So., 06.10.24 | 18:30 Uhr
Das Erste
Gaza: Verletzte Kriegsopfer zur Behandlung in Katar
Die Krankenhäuser in Gaza sind zerstört oder nicht mehr funktionsfähig, das ist die Realität noch immer. Wer schwerverletzt ist, wem Gliedmaßen in Notoperationen amputiert wurden, kann auf Weiterversorgung nur im Ausland hoffen. Viele Opfer werden in den umliegenden arabischen Ländern behandelt, zum Beispiel im katarischen Doha. Dort sind sie zwar in Sicherheit, aber oft schwer traumatisiert und getrennt von ihren Familien.
Eine Spezialklinik in Doha als letzte Chance
Wer es aus Gaza in die Hamad-Spezialklinik in Doha geschafft hat, hat großes Glück, aber auch unvorstellbares Leid erlitten. Wafaa, ist 27 Jahre alt. hat. "Können Sie die amputierte Hand in Gedanken noch bewegen", fragt der Arzt? Vielleicht kann Wafaa später eine elektronisch gesteuerte Handprothese bekommen. "Wie ist es mit dem rechten Bein – Schmerzen im Stumpf? Ok das sieht gut aus." Nachts um vier hatten israelische Raketen Wafaas Wohnblock getroffen. "Die erste Rakete schlug ein, sie explodierte nicht", erzählt Wafaa Abu Saman. "Ich bin los, um nach meinen schlafenden Kindern zu schauen. Genau da schlug die zweite Rakete ein. Mein Mann wurde getötet und ich und meine beiden Töchter verletzt."
Die israelische Antwort auf den Terror der Hamas. Musste sie so viele unschuldige Zivilisten treffen? Der palästinensische Nahostexperte Yezid Sayigh sieht eine Mitverantwortung auch bei der internationalen Gemeinschaft. "Die israelische Armee konnte es sich leisten, Bomben mit rund 1.000 Kilo Sprengstoff in Wohngebiete zu werfen. Ohne Rücksicht auf zivile Opfer. Denn es gab keinen Protest dagegen in Israel. Und die USA, Deutschland, Frankreich und andere Länder hatten Israel sofort freie Hand gelassen."
Verbrennungen und Amputationen
In einer Wohnanlage, gebaut für die Fußball-WM hat Katar 2.500 Schwerverletzte und ihre Angehörigen aufgenommen. Neben der medizinischen Versorgung gibt’s auch Unterricht und Beschäftigung für die Kinder. Omar ist 13, unter den Trümmern des 7-geschossigen Wohnhauses fand man seine tote Mutter und zwei Brüder. Er hat Schmerzen aufgrund der Verbrennungen und ist durch das Erlebte stark politisiert. "Ich rufe die ganze Welt auf Gaza und Palästina zu helfen", sagt Omar Al-Hosari. "Ich habe kleine Kinder gesehen, die in Stücke gerissen waren. Kinder träumen von einem kleinen Stückchen Brot. Es ist schlimm in Gaza, wo bleibt die Welt?"
Sara, ebenfalls in Gaza verletzt, geht es schon wieder so gut, dass sie als Freiwillige bei der Kinderbetreuung hilft. Mit ihr dürfen wir in die Wohnung, die die katarische Regierung der Familie stellt, samt Verpflegung. Sie sind dankbar und versuchen so gut es geht mitzuarbeiten. Der Vater trainiert eine Fußballmannschaft. Zwei von Saras Geschwistern sind beim Raketenangriff auf ihren Wohnblock getötet worden. "Die Narben in meinem Gesicht und an den Beinen sind gut verheilt. Aber meine Arme sind zu 34% verbrannt. Hoffentlich gehen die Narben zurück, wenn ich weitere Lasertherapie bekomme." Ihrer jüngeren Schwester Lama musste in Gaza das rechte Bein amputiert werden. Eine Prothese kann sie noch nicht tragen. "Der Arzt in Gaza sagte: das Bein muss amputiert werden, es sieht nicht gut aus", sagt die Mutter Umm Yahya. "Willst Du das Bein retten oder Deine Tochter? Natürlich die Tochter, ich hatte ja schon zwei andere Kinder verloren."
Kaum Perspektiven für einen Rückkehr in den Gazastreifen
Wir fragen die Familie, wie es in ihrer zerstörten Heimat weitergehen soll. Wer soll Gaza nach einem Ende des Kriegs regieren? Wir wollen keine militärische Partei mehr an der Macht, sagen Sara und ihre Mutter, sondern die palästinensische Autonomiebehörde. "Die Autonomiebehörde soll nach Gaza zurückkommen und alle Parteien, auch Hamas sollen gemeinsam das Land anständig regieren", fordert Vater Samer al Agha. "Damit das Blut von 40.000 Palästinensern nicht umsonst geflossen ist." Doch noch geht der Krieg weiter und Israel beharrt auf der Präsenz seiner Soldaten im Gazastreifen, selbst für den Fall eines Waffenstillstands. Eine langfristige Perspektive ist erst Recht nicht in Sicht. Yezid Sayigh vom Carnegie Middle East Center Beirut erklärt: "Die israelische Regierung hat gesagt, wir werden nie einen palästinensischen Staat zulassen. Also sagt sie der Welt: wir wollen keinen Frieden. Wir schaffen Bedingungen, in denen Frieden unmöglich ist. Bedingungen für einen Krieg, der nie enden wird."
Drei Monate nachdem wir die schwerverletzte Wafaa in der Klinik zum ersten Mal trafen, ist sie in eine Wohnung umgezogen. Eine Schwester und ihre Mutter durften mit ihr aus Gaza ausreisen. Denn Wafaa kann ihre Tochter und den auf der Flucht geborenen kleinen Hassan ja nicht selbst versorgen. "Ich kann ihn ja nicht mal richtig tragen", sagt sie, "ohne den linken Arm." Dem amputierten Bein gehe es gut, da fehlt nur noch die Prothese, der Stumpf ist schon mit Silikon versorgt, aber das andere Bein steckt noch in einem Fixator, es war infiziert und die Knochen wachsen nicht zusammen. "Das Leben in Gaza ist so schwierig, wie soll ich dorthin zurückkehren? Wir haben keine Wohnung mehr. Ich habe meinen Mann verloren, meine Onkel, meine Cousins und 100 Verwandte aus der Familie meines Mannes. Wir können nirgendwohin und alle leben in Zelten. Es ist sehr schlimm." Sie will unbedingt auch ihre zweite Tochter aus Gaza rausholen, die achtjährige Shahd, die dort mit einer von Wafaas Schwestern im Zelt lebt. "Ich vermisse Dich Mama, ich vermisse Dich auch. Wenn Du zu mir kommst, wirst Du Deinen Bruder und Deine Schwestern in den Arm nehmen können." Aber es wird wohl noch lange nur beim Telefonieren bleiben.
Autorin: Ute Brucker
Der Weltspiegel Podcast beschäftigt sich mit dem Thema "Eskalation in Nahost – ein Jahr nach dem Überfall der Hamas auf Israel" Moderation: Philipp Abresch, Redaktion: Steffi Fetz.
Stand: 06.10.2024 23:34 Uhr
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