So., 16.03.25 | 23:35 Uhr
Das Erste
Weiblicher Kampfgeist
Performance-Star Florentina Holzinger im Thriller "Mond"
Eine reiche arabische Familie engagiert die ehemalige Martial Arts Kämpferin Sarah, um in einer Villa in Jordanien drei Teenagerinnen zu trainieren. Was wie ein Traumjob aussieht, wird in der Folge immer unheimlicher. Die Mädchen werden von der Außenwelt abgeschirmt und konstant überwacht. Sport scheint sie nicht zu interessieren. Warum also wurde Sarah engagiert? Buch und Regie für den Thriller "Mond" stammen von der Regisseurin Kurdwin Ayub, die als Kind mit ihren Eltern aus dem Irak nach Österreich kam und derzeit als Shootingstar gehandelt wird – "Mond" gewann beim Filmfestival von Locarno den Jurypreis. Die Hauptdarstellerin Florentina Holzinger, die eigentlich Performance-Künstlerin und Choreografin ist, wurde vom Kunstmagazin Monopol zur "einflussreichsten Künstlerin 2024" gekürt, ihre Opernproduktion "Sancta" ist zum Berliner Theatertreffen 2025 eingeladen und 2026 wird sie Österreich bei der Kunstbiennale in Venedig vertreten. ttt hat Florentina Holzinger und Kurdwin Ayub in Berlin getroffen.
Karriereoption im Nahen Osten
Die Martial-Arts-Kämpferin Sarah ist am Ende ihrer Kräfte und Karriere. Da kommt ein Jobangebot als Personal Trainerin von drei jungen Frauen in Jordanien gerade recht. Klingt nach einem Traumjob im Palast für diese weiße "Arbeitsmigrantin" im Nahen Osten. "Dieses Martial Arts Ding ist einfach extrem hip für junge Frauen", sagt Hauptdarstellerin Florentina Holzinger, "die sollen jetzt Martial Arts machen, dann zerplatzt quasi der Prinzessinnen-Traum und sie wissen, dass sie auch Fäuste haben, die sie nutzen können."
Von der Trainerin zur Vertrauten
Doch ihre Fäuste nutzen, sich quälen, darauf haben diese "Prinzessinnen" keinen Bock.
Anders als Florentina Holzinger: mit lässiger Natürlichkeit spielt sie Sarah – ihre erste Filmrolle! Die preisgekrönte Choreografin und Performance-Künstlerin hat lange Martial Arts trainiert; damit spielt sie in ihren Shows, sie selbst mittendrin, immer volles Risiko! Die Schwestern aber gehen lieber shoppen, mit Bodyguard. Oder sie checken heimlich mit Sarahs Handy ihre Social-Media-Accounts. Sogar als Schminkmodel muss die Trainerin herhalten – und so kommt sie den Mädchen näher.
Erfahrungen der Regisseurin
Zufällig hört sie dann ein Klopfen. Hilferufe einer Frau. Die Frau ist eingesperrt. Als Sarah einen Angestellten und den Bruder informiert, reagieren diese verärgert. "Es geht um Käfige, die man als, Frau im europäischen Raum hat oder auch im arabischen Raum", erklärt Regisseurin Kurdwin Ayub, "und da ich eine Frau aus beiden Welten bin, wollte ich das irgendwie zeigen. Ich komme aus dem Irak, wir sind her geflüchtet nach Österreich und ich hatte einen ganz strengen Vater." Diese Erfahrung lässt die Regisseurin in ihre Filme einfließen wie auch in ihr erstes Theaterstück, das sie gerade für die Berliner Volksbühne inszeniert hat. Ihr Erstlingsfilm "Sonne" war preisgekrönt. Und jetzt auch "Mond".
Suche nach der Identität
Die Schwestern sind wie Märchenprinzessinnen gefangen im Palast, werden "getröstet" von Soap-Operas – ein Spiegel ihrer Sehnsüchte. Oft gehe es darin um Frauen auf der Suche nach sich selbst. So wie auch Kurdwin Ayub: "Meine Eltern waren auch noch jung und konnten die Sprache nicht, mussten nochmal Medizin studieren hier. Und in so einem Lebensraum zu leben ist halt schon sehr hart - mit traumatisierten Eltern, die aber auch kulturell irgendwie andere Dinge erwarten von einem jungen Mädchen. Während meine österreichischen Freundinnen alles durften, konnte ich nichts."
Die Heldin, die keine ist
Das Zuhause als Gefängnis: Im Film erfährt Sarah, dass die eingesperrte Frau eine weitere Schwester ist, die unter Depressionen leidet. Um ihrem Schicksal zu entkommen, bitten die anderen Schwestern Sarah um Hilfe. Die "West-Europäerin" als Retterin: ein klassisches Stereotyp – hier bitter konterkariert. Denn diese "Heroin" hat nichts im Griff, ihre Pläne zum Scheitern verurteilt. "Da habe ich mich auch selber gefühlt wie ein Loser", berichtet Florentina Holzinger von den Dreharbeiten, "sie verhält sich nicht so wie man das von Helden in einem Actionfilm erwarten würde und auch wie ich es von mir selber erwarten würde."
Shows mit Skandalfaktor
In Florentina Holzingers Shows sind Frauen die Heldinnen: meist nackt, komplett schamfrei. In "Ophelia's Got Talent" mutiert Ophelia, die "schöne Leiche" im Wasser, zu vielen kampflustigen Nixen in einer absurd-komischen Talentshow. Eingeladen zum Berliner Theatertreffen! Ebenso die feministische Oper "Sancta," in der es um das sexuelle Erwachen einer Nonne geht. Für manche ist das ein Skandal; für viele andere ein beflügelndes Körper-Theaterspektakel. In jedem Fall exzessiv. "Ich habe auch Sport für den Exzess genutzt", so Florentina Holzinger, "weil ich ein Mensch bin, der Exzess wahrscheinlich in gewisser Art und Weise schon geil findet. Aber grundsätzlich ist für mich diese Verhandlung von körperlicher Stärke sehr wichtig und präsent in meiner Arbeit: Je stärker man so einen Körper zeigt, desto schwächer kann man ihn auch zeigen."
Kampf um Selbstbehauptung
Mit dieser Ambivalenz spielt auch der Film: Wie stark ist diese Kämpferin als Fremde im Ausland wirklich? Kann sie den Mädchen helfen? Und wem kann sie trauen? Der Film arbeitet auch mit Auslassungen. "Man wird irgendwohin reingeworfen und sieht nicht die ganze Geschichte, weil es oft in der Realität einfach so ist", sagt Kurdwin Ayub. "In unserer Welt weiß man heutzutage nicht mehr, was richtig oder falsch ist oder wem man glauben soll." Kurdwin Ayub ist ein hochpolitischer Film gelungen: über die Krux der Solidarität und den weiblichen Kampf um Selbstbehauptung und Freiheit.
Autorin: Petra Dorrmann
Stand: 16.03.2025 17:18 Uhr
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