Sa., 25.01.25 | 23:35 Uhr
Das Erste
Pfarrer Conrad Krannich: Oh Gott, nein!
Guten Abend!
Was für eine Woche! Wie schrecklich so vieles. Eine Freundin sagt: „Jetzt hilft nur noch … beten.“, Andere schreiben: „Himmel, hilf.“ So ein Stoßgebet entfährt einem angesichts eines ermordeten Kindes. Und darin verbirgt sich eine tiefe Ahnung, dass Leben so nicht enden sollte. Nie und nirgendwo. Und dann fangen Menschen an zu beten.
Meine Mutter hat Abend für Abend für mich und meine Geschwister die Hände gefaltet: „Lieber Gott, kannst alles geben, gib auch, was ich bitte nun: Beschütze diese Nacht mein Leben, lass mich sanft und sicher ruh‘n.“
Damit konnte ich gut einschlafen. Und ich denke, Millionen von Kindern auch. Die Worte dieser Kindergebete, die sind so tief eingeschrieben, so verwoben mit mir – die werde ich nie vergessen. Sie werden mich bis in alle Ewigkeit mit der verbinden, von der ich sie gelernt habe. Und mit Gott, dem ich in dieser Woche so viele Stoßgebete schicke.
Oft sind gerade das Worte, die bis ins hohe Alter bleiben. Ich kenne das von Menschen mit Demenz, wenn die Person schon schwindet. Da gibt es dieses eine Gebet, früh gelernt und nie vergessen, ich muss es nur kurz antippen: „Der Herr ist mein Hirte“. Auf einmal beten wir zusammen flüssig weiter. Die Worte kommen präzise. Ich sehe, wie sich die Falten glätten und die Augen wach werden. Jetzt sind wir beieinander.
Christen beten nicht nur miteinander, sondern auch füreinander: für die Familien der ermordeten in Aschaffenburg und für die Opfer des Anschlags von Magdeburg, von denen noch immer so viele behandelt werden. Und manchmal sind die Bitten so stark, so stark, dass sie gar nicht drinbleiben können. Da fließt das Herz über und das Gebet wird zu einer Haltung. So wie bei der amerikanischen Bischöfin, die zu Donald Trump sagte: „Ich bitte Sie, Herr Präsident: Haben Sie Erbarmen. Haben Sie Erbarmen mit den Menschen, die jetzt in Angst sind in unserem Land.“ Wie oft hat sie selbst wohl diese Worte vorher gen Himmel gebetet. „Gott, hab‘ Erbarmen“. Und wie viele Menschen haben diese Worte wohl gerade auf den Lippen, wie viele Kinder in Angst, dass ihre Eltern fortgeschickt werden.
Beten gehört zu meinem Beruf. Zu den Kindergebeten sind viele andere hinzugekommen. Und noch etwas hat sich verändert: Früher habe ich gedacht, ich habe einen Plan, da habe ich gebetet: Gott, tu dies, mach das.
Heute denke ich oft: Gott, Dein Wille geschehe, mach deins. Aber sieh diesen einen Menschen an, sieh nicht an ihm vorbei Und gib mir von deinem Geist und deinem Segen und deiner Kraft, damit ich das hier alles irgendwie gebacken kriege und meinen kleinen Teil beitrage.
Ob das alles etwas bewirkt? Ich glaube: Der am anderen Ende unserer Gebete sitzt – Gott –, der hält die Verbindung. Gerade in der Not, wenn das Herz von Tränen und Fragen überläuft. Viele Menschen erfahren das genauso. Sie beten, und zwar nicht nur für sich, sondern füreinander.
In jedem Dorf, in jeder Stadt beten Menschen, vielleicht sogar nebenan: für die Menschen in Aschaffenburg. Und um Segen und Kraft, um selbst etwas tun zu können, dort, wo auch immer Gott sie hingestellt hat. Vielleicht beten diese Menschen auch gerade für Sie.
Mir tut das gut. Trotz allem, in allem. Menschen, die füreinander beten, hat mal einer gesagt, die sind wie Säulen, die das Dach der Welt tragen.
Kommen Sie gut durch die Nacht.