als Nachteil.

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